Die X-Akten der Astronomie: Das Rätsel der Braunen Riesen

Braune Zwerge sind Himmelskörper irgendwo zwischen Planeten und Sternen – klein und lichtschwach. Nun haben Astronomen große Exemplare gefunden, oder nicht?

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Die X-Akten der Astronomie: Das Rätsel der Braunen Riesen
Lesezeit: 22 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online stellen wir einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung vor und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Auf der Suche nach den Ursprüngen "fehlgeschlagener Sterne", der sogenannten Braunen Zwerge, beobachteten Astronomen 2009 einen jungen Sternhaufen in der Milchstraße und stießen auf etwas völlig Unerwartetes: eine bis dahin unbekannte Familie seltsam aufgeblähter, abnormal kühler Sterne, deren Atmosphären offenbar Wasserdampf enthielten. Was hat es mit diesen Sternen auf sich? Gibt es Riesen unter den Braunen Zwergen? Die Forscher haben eine überraschende Theorie.

Wann ist ein Stern eigentlich ein Stern? Und wo hören Planeten auf, Planeten zu sein? Die Antworten auf diesen Fragen sind weniger trivial als man denkt. Zwar geht es natürlich um eine Definition, aber in der Wissenschaft sollen Definitionen nicht willkürlich sein, sondern eine charakteristische Eigenschaft eines Objekts aufgreifen, die etwas über die Natur oder Entstehung des Objekts verrät. Aus verschiedenen Auffassungen über die Sinnhaftigkeit der Kriterien (gemischt mit einer Portion Nationalstolz) rührt etwa die jahrelange Diskussion über die längst geklärte Frage, ob die Definition eines Planeten Pluto mit einschließen soll oder nicht.

Nach oben hin scheint die Trennlinie zwischen Planeten und Sternen unstrittig zu sein: Wenn das Objekt aus eigener Energiequelle leuchtet, ist es ein Stern – reflektiert es nur Licht von einem Stern, handelt es sich um einen Planeten. Und damit ein Stern leuchten kann, muss in seinem Inneren Kernfusion ablaufen. Doch junge Gasplaneten sind noch heiß von der auf sie einstürzenden Materie und leuchten aufgrund noch andauernder Kontraktion selbst, vor allem im Infraroten. Selbst die Sonne leuchtet letztlich nur, weil sie ein Ball aus heißem Gas ist. Die Kernfusion in ihrem Inneren sorgt lediglich dafür, dass sie das über Milliarden Jahre lang auch bleibt und nicht einfach unter ihrem Gewicht zum Weißen Zwerg schrumpft, wobei sie selbst dann noch durch die Kompressionswärme lange heiß bliebe und weiter leuchten würde, für dutzende Millionen Jahre.

Auf der anderen Seite gibt es eine Klasse von Objekten, in denen wahrscheinlich nur kurzzeitig die Fusion von Wasserstoff mit Deuterium, also schwerem Wasserstoff, stattfindet. Die kann bei niedrigerem Druck und geringerer Temperatur ablaufen, als die Wasserstofffusion in echten Sternen. Deuterium ist jedoch nur zu einem Anteil von nur 0,015 Prozent in Wasserstoffgas enthalten, und so reicht der Vorrat nicht lange. Danach leuchten die Objekte nur noch aufgrund ihrer gespeicherten Wärme und kühlen langsam aus. Dennoch sollen sie wie gewöhnliche Fixsterne direkt aus einer kollabierenden Gaswolke entstehen, und nicht wie Planeten in einer Gas- und Staubscheibe, die sich um einen neu entstehenden Stern geformt hat. Solche Objekte werden nicht mehr zu den Fixsternen gezählt, für die andauernde Wasserstofffusion über den größten Teil ihres Lebens das definierende Kriterium ist.

Die Existenz sogenannter "substellarer Objekte", die mindestens 13 Jupitermassen zusammenbringen müssen, um Deuterium fusionieren zu können, wurde erstmals 1963 vorgeschlagen: Zum Vergleich: Die Sonne hat 1000 Jupitermassen, die kleinsten Wasserstoff-fusionierenden M8-Sterne etwa 0,08 Sonnenmassen oder 80 Jupitermassen. Sie erhielten 1975 ihren heutigen Namen. Weil sie hauptsächlich im Infrarotlicht strahlen und für das bloße Auge tiefrot erscheinen müssten, hätte man sie "Rote Zwerge" nennen können, aber weil dieser Name schon für die kühlsten Wasserstoff-fusionierenden Fixsterne vergeben war, nannte Jill Tarter sie in seiner Arbeit wenig inspirierend "Braune Zwerge".

Braune Zwerge sind nur schwer zu beobachten, denn sie sind ausgesprochen lichtschwach. Nicht nur aufgrund ihrer niedrigen Temperatur – die abgestrahlte Leistung pro Fläche hängt von der 4. Potenz der Temperatur ab, und die bisher aufgespürten Braunen Zwerge liegen zwischen 2700 K und 250 K Oberflächentemperatur (letzteres sind -20 °C). Sondern auch, weil sie so klein sind, durchgehend über ihren Massenbereich nur etwa so groß wie der Jupiter mit nur etwa 1/100 der Oberfläche der Sonne.

