Gequälte Philosophie

Inhaltsverzeichnis

Köln, 6. November 2015 – Yamaha hat eine clevere Marketing-Stragie entwickelt. Die Customizer-Szene boomt schon seit etlichen Jahren, Stars der Szene wie der Kalifornier Roland Sands, die australische Schmiede „Deus Ex Machina“ oder die dänischen „Wrenchmonkees“ erregen mit ihren Umbauten viel Aufsehen. Der japanische Hersteller begriff, dass man mit einem Basismodell durch Design-Retuschen und Austausch von Komponenten verschiedene Geschmäcker und entsprechend viele Kunden erreichen kann. Yamaha bestand nicht mehr eifersüchtig darauf, dass ihr Serienmodell der Weisheit letzter Schluss sei und rief vor über einem Jahr das „Yard Built Project“ ins Leben. Customizer und Händler in aller Welt waren aufgefordert, aktuelle Yamahas im angesagten Retro-Stil umzubauen. Vor allem natürlich die Modelle XJR 1300, SR 400 und XVR 950, die sich bestens dafür eignen. Der Anklang war groß und viele mehr oder weniger gelungene Umbauten erfreuten die Fans klassisch anmutender Motorräder.

Doch auch Yamaha selber begann, Modelle in verschiedenen Interpretationen in Serie zu bringen, wie die überarbeitete XJR 1300 und XJR 1300 Racer. Mit den Bestseller-Baureihen MT-07 und MT-09 ­– sie liegen in Deutschland zurzeit auf dem zweiten bzw. fünften Platz der Zulassungsstatistik – treiben die Japaner die Diversifizierung auf die Spitze, sie umfassen mittlerweile sieben Modelle. Die jüngste Variante soll die Retro-Freunde ansprechen, und um der Sache einen authentischen Anstrich zu geben, erhielt sie auch einen eigenständigen Namen, anstatt „irgendwas mit MT“: XSR 700.

Yamaha stellt dem Käufer sogar eine Philosophie zur Verfügung: „Faster sons.“ Das ist nicht auf Anhieb zu kapieren, aber der Hersteller liefert dafür folgende Erklärung: „Ein Slogan, der anschaulich beschreibt, dass die Söhne mit Respekt die Arbeit ihrer Väter fortführen und später mit ihren Kreationen einfach schneller unterwegs sein werden.“ Aha. Fragt sich nur, ob die Väter die Söhne für die XSR 700 nicht abwatschen: „Ihr habt versagt! Die sieht der XS 650 nicht einmal ähnlich!“

Der Namenspatin leider nicht ähnlich

Dazu muss man wissen, dass Yamaha von 1969 bis 1984 ein erfolgreiches Modell mit der Bezeichnung XS 650 anbot, ein hübscher Paralleltwin, der allerdings für seine Vibrationen berüchtigt war. Ein Vorbild in der eigenen Historie zu haben, ist immer ungemein hilfreich, um damit die Werbetrommel rühren zu können. Triumph macht das beispielsweise mit der Bonneville und Thruxton, Ducati mit der Scrambler und Kawasaki mit der W800. Aber dabei sollten die neuen Modelle den alten auch ähneln und genau hier patzt Yamaha.

Mit der MT-07 hat die japanische Marke natürlich wieder einen gelungenen Paralleltwin-Motor im Programm, doch damit erschöpfen sich auch schon die Gemeinsamkeiten mit der XS 650. Dabei hat Yamaha die XSR 700 in Zusammenarbeit mit dem in Fachkreisen berühmten Customizer Shinya Kimura entwickelt. Zur Ehrenrettung des wirklich höchst talentierten Kimura-san sei gesagt, dass die Basis der MT-07 es ihm sehr schwer gemacht hat. Der Motor baut ziemlich hoch und der Rahmen ist dazu oben noch sehr breit, so dass es unmöglich ist, einen Tank darauf zu pflanzen, der dem der XS 650 ähnelt. Yamaha bezeichnet den Tank tatsächlich als „retro“, obwohl sich eine solche flache Form an keinem alten Motorrad findet.

