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Die X-Akten der Astronomie: Der Untote und seine Geister-Planeten

Alderamin
Die X-Akten der Astronomie:

Gleich die allerersten entdeckten Exoplaneten geben bis heute große Rätsel auf: Sie wurden an Orten gefunden, wo sie längst vernichtet worden sein müssten.

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Können Planeten es überleben, wenn ihr Stern zur Supernova wird? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft es, sich den Ablauf einer klassischen Supernova vor Augen zu rufen – die "Kernkollaps-Supernova". Im Zentrum massiver Sterne werden am Ende ihres Lebens in zunehmend kürzerer Folge immer schwerere Elemente fusioniert. Wenn für eine Kernreaktion nicht mehr genug Brennstoff vorhanden ist und ihr Strahlungsdruck nachlässt, drückt das Gewicht des Sterns sein Inneres zusammen und heizt es dabei auf, bis die nächsthöhere Fusionsstufe zündet, die den Stern mit ihrem Strahlungsdruck weiterhin stabilisiert.

Das Ende der Fahnenstange wird schließlich beim Eisen erreicht – die Fusion von Eisen setzt keine Energie mehr frei, sondern bindet im Gegenteil Energie und der stabilisierende Strahlungsdruck fällt somit plötzlich weg. Während bei Sternen bis unter 10 Sonnemassen der Kern von bis zu 1,4 Sonnenmassen durch den Entartungsdruck der Elektronen stabilisiert wird und als Weißer Zwerg endet [17], reicht der bei massiveren Sternen nicht mehr aus: Die Elektronen werden in die Atomkerne gedrückt und vereinigen sich unter Freisetzung von Unmengen an Neutrinos mit den Protonen zu Neutronen, so dass nichts als Neutronen von den Atomen übrig bleiben.

Die Neutronen nehmen wesentlich weniger Raum in Anspruch als die Eisenatome zuvor, und der Eisenkern von rund 10.000 km Durchmesser kollabiert ruckartig unter seinem Gewicht zu einem Ball aus Neutronen mit einem Durchmesser von 20-30 Kilometern – einem Neutronenstern. Sterne mit mehr als ungefähr 25 Sonnenmassen kollabieren zu einem Schwarzen Loch, aber um die soll es hier nicht gehen.

Zurück zum gerade entstandenen Neutronenstern: Die in dem entstandenen Hohlraum haltlos auf ihn stürzende Sternenmaterie wird durch die zurücklaufende Stoßwelle so stark komprimiert und erhitzt, dass ein großer Teil des Sterns thermonuklear zündet – eine gigantische Wasserstoffbombe. Bei einer Supernova setzt ein Stern binnen Sekunden eine Energie von 1044 Wattsekunden frei. Das ist ungefähr die Energiemenge, die unsere Sonne bei aktueller Leuchtkraft innerhalb von 10 Milliarden Jahren produziert.

Der Physiker Randall Monroe hat auf seiner xkcd-Seite ausgerechnet [18], dass die Helligkeit einer Supernova in der Entfernung der Erde zur Sonne rund eine Milliarde mal heller ist, als eine Wasserstoffbombe, die direkt vor dem eigenen Auge explodiert – was daran liegt, dass bei einer Wasserstoffbombe nur ein paar Kilogramm Wasserstoff fusionieren, während es bei der Supernova 2 bis 5 * 1031 Kilogramm sind. Selbst nach der Explosion leuchtet der Stern noch wochenlang mit der zehnmilliardenfachen Leuchtkraft der Sonne, weil die ausgeworfenen Fusionsprodukte einige zehntausend Erdmassen [19] an radioaktivem Nickel-56 enthalten, das über Kobalt-56 zu Eisen-56 zerfällt.

