Die X-Akten der Astronomie: Die spukhafte Leoncino-Zwerggalaxie

Auf Aufnahmen mit 40 Jahren Abstand hat eine Zwerggalaxie anscheinend nicht nur ihre Position verändert, sondern auch ihre Form. Die Hintergründe sind unklar.

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Die X-Akten der Astronomie: Die spukhafte Leoncino-Zwerggalaxie
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Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Galaxien, riesige Welteninseln aus meist Milliarden von Sternen, verändern sich nur äußerst langsam. Unsere Milchstraße hat sich seit ihrer Entstehung vor 13 Milliarden Jahren erst rund 50 Mal um sich selbst gedreht. Erst seit 16 Umdrehungen gibt es Erde und Sonne. Vor der letzten Umdrehung entstanden gerade die allerersten Dinosaurier, die erst vor einer Viertelumdrehung wieder ausstarben. Die riesigen Entfernungen zwischen den Sternen verbieten, dass sich eine Galaxie binnen eines Menschenlebens sichtbar verändert – mit Ausnahme der vergleichsweise winzigen Kerne von aktiven Galaxien, um die es heute nicht gehen soll.

Die X-Akten der Astronomie

Die kleine Galaxie SDSS J094332.35+332657.6, die wegen ihrer Position im Sternbild Kleiner Löwe (Leo Minor) auch "Leoncino-Zwerggalaxie" (italienisch für "Löwenjunges") genannt wird, scheint das nicht zu kümmern. Die Astronomin Mercedes E. Filho von der Universität Lissabon und ihr Professor Jorge Sánchez Almeida von der Universität La Laguna, Teneriffa, fanden bei zufälligen Recherchen zu der Galaxie, dass sie in nur 41 Jahren ihre Helligkeit und Gestalt verändert zu haben scheint. Und als wenn das nicht genug wäre, verschwand ein heller Knoten und scheint sich ihr helles Zentrum verschoben zu haben. Wie lässt sich so etwas erklären?

Die Leoncino-Galaxie ist in der Tat ein Zwerg gegen unsere Milchstraße. Sie durchmisst lediglich 1000 Lichtjahre und besitzt eine Leuchtkraft von gerade einmal 160.000 Sonnenmassen. Allerdings ist sie in 8 Millionen Sonnenmassen an kühlem Wasserstoffgas eingebettet, wie radioastronomische Beobachtungen der mit ihr assoziierten Radioquelle AGC 198691 offenbarten (AGC steht für den Arecibo General Catalog). Die Zahlen stimmen für eine geschätzte Entfernung von 8 Megaparsec, das sind rund 25 Millionen Lichtjahre. Die Galaxie könnte aber auch ohne Weiteres doppelt so weit entfernt sein, dann wäre ihr Durchmesser doppelt so groß, sie hätte achtmal mehr Sterne und entsprechend viel mehr Gas.

Die Entfernung der Galaxie ist sehr unsicher, denn sie befindet sich in der Richtung des lokalen Voids. Voids (englisch für "Leeren") sind riesige Leerräume im Universum, um die sich Galaxienhaufen wie ein Gespinst aus Filamenten herum winden, zu welchen sich die Materie durch zufällige Überdichten nach dem Urknall unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammengezogen hat. Und daher scheint Leoncino mit einer Gruppe anderer Galaxien aus dem lokalen Void in unsere Richtung herauszufallen. Deswegen wird ihre kosmologische Rotverschiebung von ihrer großen Bewegung durch den Raum überlagert und es ist schwer zu sagen, welcher Anteil der 514 km/s, mit denen sie sich von uns entfernt, auf die Hubble-Lemaître-Expansion zurück zu führen ist und welcher auf den freien Fall in Richtung des Schwerpunkts unseres Laniakea-Superclusters.

Die Leoncino-Zwerggalaxie auf einer 3-Farben-Aufnahme der Wide Field Camera 3 des Hubble-Weltraumteleskops. Junge, blaue Sterne dominieren das Zentrum.

(Bild: McQuinn et al., arXiv)

Mit rund 19,5 Größenklassen Helligkeit um den Faktor 250.000 zu schwach für das bloße Auge machte Leoncino 2016 Schlagzeilen, weil sie offenbar kein Heavy-Metal-Fan ist: sie erwies sich als Rekordhalter für die bis dahin entdeckte metallärmste Galaxie. Im Jahr darauf wurde sie knapp unterboten, steht aber immer noch an zweiter Stelle. Solche Galaxien werden als XMP-Galaxien bezeichnet, was für "eXtremely Metal Poor" steht, also extrem metallarm. Astronomen bezeichnen alle Elemente schwerer als Wasserstoff und Helium als Metalle (siehe XKCD).

