Das Ende des Verbrennungsmotors: Kommt das Aus vom Aus?

EU-Wahlkampf und Aussagen der Industrie führen bei einigen zu der Annahme, dass das Aus vom Verbrenner-Aus bevorsteht. Doch das ist nicht zu erwarten.

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Ursula von der Leyen

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ist im Wahlkampf und verspricht, dass die CO2-Limits 2026 einer Überprüfung unterzogen werden. Das aber ist ein Mechanismus, der von Beginn an genauso im Gesetz stand. Theoretisch kann es zu einer Aufweichung des 100 Prozent-Ziels für 2035 kommen. Ein Revival des Verbrennungsmotors dagegen ist in keiner Konstellation absehbar.

(Bild: Europäische KommissionUrsula von der Leyen)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Das Verbrenner-Aus sei gekippt, behauptet die Kronen Zeitung. Das österreichische Boulevardblatt bezeichnet die Präsidentin der Europäischen Kommission darum als Umfallerin. Ursula von der Leyen (CDU/EVP) wiederum ist im Wahlkampfmodus und verspricht, dass das für 2035 vorgesehene Verbrenner-Verbot 2026 definitiv überprüft werde. Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG, sagt in der Wochenzeitung Die Zeit, er kenne "den Zeitpunkt für den letzten Verbrenner schlichtweg nicht". Kommt das Aus vom Aus tatsächlich? Bei sorgfältiger Betrachtung: Nein, denn vorstellbar ist lediglich eine Aufweichung des Ziels. Eine Umkehr im Sinn eines Revivals des Verbrennungsmotors streben weder die Autoindustrie noch die Politik an.

Zur Ist-Situation: Ein explizites Verbot für Verbrennungsmotoren gibt es nicht. Gemeint sind die CO₂-Flottengrenzwerte, wenn davon die Rede ist. Der Durchschnitt aller neu zugelassenen Pkw eines Herstellers im Europäischen Wirtschaftsraum darf bis inklusive 2024 maximal 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer betragen. Zur Einordnung dieses Wertes gehören allerdings zwei Dinge: Zum einen wurde hier der eigentlich lange abgelöste NEFZ herangezogen. Im aktuell gültigen WLTP, der realitätsnähere Werte verspricht, sind höhere CO₂-Angaben ohne Strafzahlungen möglich. Zum anderen sind die 95 Gramm nur ein Richtwert, der sich auf ein festgelegtes Durchschnittsgewicht aller Autos eines Herstellers bezieht. Sind die Fahrzeuge im Schnitt schwerer, liegt der herstellerspezifische Grenzwert etwas höher.

Die Neuzulassungen im Zeitraum von 2025 bis 2029 müssen bei den durchschnittlichen CO₂-Emissionen 15 Prozent unter dem Wert von 95 Gramm pro Kilometer (nach NEFZ) liegen. Ab 2030 beträgt das Mindest-Minus 55 Prozent, und ab 1. Januar 2035 sind ausschließlich Neuzulassungen erlaubt, die lokal kein CO₂ emittieren.

(Bild: Europäischer Rat)

Für die Jahre 2025 bis 2029 muss der Wert von 95 Gramm je Kilometer um 15 Prozent unterboten werden. Ab 2030 liegt das Limit bei minus 55 Prozent und ab 1. Januar 2035 bei 100 Prozent. Wohlgemerkt für Neuwagen, nicht für den Bestand. Anders formuliert: Alle Autos, die in der EU bis Ende 2034 erstmals zugelassen werden, sind von der 100-Prozent-Regelung nicht betroffen. Weil die CO₂-Emissionen sogenannte Tailpipe Emissions sind, also auf dem Laborprüfstand gemessen werden, haben batterieelektrische Autos einen Ausstoß von null Gramm. Das gilt auch für Pkw, die Wasserstoff in einer Brennstoffzelle in elektrische Energie umsetzen oder in einem Hubkolbenmotor verbrennen. Diese kommen aber zumindest bislang über das Experimentalstadium nicht hinaus. Die Zwischenziele von 15 Prozent CO₂-Reduktion ab 2025 und 55 Prozent ab 2030 sind allein durch Verbesserungen am Verbrennungsmotor – und die gibt es durchaus noch immer – nicht mehr erreichbar. Die Vorgaben sind faktisch eine indirekte Quote zum Verkauf von Elektroautos mit Traktionsbatterie.

Der CO₂-Flottenmechanismus ist kein Naturgesetz, sondern von Menschen gemacht. Das Verfahren zur Beschlussfassung in der Europäischen Union heißt Trilog: Ein Vorschlag der Kommission wird von Parlament und Rat verhandelt und mit qualifizierter Mehrheit beschlossen. Das ist eine doppelte Mehrheit aus mindestens 55 Prozent der 27 EU-Mitgliedsstaaten, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Vier Staaten reichen dagegen für eine Sperrminorität aus.

Im Durchschnitt unterboten die 2023 im Europäischen Wirtschaftsraum neu zugelassenen Pkw die Vorgabe von 95 g CO₂/km um zwölf Prozent (linke Spalte). Das Ziel von minus 15 Prozent für 2025 scheint eigentlich erreichbar - beim Blick in die Details aber sieht es anders aus: Marken wie Volkswagen und Ford müssen noch einen weiten Weg bei der CO₂-Reduktion gehen. Auch Renault stand 2023 nicht besonders gut da, wird aber ähnlich wie Hyundai mit elektrischen Klein- und Kompaktwagen in die Modelloffensive gehen.