CC BY 4.0

Die Spiralgalaxie NGC 1288 aufgenommen mit dem Very Large Telescope der ESO: Alle weißen, scharf begrenzten Punkte im Bild sind Vordergrundsterne der Milchstraße – bis auf jenen links vom Zentrum der Galaxie. Es handelt sich um die Supernova SN 2006dr, die am 17. Juni 2006 in der 200 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie aufleuchtete. Sie war vom Typ Ia.

(Bild: ESO, CC BY 4.0 [20])

In Folge der Explosion verliert der Vorgängerstern (Progenitor) einen großen Teil seiner Masse, die mit tausenden Kilometern pro Sekunde ins All geschleudert wird. Oft erfolgt die Explosion asymmetrisch und der verbliebene Neutronenstern erhält durch den gerichteten Rückstoß einen Kick von bis zu hunderten Kilometern pro Sekunde.

Könnten Planeten so etwas überleben? Sicher nicht. Wenn sie schon nicht aufgeschmolzen und weggeblasen werden, verliert der Stern mit seiner ausgeworfenen Materie einen Großteil seiner Masse – die ehemals mehr als zehn Sonnenmassen hinterlassen einen Neutronenstern von 1,4 bis ungefähr 2,8 Sonnenmassen, dessen Fluchtgeschwindigkeit kleiner als die Kreisbahngeschwindigkeit des Vorgängersterns ist. Somit müssten mutmaßliche Planetenreste in alle Richtungen davonfliegen. Das dachte man jedenfalls noch vor 30 Jahren.

Schnitt – wir befinden uns Anfang der 1990er. Bisher wurde noch kein Planet außerhalb des Sonnensystems entdeckt. Man war technisch erstmals so weit, Exoplaneten aufspüren zu können, und hoffte, sie mittels hochauflösender Echelle-Spektrographen [21], der neuen CCD-Sensortechnik und computergestützter Bildverarbeitung in den Spektrallinien eines Fixsterns nachzuweisen. Durch die Masse der umlaufenden Planeten würde der Stern in eine Taumelbewegung um den Schwerpunkt des Systems, das Baryzentrum, gezwungen, die sich als winzige periodische Verschiebung seiner Spektrallinien aufgrund des Dopplereffekts äußern sollte.

Doch bevor den im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichneten schweizerischen Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz 1995 die erste Entdeckung eines Exoplaneten um einen gewöhnlichen Stern gelang, stürmten ungeladene Gäste die Premierenbühne und sorgten für lange Gesichter und große Ratlosigkeit. Das polnisch-kanadische Radioastronomen-Team Alexander Wolszczan und Dale Frail hatte schon am 9. Januar 1992 in der Fachzeitschrift Nature vermeldet, ihnen sei mithilfe des 300 Meter durchmessenden Arecibo-Radioteleskops [22] der Nachweis gelungen, dass der am 2. Februar 1990 von ihnen entdeckte, 2300 Lichtjahre entfernte Pulsar PSR B1257+12 im Sternbild Jungfrau von mindestens zwei Exoplaneten umkreist werde.

Pulsare – 1967 von Jocelyn Bell entdeckt, wofür ihr Doktorvater 1974 den Nobelpreis einstrich – wiederum sind Neutronensterne, die mit der Präzision einer Atomuhr regelmäßige Pulse von Radiowellen aussenden. Sie haben ein starkes Magnetfeld, dessen Achse gegen die Rotationsachse verkippt ist und welches geladene Teilchen in ihrer Umgebung beschleunigt. Beschleunigte Ladung produziert Radiowellen. Jedes Mal, wenn in Folge der Rotation die Magnetachse kurz die Sichtlinie zur Erde überstreicht, trifft uns diese Radiostrahlung, ähnlich wie der kreisende Scheinwerferkegel eines Leuchtturms periodisch den Beobachter trifft.

