Der eHighway mache einen emissionsfreien Güterverkehr auf der Langstrecke möglich

Siemens betreibt Lkws an Oberleitungen

Von der Bahn abgeguckt: Siemens versorgt in einem Forschungs­projekt Lkws per Oberleitung mit Strom. So bewältigen sie Lang­strecken emissionsfrei. Abseits der Drähte hilft ein serieller Hybridantrieb weiter

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  • ggo
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Hannover, 9. Mai 2012 – Da zerbrechen sich die Experten ihre Köpfe, wie man eine funktionierende Infrastruktur für Elektroautos aufbauen könnte, und dann so etwas: Siemens hat auf dem Electric Vehicle Symposium in Los Angeles eine Lösung vorgestellt, bei der Lkws oder "Trucks" per Oberleitung mit Energie gespeist werden. Was man bereits von Bussen in Solingen kennt, könnte in Zukunft für Langstrecken im Güterverkehr genutzt werden – wenn die Rechnung aufgeht.

Mit und ohne Leine

"Heutzutage denken die meisten Menschen an Pkws, wenn es um Schadstoff-Emissionen geht", sagt Daryl Dulaney, der US-Siemens-Chef im Bereich "Infrastructure & Cities". "Dabei ist in Wirklichkeit der Güterverkehr mit Lkws dafür verantwortlich. Der Frachtverkehr auf den Straßen der USA wird sich bis 2050 wahrscheinlich verdoppeln, während die Erdölreserven immer dünner werden. Und bis 2030 werden die CO2-Emissionen wohl zu mehr als 30 Prozent allein vom Güterverkehr stammen".

Also sollen Lkws möglichst durchgängig von Oberleitungen mit Strom versorgt werden, die dann wie bei der Bahn ganze Autobahnstrecken überspannen würden. Und wenn sie einmal nicht zur Verfügung stehen, hilft ein serieller Hybridantrieb. Dabei treibt ein Dieselmotor einen Generator an, der den Strom zum elektrischen Fahren liefert. Der serielle Hybridantrieb hat zwar keinen optimalen Wirkungsgrad, was aber vernachlässigbar ist, wenn genügend Oberleitungen zur Verfügung stehen – und der Betrieb an der Leine soll ja die Regel sein. Laut Siemens wäre die Installation einer geeigneten Infrastruktur kein großes Problem. Vorbilder gibt es in der Tat genug, auch der Fernschienenverkehr wird ja praktisch komplett mit Oberleitungen versorgt.

An- und abgebügelt

Der Stromabnehmer auf dem Fahrzeug ist darauf ausgelegt, bis zu einer Geschwindigkeit von 90 km/h an- und abbügeln zu können, wie sich das geschmeidige Herstellen und Lösen des Kontakts zwischen Abnehmer und Oberleitung nennt. Die Energieversorgung der Oberleitung wird von einem Container-Unterwerk bereitgestellt. Sie besteht auf der derzeitigen Testanlage in Norddeutschland aus Mittel- und Gleichspannungsschaltanlage, Leistungstransformator, 12-Dioden-Gleichrichter und gesteuertem Wechselrichter zur Rückspeisung rekuperierter Energie.

Statt die beim Bremsen und Ausrollen erzeugte Energie also nur in eine Batterie im Fahrzeug zu speisen, kommt sie dem gesamten Stromnetz zugute. Sicher kann man die Konzepte auch mischen, also eine Batterie plus Rückspeisung ins Netz. Denn bei langen Autobahnabfahrten kann unter Umständen mehr Strom produziert werden, als eine Batterie an Bord speichern kann. Ohnehin lässt die eigentlich naheliegende Idee von Oberleitungen mit verschiedenen "skalierten" Antriebskonzepten verbinden, bis hin zum reinen Elektro-Lkw. Das setzt allerdings eine vollständig ausgebaute Infrastruktur voraus. Zudem würde ein Stromausfall bei reinen Elektrovehikeln zur Totalblockade der Straßen führen – diese Gleichabschaltung gibt es mit klassischen Energieträgern nicht.

Im Stillen geforscht

Der eHighway ist bisher ein reines Forschungsprojekt, das – vom Bundesumweltministerium gefördert – unter dem Namen ENUBA durchgeführt wurde. Dabei ging es um die Entwicklung des seriellen Hybridantriebs, der Integration von Doppelschichtkondensatoren, die wohl als reaktionsschneller Speicher für kleinere Energiemengen gedacht sind, sowie die Entwicklung des Stromabnehmersystems. Letzteres stellt offenbar eine besondere Herausforderung dar – nicht nur, weil das An- und Abbügeln klaglos automatisch funktionieren muss, sondern auch weil ein Lkw weder horizontal noch vertikal die "Spurtreue" eines schienengebundenen Fahrzeugs bieten kann. Dennoch: In den bisherigen Tests hat sich die Technik laut Siemens bei Geschwindigkeiten bis 90 km/h als zuverlässig erwiesen.

Dass über diese eigentlich naheliegende Idee bisher so wenig geredet wurde, mag daran liegen, dass ein System mit Oberleitungen filigraner ist als etwa induktive, in die Straße verlegte Systeme. Sie sind allerdings wohl teurer und mit Verlusten verbunden. Auffällig ist allerdings auch, dass Siemens in Deutschland das Thema eHighway kaum kommuniziert – taugt die Idee nur für amerikanische Highways und Interstates? Im Übrigen mag der eHighway zwar Schadstoff-Emissionen vermeiden, doch die sind ausgerechnet auf Langstrecken weniger kritisch als in Innenstädten. So bliebe nur die Einsparung fossiler Kraftstoffe, sofern der Strom denn auf regenerativem Wege erzeugt wird – sonst werden die Argumente noch dünner.