Man kann sie ausschließlich im Infrarotlicht nachweisen, insbesondere, wenn sie noch jung und nach ihrer Kontraktion aus einer Gaswolke aufgeheizt sind. Erst 1995 wurde in der Nachbarschaft der Sonne der erste Braune Zwerg gefunden: der nur 18,8 Lichtjahre entfernte Gliese 229B, als Begleiter des zuvor schon bekannten Roten Zwergs Gliese 229 (der somit zu 229A wurde). Gliese 229B bringt etwa 30 bis 50 Jupitermassen auf.

Das Infrarot-Weltraumteleskop WISE entdeckte bei seiner vollständigen Himmelsdurchmusterung 2010-2011 noch zahlreiche weitere Braune Zwerge, unter anderem das System Luhman 16A und B, das mit nur 6,5 Lichtjahren Entfernung drittnächste Sternsystem. Mit ihren 29 und 34 Jupitermassen belegen sie, dass Braune Zwerge wie Sterne entstehen und insofern auch Binärsysteme bilden. Selbst heute werden in den WISE- und NEOWISE-Daten, dem Nachfolgeprojekt von WISE mit demselben Gerät, noch Braune Zwerge gefunden.

Der Sternhaufen im Gasnebel NGC 3603

(Bild: NASA, ESA, R. O'Connell (University of Virginia), F. Paresce (National Institute for Astrophysics, Bologna, Italy), E. Young (Universities Space Research Association/Ames Research Center), the WFC3 Science Oversight Committee, and the Hubble Heritage Team (STScI/AURA))

Um mehr über die Entstehung und Häufigkeit der Braunen Zwerge in Erfahrung zu bringen, nahm ein Team aus italienischen und amerikanischen Astronomen um Loredana Spezzi im Jahre 2009 mit der nur wenige Monate zuvor installierten Wide Field Camera 3 (WFC3) des Hubble-Weltraumteleskops einen sehr jungen Sternhaufen ins Visier, der sich 22.500 Lichtjahre von der Erde entfernt im Zentrum der riesigen HII-Region NGC 3603 im Sternbild Carina (Schiffskiel) am Südhimmel befindet. HII-Regionen sind Sternentstehungsgebiete, in denen das UV-Licht junger Riesensterne das umgebende Wasserstoffgas ionisiert und so zum Leuchten bringt (HII ist der astronomische Fachbegriff für ionisierten Wasserstoff). Das bekannteste Beispiel einer HII-Region ist sicherlich der Orionnebel Messier 42.

NGC 3603 ist 100-fach leuchtkräftiger als der Orionnebel und enthält schätzungsweise 10.000 Sonnenmassen. Damit ist er der erdnächste Prototyp eines "Starburst-Sternhaufens", in dem eine massive Welle der Sternentstehung stattfindet, wie sie auch bei der Genesis der Milchstraße in großem Maßstab vonstattengegangen sein muss. Neben den Riesen entstehen dort auch die kleineren Sterne inklusive der Braunen Zwerge, und die Autoren wollten mehr darüber in Erfahrung bringen, auf welche Weise und mit welcher Häufigkeit kleinere Sterne entstehen und zu welchem Anteil sie somit möglicherweise zur Masse der Milchstraße beitragen könnten. Wobei ihnen vorher schon klar war, dass sie auf diese Entfernung nur gerade noch die schwächsten echten Fixsterne würden aufspüren können, aber "Versuch macht kluch" und schlimmstenfalls hat man zumindest einen Messpunkt an der Grenze zu den Braunen Zwergen bestimmt.

Bis dahin waren solche Studien nur an Sternentstehungsgebieten in Sonnennähe durchgeführt worden, die wesentlich kleiner und auch teils deutlich älter sind als NGC 3603. Das Team kam auf ein Alter von weniger als 3 Millionen Jahren für ein Drittel der Sterne, ein weiteres Drittel ist bis zu 10 Millionen Jahre alt und das älteste Drittel bis zu 20 oder 30 Millionen Jahre. Um die kühlsten Sterne aufspüren zu können, nutzten sie verschiedene Infrarotfilter der WFC3, die es erstmals ermöglichte, den gesamten Sternhaufen formatfüllend im gleichen Blickfeld aus dem Weltraum aufzunehmen.

Letzteres war entscheidend, weil die Erdatmosphäre Wellenlängen über 1 µm stark absorbiert, vor allem wegen des Wasserdampfs, der um 1,4 µm ein breites Absorptionsband hat – und genau auf dieses hatten es die Astronomen abgesehen, denn Wasser tritt in Sternatmosphären nur unterhalb von 3000 K auf, was nahe an der unteren Grenze der Oberflächentemperatur von Fixsternen liegt (ca. 2800 K).