Normalerweise liegt die Pulsrate in der Größenordnung von einer Sekunde oder darunter. Manche Neutronensterne rotieren jedoch extrem schnell – bis hinunter zu Millisekunden. Der schnellste bekannte rotiert 716-mal pro Sekunde und sendet folglich alle 1,4 Millisekunden einen Puls in Richtung Erde. Es gilt als gesichert, dass sich die Millisekundenpulsare nicht alleine aufgrund schneller Rotation ihres Progenitors so schnell drehen, sondern dass sie von einem Begleitstern übergeflossene Materie aufgefangen haben.

Diese Materie sammelt sich zunächst in einer rotierenden Akkretionsscheibe um den Pulsar, wo sie durch Reibung, Aufheizung und Strahlung Energie abbauen muss, um allmählich auf den Neutronenstern hinunter spiralen zu können. Der Drehimpuls bleibt dabei erhalten und geht auf den Neutronenstern über, der sich zunehmend schneller in Richtung des einfallenden Materials dreht. Auf diese Weise wurden Millisekundenpulsare zu immer schneller Rotation hochgetrieben. Auch PSR B1257+12 ist so ein Millisekundenpulsar, der 160,8 Mal pro Sekunde seine Pulse in Richtung Erde schickt. Würde man seine Pulse hörbar machen, würde er brummen wie ein bassiger Brummkreisel.

Wolszczan und Frail machten sich die präzisen Pulse zunutze, um die Signatur der Planeten in ihnen zu orten. Wie bei gewöhnlichen Sternen zwingen die umlaufenden Planeten dem Pulsar eine Taumelbewegung um das Baryzentrum auf. Diese verrät sich auch hier durch den Dopplereffekt: Statt schaukelnder Spektrallinien maßen Wolszczan und Frail, wie sich die Pulse des Pulsars geringfügig verlangsamten, wenn er sich auf seiner Bahn von der Erde entfernte, und beschleunigten, wenn er sich ihr wieder näherte, das heißt die Pulsfrequenz wurde moduliert.

Eine genauere Analyse der Modulation lieferte die überlagerten Schwingungen zweier Planeten, aus deren Periode die Umlaufzeiten und aus deren Amplituden die jeweilige Masse der Planeten im Verhältnis zu derjenigen des Pulsars folgte. Die Symmetrie der Schwingungen ließ auf fast perfekt kreisförmige Umlaufbahnen folgern. Demnach hatten die Planeten (nach heutigen Zahlen) 4,13 und 3,82 Erdmassen und ihre Abstände vom Pulsar betrugen 0,36 AE (Astronomische Einheit, also die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne) und 0,46 AE. Zum Vergleich: Merkur, der innerste Planet der Sonne, umkreist sie in 0,39 AE mittlerer Entfernung. Die Umlaufzeiten der Pulsarplaneten lagen bei 66,5 und 98,2 Erdtagen.

Die Meldung der Entdeckung der Pulsarplaneten wurde anfangs mit großer Skepsis von der Fachwelt aufgenommen. Es war schlichtweg nicht vorstellbar, dass Planeten eine Supernova überleben könnten, schon gar nicht in so geringer Entfernung zu ihrem Stern. Frail und Wolszczan hatten die Planeten schon 1990 entdeckt, aber bis zum Januar 1992 mit ihrer Veröffentlichung gewartet, um alle Fehlerquellen ausschließen zu können. Im Jahr zuvor hatte der Brite Andrew Lyne bereits einen Planeten um einen anderen Pulsar mit exakt sechs Monaten Umlaufzeit gemeldet. Leider stellte sich heraus, dass es sich bei dem Planeten um die Erde handelte, die mit ihrem Umlauf ebenfalls das Pulsarsignal modulierte, und Lyne hatte versehentlich eine Harmonische des Erdumlaufs nicht vollständig aus den Rohdaten getilgt.

