Atomkraft: 10 Jahre Super-GAU in Fukushima und Deutschlands Kernkraftwendewende

Seite 3: Im Land der Menschenkette

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Auch in anderen Städten kam es in Folge des Super-GAUs zu Demonstrationen, so wie am 14. März 2011 in Hannover.

(Bild: heise online / kbe)

Am 12. März 2011 bilden Atomkraftgegner in Baden-Württemberg eine kilometerlange Menschenkette. Der Protest war lange geplant, der Widerstand gegen Atomkraftwerke ging in Deutschland schon über Jahrzehnte, spätestens seit den Planungen für ein AKW am Kaiserstuhl. Nach dem Erdbeben in Japan bekommt er ungeahnte Aktualität, die nukleare Gefahr ist Realität.

Im Land der Menschenkette wird Winfried Kretschmann am 27. März 2011 der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands – und setzt damit in Baden-Württemberg einer jahrzehntelangen CDU-Ära ein Ende. Weitere grüne Wahlerfolge sollten die politische Landschaft in Deutschland nachhaltig prägen.

"Ich kann das immer nur mit der Vorgeschichte erklären", sagt Jürgen Trittin, nach den Ereignissen jenes Frühjahrs gefragt. Als Umweltminister der rot-grünen Koalition brachte er den Atomausstieg auf den Weg: Deutschland, so steht es im Ausstiegsgesetz von 2002, solle bis 2021 kein AKW mehr betreiben. So war es vor der Laufzeitverlängerung geplant." Zur Kehrtwende der Kanzlerin nach Fukushima sagt der Grünen-Politiker, Merkels Qualität zeichne sich dadurch aus, "dass sie nicht zweimal gegen die gleiche Wand" laufe.

Aber die Wand hat es in sich. Die Laufzeitverlängerung erweist sich als Kernproblem. Schadenersatzansprüche von Betreiberfirmen hätte es ohne sie nicht gegeben, sagt Trittin. Es geht dabei um weggefallene Strommengen, mit denen die Konzerne Eon, RWE & Co. nach früheren Plänen gerechnet hatten und nicht mehr erzeugen durften.

Kurz vor dem zehnten Jahrestag haben sich die Energiekonzerne mit der Bundesregierung über eine Entschädigung geeinigt, die ihnen laut Bundesverfassungsgericht zusteht. EnBW, Eon/PreussenElektra, Vattenfall und RWE bekommen zusammen gut 2,4 Milliarden Euro für entgangene Reststrommengen und überflüssige Investitionen nach der Kehrtwende der Kehrtwende der Bundesregierung.

Wind- und Sonnenergie bekommen derweil einen historischen Schub. 2000 beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung noch 6,6 Prozent. Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft 44,6 Prozent. Bis 2030 will Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bis zu 80 Prozent erreichen.

Parallel geht der Atomenergie-Anteil zurück. Aktuell sind noch sechs AKW in Deutschland am Netz. Anders in Ländern wie Finnland, die ihre Energieversorgung aus Überzeugung auf Nuklearenergie stützen. Auch China baut kräftig zu, Frankreich hat kürzlich grünes Licht für die Laufzeitverlängerung seiner ältesten Reaktoren gegeben. Selbst im Super-GAU-Land Japan ist Ausstieg keine Option.

Ein deutscher Sonderweg? Oder Irrweg gar? Nein, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Umweltministerium. Erneuerbare Energien würden immer günstiger, Atomenergie rentiere sich nicht, sei auch kein Beitrag zum Klimaschutz, sagt er übereinstimmend mit einer Studie, die die österreichische Regierung veranlasst hat; das IDW hat zudem konstatiert, dass AKW zu störanfällig und unzuverlässig seien. Diejenigen, die sich nach ihr zurücksehnten oder gar neue Reaktortypen anpriesen – wie zum Beispiel Bill Gates –, nennt Flasbarth "Realitätsverweigerer". Für ihn ist klar: Einen Weg zurück kann es nicht geben. Auch wenn noch viele Fragen offen sind.

Etwa die nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müll. Weltweit gibt es ein solches noch nicht, in Deutschland soll bis 2031 eines gefunden sein. Die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl, hält diesen Zeitplan für unrealistisch. Kritisiert wie viele Grüne auch das Tempo der Energiewende, dass in Deutschland weiterhin Uran angereichert werde und dass Brennelemente für den Export ins Ausland produziert würden – auch über 2022 hinaus. "Wir werden noch über vieles diskutieren müssen", sagt Kotting-Uhl, die damals in den Stunden der Katastrophe in der Menschenkette stand

Auch zehn Jahre nach Fukushima reißt der Protest nicht ab. Klima- und Anti-Atom-Aktivisten sind alles andere als still – auch wenn sie derzeit keine Menschenketten bilden dürfen. Sie haben alte Sorgen und neue Fragen. Ob ihre Mobilisierungsmacht reichen wird, um Winfried Kretschmann erneut ins Amt zu tragen, wird sich am 14. März zeigen. Dann wird in Baden-Württemberg wieder gewählt.