(Bild: ICCT)

Obwohl es eine konservative Mehrheit sowohl im Brüsseler Parlament und als auch im Rat gibt, wurden die CO₂-Flottenvorgaben verabschiedet. Das ist bemerkenswert, weil nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Staaten in ganz Europa eine relevante Autoindustrie existiert. Die Vorstellung, dass hier gegen den radikalen Widerstand von Verbandsvertretern entschieden wurde, ist nicht plausibel. Vielmehr ist anzunehmen, dass es ein Einvernehmen und eine stille Zustimmung gab: Die Autoindustrie mag Planungssicherheit und hat sich auf die Umstellung zum Elektroauto eingelassen.

Wenn die Präsidentin der EU-Kommission jetzt öffentlichkeitswirksam die Überprüfung der Vorgaben für 2026 fordert, mag sich das nach der Ankündigung des Aus vom Aus anhören. In Wahrheit schildert Ursula von der Leyen lediglich die bestehende Gesetzeslage: Ab 2026 wird im Zweijahres-Rhythmus überprüft, ob die Lebenswirklichkeit mit dem Ziel für 2035 mithält. Auf Englisch heißt dieser Vorgang Revision, und dieser Begriff erzeugt bei manchen Beteiligten die falsche Erwartung, es gehe um eine Abkehr. Formal ist es also durchaus möglich, das 100-Prozent-Ziel für 2035 aufzuweichen und es zum Beispiel 80 Prozent plus atmender Deckel zu nennen. Allerdings wäre der bürokratische Aufwand dafür erheblich und zeitintensiv. Trotzdem bleibt die Forderung von Ursula von der Leyen nicht mehr als die Beschreibung der aktuellen Gesetzeslage.

Die Kronen Zeitung vermischt diese Aussage mit der Initiative eines Ausschusses im EU-Parlament: Ein Gremium hat vorgeschlagen, die bestehende Tailpipe Emissions Methode durch einen Life Cycle Ansatz zu ersetzen. Hierbei geht es aber nicht um die Neuzulassung von Pkw, sondern um die Frage, wie die Treibhausgasemissionen von Transport Services, übersetzt von Logistikunternehmen, erhoben und für deren Kunden ausgewiesen werden. Der Vorschlag eines EU-Gremiums ist gemacht, aber er bezieht sich auf einen anderen Bereich und hat keine Gesetzesänderung für den CO₂-Flottenmechanismus zur Folge.

In der Autoindustrie selbst ist vor allem ein geändertes Kommunikationsverhalten zu beobachten. Ola Källenius von Mercedes etwa stellt nicht das EU-Ziel für 2035 infrage. Vielmehr zweifelt er die eigene selbstbewusste Ansage an, ab 2030 – fünf Jahre vorher – keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zu verkaufen. Was das genau bedeuten sollte, lassen die Vertreter der Autoindustrie ohnehin gerne im Unklaren. Hatte Mercedes gemeint, ab 2030 ausschließlich Elektroautos in Europa anzubieten? Oder waren auch Plug-in-Hybride inbegriffen? Im vierten Quartal 2023 jedenfalls lagen diese beiden Antriebe zusammen bei 43 Prozent der Neuzulassungen (19 Prozent BEV, 22 Prozent PHEV). Es ist keineswegs abwegig, dass Mercedes ab 2030 kaum noch Fahrzeuge ohne Ladestecker verkauft. Sicher ist sich Ola Källenius nicht.

Dass es zu einer kompletten Abschaffung des CO₂-Flottengrenzwerts kommt, ist äußerst unwahrscheinlich. Ein wesentlicher Grund dafür ist der internationale Wettbewerb, in dem die europäische Autoindustrie steht: Elektroautos sind nicht mehr wegzudenken, und das Tesla Model Y war im vergangenen Jahr das meistverkaufte Auto – nicht nur Elektroauto – der Welt.

Die Aufgaben für die nächste EU-Kommission sind andere: Zum einen muss geklärt werden, wie mit staatlich subventionierten Elektroautos aus China umgegangen wird, ohne einen Handelskrieg zu provozieren. Die reale Gefahr, die der europäischen Autoindustrie wegen dieser Marktverzerrung droht, sollte nicht unterschätzt werden. Bei Fahrrädern und E-Bikes gibt es längst hohe Anti-Dumpingzölle: Auf den ohnehin vorhandenen Einfuhrzoll von 14 Prozent sowie der Mehrwertsteuer von 19 Prozent sind auf Fahrräder aus China weitere 48,5 Prozent und auf E-Bikes 62,1 Prozent fällig.

Zum anderen hat es die Europäische Union verpasst, auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) zu reagieren. Eine Steuergutschrift von 7500 US-Dollar beim Kauf eines Elektroautos gibt es nur unter bestimmten Voraussetzungen: So muss ein Großteil der Wertschöpfung in den USA oder einem Land mit Freihandelsabkommen stattfinden, und die Menge der erlaubten Rohmaterialien aus China und Russland wird minimiert oder gestrichen. Der wichtigste Profiteur des IRA ist übrigens das ressourcenreiche Kanada. Derzeit werden gigantische Investitionen von Europa in die USA oder Kanada umgeleitet, und es ist unverständlich, dass die europäische Politik seit 2022 keine Antwort darauf hat. Die wachsende Produktion von Elektroautos ist längst zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren geworden. Die ökonomische und industriestrategische Dimension hat die ökologische verdrängt.

(mfz)