Bahnfahren: "Beeindruckend, wie viel Deutschland mit wenig Investitionen macht"

Seite 2: "Bahnfirmen sind stark in Brüssel vertreten."

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Warum hat sich die EU bisher so wenig für das Thema interessiert?

Was mich stört, ist der fehlende politische Willen für die Transport- und Verkehrspolitik. Verkehrskommissar zählt nicht zu den höchstrangigen Posten der Europäischen Kommission. Die jetzige Verkehrskommissarin [Adina Vălean, Anm. d. Red.] war nur die zweite Wahl als Rumäniens Kommissarin, und wollte das Verkehrs-Ressort ursprünglich gar nicht. Ein anderes Problem ist die Lobbyarbeit. Bahnfirmen wie Deutsche Bahn, SNCF, Alstom oder Siemens sind sehr stark in Brüssel vertreten, die Passagier-Interessen ziemlich schwach.

Hast Du schon Verbesserungen festgestellt?

In den letzten ein, zwei Jahren hat sich ein bisschen was geändert. Erfreulich ist zum Beispiel, dass die EU-Kommission im Februar zehn CrossBorderRail-Pilotprojekte vorgestellt hat, um die praktischen Probleme bei zehn internationalen Verbindungen zu lösen. Statt nur einen Rahmen zu setzen und die Firmen und Betreiber selber die Probleme lösen zu lassen, will sie es nun andersherum machen: An praktischen Beispielen die Liste mit Problemen durchgehen – Trassenvergabe, Fahrzeugzulassung, Fahrpläne, Ticketing, und so weiter. Ich bin also nicht komplett pessimistisch. Es gibt einige gute Beispiele und einige schlechte.

Als schlechtes Beispiel tauchte Frankreich jetzt mehrmals auf.

Ja. Alles ist in Frankreich auf Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgerichtet. Man hat den Eindruck, Regionalbahnen interessieren weder den französischen Staat noch den staatlichen Zugbetreiber SNCF. Und die Regionen haben ziemlich wenig Geld für den internationalen Regionalverkehr. In Baden-Württemberg gibt es deutlich mehr Interesse an Verbindungen nach Frankreich als umgekehrt.

Zudem wollen sich Deutsche Bahn und SNCF keine Konkurrenz machen, obwohl die Kooperation auch nicht so richtig gut läuft. Die DB will zum Beispiel mehr Züge in den Süden Frankreichs fahren lassen, aber die SNCF nicht. Der geht alles um Profit, also darum, mit möglichst hoher Prozentzahl die Sitze zu füllen. Das führt zu einem kaputten Bahnsystem. Ohne frühe Züge, ohne späte Züge, mit Lücken am Tag.

Der Hochgeschwindigkeitsverkehr von Paris nach Brüssel ist zum Beispiel immer voll und irre teuer. Zwei Wochen im Voraus zahlt man 150 Euro für eine Einzelfahrt. Dabei könnte man dort zwei- bis dreimal so viele Züge verkehren lassen, und die würden alle voll, aber zu einem niedrigeren Preis. Und obwohl die EU eine neue Strecke durch die Pyrenäen für 300 km/h ausgebaut hat, fahren nur zwei Züge am Tag von Paris nach Barcelona. Die Infrastruktur ist gut, aber es verkehrt so wenig. Es ist das genaue Gegenteil von Deutschland.

Also ist die Wahrnehmung, dass in Deutschland alles schlechter ist, doch nicht so zutreffend?

Im Fernverkehr ist die Situation wirklich sehr schwierig, besonders südlich von Frankfurt am Main. Ich hatte da schon viele Horrorfahrten. Andere Regionen sind deutlich besser. Und der Regionalverkehr ist in Deutschland weitaus pünktlicher als der Fernverkehr, sagen die Statistiken. Die Fahrpläne sind dicht, die Züge sind modern. Auch der DB Navigator und die Echtzeitdaten sind vergleichsweise gut. Und die meisten Mitarbeiter haben guten Kenntnisse und sind kundenfreundlich. Wie viel Deutschland mit so wenigen Investitionen noch macht, ist im internationalen Vergleich irgendwie beeindruckend. Im europäischen Vergleich liegt das im oberen Mittelfeld.

Wer steht für Dich ganz oben?

Österreich! Auch die Schweiz ist recht gut. Man merkt in Österreich, dass alles vorankommt: Online-Tickets, Echtzeitdaten, Umbau von Bahnhöfen. Die Mentalität der ÖBB finde ich gut, denn die sagen: Okay, wir machen keinen riesigen Profit mit unseren internationalen Nachtzügen, aber unsere Kunden mögen die. Es gibt also ausreichend Bedarf, dass wir sie ohne Verlust betreiben können. Was ich auch mag, ist Tschechien. Das hat zwar ziemlich viele Probleme mit der Infrastruktur, aber Echtzeitdaten, Fahrpläne, Ticketing, Barrierefreiheit, all das kommt sehr gut voran.

In Deutschland gibt es ja die Debatte um eine Trennung von Netz und Fahrbetrieb. Wie siehst Du das?

Im europäischen Vergleich gibt es keine eindeutige Antwort. Es gibt zum Beispiel eine sehr klare Trennung in Spanien. Hat das wirklich geholfen? Ich weiß nicht. Im Österreich gibt es keine besonders strikte Trennung, aber da verkehren andere Betreiber ohne große Probleme auf den Hauptachsen. Ich bin eher für eine Trennung, aber nicht komplett überzeugt.

Und bei der Frage nach staatlicher oder privater Bahn?

Es gibt Beispiele für gute Privatbahnen, etwa den tschechischen Railjet, die österreichische Westbahn und den italienischen Italo. Und schlechte Beispiele von Regionalbahnen, wo man versucht, Profit zu machen, und es funktioniert nicht. Also braucht man entweder richtige Konkurrenz oder richtige Staatsbahnen. Was man überhaupt nicht braucht, sind komische Dinger dazwischen, das Schlechteste aus beiden Welten, wie man es zum Beispiel beim französischen Thalys gerade hat: international Profit, national Staatsbahn.

Was sind Deine Erfahrungen mit dem 49-Euro-Ticket?

Das ist eine enorme Erleichterung, zumindest für einzelne Menschen ohne Kinder, Hunde, Fahrräder. Und in Bayern, wo es in den Regionalbahnen noch eine Erste Klasse gibt, ist die immer leer, auch wenn der Zug sonst überfüllt ist. Sollen wir die Erste Klasse in den Regionalbahnen nun ganz abschaffen? Oder führen wir ein Deutschland-Ticket Erster Klasse ein, etwa für 69 Euro? Wir brauchen ein Bausteinsystem, um für weitere 20 Euro oder so auch Kinder oder Fahrräder mitnehmen zu können.

Und auch an den Grenzen gibt es Probleme. Von Aachen ins belgische Hergenrath sollte ich beispielsweise acht Euro zahlen, für neun Minuten Bahnfahrt. Mein Wunsch wäre, dass alle deutschen Tickets gültig sind bis zum ersten Bahnhof hinter der Grenze – und umgekehrt. In Enschede, rund um Zittau und in Salzburg funktioniert das schon, an anderen Grenzen überhaupt nicht. Da hoffe ich auf Lösungen in den nächsten Monaten und Jahren.

(grh)