Als alternative Erklärung für Wolszczans Ergebnisse wurde vorgeschlagen, dass die Rotationsachse des Pulsars vielleicht wie ein Kreisel präzedieren [23] könnte, was die periodische Modulation der Pulslängen erklären würde – allerdings schwerlich gleich für zwei Periodendauern. Dass die Pulsarplaneten eine 2:3-Bahnresonanz zeigten – für je drei Umläufe des inneren Planeten vollführte der äußere zwei – sprach gleichfalls für ihre Echtheit. Solche Bahnresonanzen kennt man unter anderem von Neptun und Pluto (ebenfalls 2:3) und den Jupitermonden Ganymed, Europa und Io (1:2:4).

Andere Autoren rechneten vor, dass im Falle von Planeten diese durch ihre wechselseitige Gravitation Änderungen in der Umlaufzeit und Bahnellipsenform zeigen sollten, womit sich die Planetenursache der Modulation würde überprüfen lassen– und genau solche fanden Wolszczan und sein Mitarbeiter Maciej Konacki 1994. Dabei entdeckten sie noch einen dritten, sehr viel kleineren Planeten von nur 0,022 Erdmassen (knapp zwei Erdmondmassen) im Abstand von 0,19 Astronomische Einheiten und mit einer Umlaufzeit von 25,3 Tagen. Nach dieser Bestätigung der Vorhersage waren die Pulsarplaneten über jeden Zweifel erhaben. Bis heute wurden noch vier weitere solche Exoplaneten [24] um drei andere Pulsare entdeckt, einer davon [25] mit einer Umlaufzeit von mutmaßlich 100 Jahren.

DOI: 10.1086/377093

Die zeitliche Variation der Pulse von PSR B1257+12, wie sie von Wolszczan mit dem Arecibo-Radioteleskop gemessen wurde. Oben die Variation ohne Korrekturen (Kreise und Dreiecke sind Messpunkte, die Linien die beste Interpolation dieser Daten). In der Mitte wurden die Variationen um die Beträge von Planeten auf stabilen Keplerbahnen ohne wechselseitige Beeinflussung der Planeten durch ihre Gravitation reduziert. Dieses Modell hinterlässt eine Restvariation von ±20 Mikrosekunden. Im unteren Bild wurden die wechselseitigen gravitativen Einflüsse mit in der Reduktion berücksichtigt und es verbleiben nur noch zufällige Messfehler – dies belegt, dass nur echte Planeten die Modulation der Pulszeiten von PSR B1257+12 erklären können.

(Bild: M. Konacki und A. Wolszczan, DOI: 10.1086/377093 [26])

Die Planeten von PSR B1257+12 hießen zunächst einfach von innen nach außen A, B und C. 2015 wurden sie und der Pulsar schließlich in einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb mit Namen bedacht [27]: der Pulsar heißt seitdem offiziell Lich, die Planeten Draugr, Poltergeist und Phobetor. Lich (ausgesprochen Litch) ist das altenglische Wort für Leichnam und bezeichnet in der Fantasy-Fiktion Untote, Draugr ist eine Bezeichnung für Untote in der nordischen Mythologie und Phobetor, griechisch "der Erschrecker", ist eine Figur aus Ovids "Metamorphosen" und der Gott der Albträume.

Künstlerische Darstellung der Planeten von PSR B1257+12

Künstlerische Darstellung der Planeten von PSR B1257+12

(Bild: ASA/JPL-Caltech/R. Hurt (SSC))

Schon kurz nach der ersten Veröffentlichung von Wolszczan und Frail begannen die Theoretiker nach Lösungen für das Pulsarplaneten-Problem zu suchen – und kamen zurück mit einem ganzen Bündel an Möglichkeiten. Diese lassen sich im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen:

  1. Die Planeten gab es schon vor der Supernova.
  2. Die Planeten gingen aus den Trümmern der Explosion hervor.
  3. Die Planeten sind auf einen Begleitstern zurück zu führen.

Eine komplette Übersicht bietet eine Arbeit von Philipp Podsiadlowski [28] aus dem Jahre 1993, die im Wesentlichen noch immer Bestand hat.

