Atomkraft: 10 Jahre Super-GAU in Fukushima und Deutschlands Kernkraftwendewende

Seite 4: Folgen für deutsche Energiekonzerne, Mitarbeiter, Verbraucher

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Im Zuge des Umbaus 2008 bis 2011 wurde das Bremer Weserstadion mit Solarzellen verkleidet.

(Bild: heise online / anw)

Jahrzehntelang hatten die Energiekonzerne bestens davon gelebt, das gesamte Stromgeschäft zu kontrollieren – von der Erzeugung, über die Verteilnetze bis zum Vertrieb. Die großen Vier Eon, RWE, Vattenfall und EnBW verfügten über mehr als 80 Prozent der Kraftwerkskapazitäten in Deutschland. Das warf Milliardengewinne ab, insbesondere durch Großkraftwerke. Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft und dem Start in die Energiewende erodierte dieses Geschäftsmodell.

Der Abriss der AKW kostet Milliarden, für die Zwischen- und Endlagerung des Nuklearmülls haben die Konzerne insgesamt knapp 24 Milliarden Euro an einen Staatsfonds überwiesen. Kritiker wie Jochen Stay von der Initiative "ausgestrahlt" bemängeln allerdings, die Konzerne hätten sich "von den Kostenrisiken der Atommüll-Lagerung mit einer Einmalzahlung freigekauft". Die Allgemeinheit müsse nun zahlen, wenn es teurer wird als gedacht.

Unter dem Druck tiefroter Zahlen spalteten sich die Marktführer Eon und RWE auf und teilten ihre Geschäftsfelder untereinander auf. Eon betreibt inzwischen nur noch die Energienetze und verkauft Strom und Gas, RWE produziert noch bis längstens Ende 2038 Strom aus Braunkohle und baut die Ökostromproduktion kräftig aus.

Im vergangenen Jahr kamen noch 12 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms aus Atomkraftwerken, 2010 waren es noch knapp 23 Prozent. Versorgungsengpässe hat das Abschalten der Reaktoren nicht ausgelöst. "Der Ausstieg aus der Kernenergie ist in Deutschland viel geräuschloser erfolgt, als man vor zehn Jahren gedacht hat", sagt der Energieökonom Prof. Andreas Löschel von der Universität Münster.

Atomstrom habe ohnehin durch die Energiewende keine dauerhafte Perspektive mehr, analysiert Löschel, der die Expertenkommission der Bundesregierung zum Monitoring der Energiewende leitet. "Mit der starken Zunahme der erneuerbaren Energien ist der Bedarf nach dauernd laufenden Kernkraftwerken sehr klein geworden." Da Atomkraftwerke wahrscheinlich in Zukunft nicht mehr rentabel betrieben werden wurde "in den Konzernzentralen der Kernkraft wohl nur eine Träne nachgeweint."

Drei AKW sind noch in Deutschland in Betrieb (7 Bilder)

Seit März 1984 ist Block C des AKW im bayerischen Gundremmingen in Betrieb. Block A war von 1967 bis 1977 in Betrieb. Der 1984 ans Netz gegangene Block B wurde am 31. Dezember 2017 abgeschaltet, Block C – ebenfalls 1984 in Betrieb genommen – folgte Ende 2021. (Bild: kkw-gundremmingen.de)

Anders als in der Braunkohle sind direkt in Atomkraftwerken vergleichsweise wenige Mitarbeiter beschäftigt. Bei RWE arbeiteten Ende 2010 in den damals noch fünf Blöcken der Atomkraftwerke rund 2700 eigene Mitarbeiter und Beschäftigte von Partnerfirmen. Ende vergangenen Jahres waren es in den beiden noch produzierenden RWE-Atomkraftwerken Emsland und Gundremmingen C gut 1500 Menschen. In den Braunkohlekraftwerken und Tagebauen von RWE fallen durch die ersten Schritte beim Kohleausstieg nach Unternehmensangaben bis Ende kommenden Jahres 3000 Stellen weg.

Für die Haushalte in Deutschland ist Strom in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden. Der Preisanstieg hat allerdings schon vor der schrittweisen Abschaltung der Atomkraftwerke eingesetzt. Nach Zahlen der Bundesnetzagentur verteuerte sich der Preis für eine Kilowattstunde von knapp 19 Cent im Jahr 2006 über gut 25 Cent im Jahr 2011 auf 32 Cent im vergangenen Jahr. Ein Hauptpreistreiber war dabei die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms. Mit knapp 1 Cent pro kWh schlug die Umlage im Jahr 2006 zu Buche, aktuell zahlen die Haushalte 6,5 Cent.

Im Jahr 2012 wählten drei von vier Verbrauchern, die über das Vergleichsportal Verivox einen neuen Stromvertrag abschlossen, einen Ökostrom-Tarif. Doch in den folgenden Jahren sank die Nachfrage stetig, bis auf 32 Prozent im Jahr 2018. Seitdem zeigt der Trend wieder deutlich nach oben. Im Jahr 2020 betrug der Anteil der Ökostromwechsler bei Verivox 64 Prozent. Nach Fukushima habe die Abwendung von der Atomenergie im Mittelpunkt gestanden.

Die Stromerzeugung wird auf immer mehr Schultern verteilt – und das erfordert massive Investitionen. Zurzeit gibt es in Deutschland rund 2 Millionen Photovoltaik-Anlagen auf den Hausdächern, die Zahl der Windräder auf See und an Land soll kräftig aufgestockt werden. "Der Umstieg auf eine erneuerbare Erzeugung wird ohne Ausbau der Stromnetze nicht gelingen", mahnt der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann. Die Energiewende werde nur gelingen, wenn "die sichere Stromversorgung gewährleistet bleibt".

Energieökonom Löschel ist überzeugt, dass der Kohleausstieg wegen künftig stark steigender Preise für CO2-Zertifikate viel schneller gehen wird als geplant. "Deshalb brauchen wir rasch mehr Erneuerbare, mehr Netze und auch flexible Gaskraftwerke, um Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen." Hier kommen die großem Energiekonzerne wieder ins Spiel. "Sie werden auch künftig groß bleiben", betont Löschel. Denn die Investitionen in den Ausbau der Windenergie auf See, aber auch in Gaskraftwerke, Strom- und Wasserstoffnetze könnten nur sie stemmen. "Kleinere Unternehmen können das kaum finanzieren und dürften auch das Risiko nicht tragen wollen."