Ein weiteres offensichtliches Problem bildet der Wasserkühler, der groß und sehr präsent quer vor den Rahmenrohren und den Auspuffkrümmern hängt. Ihn zu verbergen ist einfach nicht machbar, deshalb trat Yamaha die Flucht nach vorne an und betonte ihn auch noch durch die Verwendung von unlackiertem Aluminium. Das hat mit dem von luftgekühlten Motoren geprägten Retro-Design nun wirklich nichts zu tun.

Ein paar nette Details reißen es nicht raus

Da rettet es auch nicht, dass Kimura sich in vielen Details redlich Mühe gegeben hat: zweifach strukturierte Ledersitzbank, ein massiver, runder Scheinwerfer und ein weit nach hinten gekröpfter Lenker für eine aufrechte Sitzposition. Statt eines spitz zulaufenden Hecks, wie bei der MT-07, sieht man die offen liegenden Heckrahmenrohre und den Abschluss bildet ein rundes, mit LEDs bestücktes Rücklicht. Um die moderne Einspritzanlage und das Kabelgewirr zu verbergen, benutzten die Entwickler glatte Aluminiumabdeckungen mit je drei Löchern, hinter denen wiederum ein Drahtgeflecht sitzt. Der Endschalldämpfer wurde überarbeitet und ist jetzt noch kürzer als am Basis-Modell – und weist dadurch keinerlei klassische Attribute auf.

Wer sich in der Zubehörabteilung von Yamaha umsieht, wird dort unter diversen Teilen eine schicke Akrapovic-Anlage finden, deren Schalldämpfer deutlich höher verlegt ist. Leider steht im Kleingedruckten, dass sie – mangels Straßenzulassung – nur für die Rennstrecke geeignet ist. Mit der XSR 700 auf die Rennstrecke? Welch absurde Vorstellung!

Nachsitzen in Sachen Stil

Die XSR 700 wirkt vorne sehr hoch, fast schon wie ein Chopper. Anstatt der eckigen Instrumente des Basis-Modells, erfreut das Cockpit hier mit einem kleinen, runden Tacho – der sich leider als digitaler Ausrutscher entpuppt. Warum keine Zeigeruhr? Auf der Basis-MT-07 präsentieren sich die Zehn-Speichen-Gussfelgen recht hübsch, auf einem Retro-Bike sind sie hingegen deplaziert, hier wären Drahtspeichenfelgen wie bei der historischen XS 650 die bessere Wahl gewesen.

Schade für die XSR 700, denn der 689-Kubikzentimeter-Paralleltwin mit 270 Grad Hubzapfenversatz bietet viel Fahrspaß, wie er in den anderen MT-07-Modellen ausreichend bewiesen hat. Maximal 75 PS bei 9000/min reichen für flotten Vortrieb, zumal die XSR 700 nur 186 kg auf die Waage bringen soll. Da weder die Rahmengeometrie noch die Reifen-Dimensionen geändert wurden – lediglich der Radstand wuchs um fünf Millimeter –, dürfte auch sie die gleiche ausgeprägte Handlichkeit wie ihre MT-07-Schwestern an den Tag legen.

Die XSR 700 kann als Retro-Bike nicht überzeugen. Das Design wirkt nicht authentisch, sondern gequält. Da helfen weder das breit gefächerte Zubehör-Angebot, noch der günstige Preis von 7495 Euro. Dabei hat Yamaha mit der XJR 1300 und der XJR 1300 Racer bewiesen, dass sie wunderschöne Retro-Motorräder in Serie bauen können. Aber wenn die Basis es einfach nicht hergibt, sollte man nicht irgendetwas hinein philosophieren, was nicht vorhanden ist. Die Väter sollten ihre Söhne in Sachen Stil nachsitzen lassen.