Könnten die Planeten die Explosion überlebt haben? Angenommen, sie waren hinreichend massiv und haben die Schockwelle der Explosion überstanden, was könnte sie davor bewahrt haben, bei einem Massenverlust von mehr als der Hälfte der Sternmasse nicht verloren zu gehen?

a) Falls Lich durch die Explosion genau den richtigen Kick in die richtige Richtung bekommen hätte, dann hätte er den Geschwindigkeitsbetrag relativ zu einem flüchtenden Planeten verkleinern können und wäre ihm gewissermaßen hinterher geflogen, um ihn so wieder einzufangen.

Das ist nicht besonders wahrscheinlich, insbesondere nicht für gleich drei Planeten. Und falls doch würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf sehr elliptischen Bahnen geendet haben und es wäre schwer zu erklären, warum die heutigen Bahnen so kreisförmig sind. Es bestehen zudem berechtigte Zweifel, ob ein Progenitor, der mit mehr als zehn Sonnenmassen schwer genug ist, eine Kernkollaps-Supernova zu erleiden, überhaupt in der Lage wäre, Planeten zu bilden. Sein mächtiger Sternenwind würde in der Jugend die umgebende Staubscheibe bis in große Entfernung wegblasen und nichts für die Planetenbildung übrig lassen.

Die Explosion eines Einzelsterns erklärt zudem nicht, warum er zum Millisekundenpulsar wurde – es fehlt ein Partner, der ihn durch Materiezufluss auf Touren hätte drehen können. Schließlich wäre es ein so seltenes Ereignis, dass sich damit schwerlich alle sieben bekannten Pulsarplaneten erklären lassen. Wobei natürlich nicht alle notwendigerweise auf die gleiche Weise entstanden sein müssen.

b) Doppelsterne sind nichts Ungewöhnliches; zwei Drittel aller Sterne befinden sich in Doppel- und Mehrfachsystemen, die sich zum Teil eng umkreisen. Die Planeten könnten leichter gehalten werden, wenn sich im Zentrum des Systems ein enges Paar massiver Sterne befunden hätte. Wenn der schwerere der beiden dann als erster zur Supernova geworden wäre, hätte das System weniger als die Hälfte seiner Masse verloren und die Planeten wie auch der Begleiter wären gebunden geblieben. Der Begleitstern des Neutronensterns wäre dann später zum Roten Riesen expandiert und hätte den Neutronenstern dabei verschluckt und vereinnahmt, ein Thorne- Żytkow-Objekt [29] (TŻO) wäre entstanden, ein "Stern im Stern". Der Neutronenstern würde dabei nach innen wandern und selbst an Masse gewinnen, während er den größten Teil des Riesensterns mit seinen Jets binnen weniger 100.000 Jahre wegpusten würde.

Problematisch wäre es hier, zu erklären, warum die Bahnen der Pulsarplaneten so eng sind. Ein nennenswertes Hochdrehen der Rotation des Pulsars wäre in diesem Szenario auch nicht zu erwarten und das Ereignis wäre hinreichend selten, dass man keine weiteren Pulsarplaneten erwartet hätte. In der Milchstraße würde man nur 20 bis 200 solcher TŻOs erwarten. Bisher gibt es überhaupt erst einen bekannten Kandidaten [30].

c) Normalerweise können Weiße Zwerge höchstens 1,4 Sonnenmassen haben (Chandrasekhar-Grenze). Darüber hinaus kann der Entartungsdruck der Elektronen den Kollaps zum Neutronenstern nicht mehr verhindern. Der Supernova-Typ Ia soll darauf zurückgehen, dass ein Weißer Zwerg von einem Nachbarstern übergeflossene Materie aufsammelt und beim Überschreiten der Chandrasekhar-Grenze [31] kollabiert und explodiert, aber so heftig, dass kein Rest verbleibt.
Ein schnell rotierender Stern hätte jedoch hypothetisch einen überschweren Weißen Zwerg mit mehr als 1,4 Sonnenmassen produzieren können, der nur dadurch stabilisiert wurde, dass die Fliehkraft seiner Rotation einen Teil des Gewichtsdrucks von ihm genommen hätte. Durch sein mit ihm rotierendes Magnetfeld hätte er Rotationsenergie als Radiowellen abgestrahlt, bis er dann schließlich bei verlangsamter Rotation zum Neutronenstern kollabiert wäre – aber ohne dabei als Typ Ia-Supernova zu explodieren und ohne nennenswert Masse zu verlieren.

Das Problem dieses Vorschlags ist, dass zum einen nicht klar ist, warum sich ein solitärer Weißer Zwerg so schnell drehen sollte – auch diese müssen, soweit bekannt, von einem Begleiter durch Materiezufluss hochgedreht werden. Und es ist zudem unklar, warum er, wenn er kollabierte, nicht explodierte. Dies ist ja kein allmählicher Vorgang, sondern ein Einsturz unter Freisetzung immenser Mengen an Kernenergie. Es wird darüber spekuliert [32], aber es ist bis heute nicht sicher, ob dieses Szenario überhaupt möglich ist.

Die zweite Kategorie von Hypothesen nimmt an, dass die Planeten aus Restmaterie der Explosion selbst entstanden sein könnten. Stellvertretend hier nur ein Szenario:

a) Im Rückfall-Szenario soll ein Teil der Explosionswolke nicht genug Schwung bekommen haben oder durch Turbulenzen wieder nach innen gedrückt worden sein. Das Gas soll sich dann in einer Scheibe um Lich gesammelt haben und Planeten gebildet, wie es analog bei jungen Sternen geschieht.

Dieses Szenario wurde zunächst dadurch gestützt, dass bei einigen Supernova-Explosionen ein Maximum der Lichtkurve beobachtet worden war, welches gut zur Eddington-Leuchtkraft von Pulsaren aufgrund von Materieeinfall passte. Auf den Pulsar fallendes Material muss sich, wie erwähnt, zunächst in einer Scheibe sammeln und aufheizen, bevor es auf den Stern stürzen kann. Die Leuchtkraft des heißen Gases verursacht einen Strahlungsdruck, der mit zunehmendem Einfall von Materie zunimmt und den Zufluss schließlich auf eine maximale Rate limitiert, das ist die Eddington-Grenze [33]. Heller kann die Akkretionsscheibe nicht leuchten und genau so hell waren die beobachteten Supernovae im Maximum, was auf zurückfallende Materie schließen lassen könnte.

Neuere Arbeiten, die sich mit der Dynamik des zurückfallenden Plasmas beschäftigten, haben jedoch ergeben, dass nur eine Tausendstel Sonnenmasse zurückfallen würde und die Akkretionsscheibe mit so wenig Materie den Pulsarwind nicht lange genug überdauern würde, um Planeten zu bilden.

Die dritte und vielversprechendste Kategorie nimmt schließlich an, dass die Planeten zwei Eltern haben, wie andere Leute auch. Sie entstanden demnach aus einem Begleiter des Progenitors.

a) Im Lich-System umkreisten sich ursprünglich zwei Weiße Zwerge, die durch Abstrahlung von Gravitationswellen einander näherkamen. Schließlich zerrissen die Gezeitenkräfte den kleineren Stern und er bildete eine Akkretionsscheibe um den größeren. Ein Großteil der Materie wurde als Jet aus der Scheibe geschossen, ein Teil fiel auf Lich, ließ ihn zum Neutronenstern kollabieren und auf Millisekunden-Rotationsrate hochdrehen. Aus dem Rest der Scheibe entstanden Draugr, Poltergeist und Phobetor.

Das Problem hier ist das gleiche wie beim überschweren Weißen Zwerg, der schließlich kollabiert sein soll: Kollidierende Weiße Zwerge sind heiße Kandidaten [34] für eine alternative Route zu Typ-Ia-Supernovae, die keinen Rest hinterlassen.

b) Ein anderes Szenario sieht vor, dass der Pulsar einen blauen Riesenstern zum Begleiter hatte, der schließlich zu einem Roten Riesen mit besonders starkem Sternwind expandierte, aber weit genug vom Pulsar entfernt war, sodass kein direkter Massentransfer stattfinden konnte. Stattdessen soll der Pulsar einen Teil des Sternwinds des Riesensterns in einer Akkretionsscheibe eingefangen haben, in der sich die Planeten formten. Der Rote Riese sei schließlich asymmetrisch explodiert und habe sich dabei aus dem System gekickt.

Hierbei müsste die Entfernung mit ungefär 5 AE genau gestimmt haben – zu nahe und der Neutronenstern wäre mit dem Roten Riesen verschmolzen, ohne Planeten zu bilden. Zu weit, und er hätte nicht genug Materie auffangen können. Es ist aber unklar, ob diese gereicht hätte, ihn zum Millisekundenpulsar hoch zu beschleunigen und wie die Scheibe die Explosion des Roten Riesen hätte überstehen können.

c) Im einfachsten Fall hatte der Vorgängerstern von Lich einen kleinen Begleitstern, der durch die Supernova und den folgenden Sternwind des Pulsars so weit abgetragen worden war, bis nur noch die Masse eines Planeten übrig blieb („Black Widow Pulsar“).

Dieses Szenario würde für einen einzelnen Pulsarplaneten funktionieren und kommt für zwei der drei anderen bekannten Pulsar-Planetensysteme in Frage, aber nicht für Lich mit seinen drei Planeten.

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d) In einer Variante von c) hatte Lich als Pulsar einen kleinen Roten Zwerg von 0,1 bis 0,3 Sonnenmassen als Begleiter, der vom Pulsarwind erodiert wurde. Das aufgeheizte Gas des Zwergsterns hätte sich unter der immer kleiner werdenden Last seines eigenen Gewichts zunehmend ausgedehnt, bis der Stern sein Roche-Volumen ausgefüllt hätte, jenseits dessen die Schwerkraft des Neutronensterns stärker als die des Zwergsterns wurde, sodass Materie begann, zum Pulsar überzufließen. Dabei wurde der Pulsar hochgedreht, der Rest des Zwergsterns schließlich vom Wind des Pulsars und der Akkretionsscheibe wegerodiert und aus der Scheibe die Planeten gebildet.

In einer Arbeit aus dem Jahr 2016 [36] haben Rebecca Martin, Mario Livio und Divya Palaniswamy von der Universität Las Vegas vorgerechnet, ob das Szenario d) plausibel wäre. Damit sich Planeten in der Akkretionsscheibe bilden können, muss diese eine "tote Zone" enthalten, in der das Gas nicht durch von den Magnetfeldern des Pulsars verursachte Turbulenzen durcheinander gewirbelt wird und in der die Dichte des Gases noch hoch genug ist, um Planeten zu bilden. Das Gas wird nur dort von den Magnetfeldern beeinflusst, wo es durch Aufheizung als elektrisch leitendes Plasma vorliegt, was bei Temperaturen oberhalb von 800-1400 K der Fall ist. Sie errechneten, dass unterhalb einer gewissen Dichte eine geeignete tote Zone existieren kann.

Die Entstehung der Planeten wäre typischerweise jenseits von 1 AE vom Pulsar entfernt möglich. Durch Interaktion der Planeten mit der Scheibe könnten sie dann weiter nach innen gewandert sein, bis der Pulsar die Scheibe aufgelöst hätte und dort wären sie auf kreisförmigen Bahnen verblieben. Die 2:3-Resonanz der großen Planeten spricht für eine solche Migration, sie stellt sich im Laufe der Wanderung der Planeten nach innen irgendwann ein und stabilisiert die Umlaufbahnen gegen weitere Migration.

Nur 10 Prozent der Kernkollaps-Progenitoren haben so kleine Begleiter und nur 10 Prozent unter diesen würden jene auch bei einer Supernova halten können. Kombiniert mit der Notwendigkeit einer toten Zone würden geeignete Bedingungen demnach nur bei weit weniger als 1 Prozent aller entstandenen Pulsare herrschen, so dass das Szenario plausibel die geringe Zahl gefundener Pulsar-Planetensysteme erklären kann, bei tausenden bekannten Pulsaren aber auch nicht zu unwahrscheinlich wäre, um die insgesamt vier bekannten Systeme zu erklären.

Ist das Problem der Pulsarplaneten damit gelöst? Keinesfalls. Es gibt zu viele Hypothesen, zwischen denen die Beobachtungen nicht unterscheiden können. Dass das letzte Szenario plausibel ist, heißt nicht, dass es stimmt – möglicherweise ist keines der genannten korrekt, vielleicht aber auch eines der als unwahrscheinlich verworfenen, oder vielleicht gibt es mehrere funktionierende Mechanismen. Während die Astronomen dank der Fortschritte durch die Weltraumteleskope Kepler, CoRot und erdgebundene Beobachtungen mit Mikrowellen-Radioteleskopen und empfindlichen Spektrographen heute eine solide Vorstellung davon haben, wie Planeten um gewöhnliche Sterne entstehen, bleiben die geisterhaften Pulsarplaneten Draugr, Poltergeist und Phobetor wie ihre Kumpel in den anderen drei Pulsar-Planetensystemen so mysteriös wie ihre Namensgeber. Daher fanden sie zurecht Einzug in den Anomalienkatalog des Breakthrough-Listen-Projekts.

Quellen:

(mho [39])


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[1] https://www.heise.de/news/SETI-Katalog-von-astrophysikalischen-Anomalien-fuer-Suche-nach-Ausserirdischen-4792267.html
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[3] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Wow-Signal-oder-Ist-da-jemand-4856930.html
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[17] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Weisse-Zwerg-4848978.html
[18] https://what-if.xkcd.com/73/
[19] https://arxiv.org/abs/1702.00416
[20] https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Echellegitter
[22] https://www.heise.de/news/Arecibo-Observatorium-durch-gerissenes-Drahtseil-stark-beschaedigt-4868387.html
[23] https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/96/Video_animation_gyroscope_precession.ogv
[24] https://en.wikipedia.org/wiki/Pulsar_planet
[25] https://en.wikipedia.org/wiki/PSR_B1620%E2%88%9226
[26] https://www.researchgate.net/publication/1931887_Masses_and_Orbital_Inclinations_of_Planets_in_the_PSR_B125712_System
[27] https://www.heise.de/news/Amateru-Poltergeist-Phobetor-Fafnir-Dutzende-Exowelten-getauft-3044463.html
[28] http://articles.adsabs.harvard.edu/cgi-bin/nph-iarticle_query?bibcode=1993ASPC...36..149P&db_key=AST&page_ind=0&plate_select=NO&data_type=GIF&type=SCREEN_GIF&classic=YES
[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Thorne-%C5%BBytkow-Objekt
[30] https://de.wikipedia.org/wiki/HV_2112
[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Chandrasekhar-Grenze
[32] https://academic.oup.com/mnrasl/article/438/1/L86/1008436
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Eddington-Grenze
[34] https://scienceblogs.de/alpha-cephei/2018/06/02/gaia-liefert-teil-4-die-revolution-rollt-weiter/
[35] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[36] https://iopscience.iop.org/article/10.3847/0004-637X/832/2/122/pdf
[37] http://articles.adsabs.harvard.edu/cgi-bin/nph-iarticle_query?bibcode=1993ASPC...36..149P&db_key=AST&page_ind=0&plate_select=NO&data_type=GIF&type=SCREEN_GIF&classic=YES
[38] https://iopscience.iop.org/article/10.3847/0004-637X/832/2/122
[39] mailto:mho@heise.de