Leoncino ist metallarm, weil sie jung ist und gerade erst aus frischem, seit dem Urknall unverändert gebliebenem Wasserstoff-Helium-Gas Sterne bildet. Die sind wiederum interessant, weil es in der Milchstraße keine Sterne ohne Metalle mehr gibt und man an ihnen lernen kann, wie die früheste Sternenpopulation (Population III genannt) in der Milchstraße einmal ausgesehen hat. Man sagt der Population III nach, dass sie Sterne mit bis zu 1000 Sonnenmassen hervorgebracht haben soll, die nach einem kurzen Leben von nur einer Million Jahren als Hypernovae explodierten und so das Gas unserer Galaxie binnen ein paar Generationen rasch mit erbrüteten Metallen anreicherten, aus welchem dann Sterne mit Planetensystemen wie die Sonne entstanden.

Auf der Suche nach verschiedenen Aufnahmen der Galaxie fiel Filho und Sánchez Almeida zufällig auf, dass sie auf einer Aufnahme des Palomar Sky Survey POSS aus dem Jahre 1955 (wir erinnern uns) einen hellen Knoten im Norden zeigte, der auf POSS-Aufnahmen aus dem Zeitraum 1995 bis 1998 nicht mehr zu sehen war, also eine vorübergehende oder sogenannte "transiente" Quelle. Die Helligkeit der Quelle auf der POSS-I-Aufnahme im blauen Licht bestimmten die Autoren mit rund 21. Größenklasse. Eine rote POSS-I-Aufnahme der Galaxie reicht nur 20. Größenklasse und zeigt die Quelle nicht.

Palomar Sky Survey (POSS) Negativ-Aufnahmen der Leoncino-Zwerggalaxie aus den Jahren 1955 (POSS I) und 1995-1998 (POSS II). Die oberen beiden Zeilen sind Aufnahmen im roten Licht, die unteren beiden im Blauen; die eigentlich schwarz-weißen Negative sind zur besseren Unterscheidung eingefärbt. Die linke Spalte zeigt jeweils die Originalaufnahmen von 1955. Die mittlere Spalte zeigt abwechselnd von oben nach unten die (schärfere) Originalaufnahme von 1995-1998 und eine künstlich unscharf gerechnete Variante (Conv für convolved = "gefaltet"; das Bild wurde mit einer 2-dimensionalen Gaußfunktion verrechnet), welche die geringere Auflösung der 1955er-Aufnahmen simulieren soll. Die rechte Spalte zeigt das Differenzbild, das entsteht, wenn das Bild aus der mittleren Spalte von demjenigen aus der linken subtrahiert wird. Bei exakter Übereinstimmung würde im Differenzbild nichts außer Rauschen zu sehen sein. Dunkle Stellen bedeuten, dass im Bild links etwas (deutlicher) zu sehen ist als im Bild in der Mitte, helle Stellen, dass umgekehrt die Quelle im mittleren Bild deutlicher abgebildet ist.
Auf den POSS-I-Aufnahmen in Blau (links, Zeile 3 und 4) ist nördlich der Galaxie eine Aufhellung (Transient) zu sehen, die auf den POSS-II-Aufnahmen fehlt. Im Differenzbild in Spalte 3 hinterlässt sie einen dunklen Fleck. Auf den roten Aufnahmen ist die transiente Quelle nicht zu erkennen. Die Differenzbilder in Rot und Blau zeigen jedoch, dass das Zentrum der Galaxie Ende der 1990er heller geworden zu sein scheint.
Außerdem zeigen vor allem die blauen Aufnahmen eine Veränderung der Morphologie. In den POSS-I-Bildern ist die Galaxie kreisrund. In den POSS-II-Bildern erscheint sie elliptisch mit der großen Achse in Nordost-Südwest-Richtung ausgerichtet. Die übrigen "Sources" (Quellen) sind andere Galaxien im Hintergrund.

(Bild: M.E. Filho & J. Sánchez Almeida, arXiv)

Aber damit nicht genug: Die Bilder zeigen außerdem eine Formveränderung der Galaxie. Erscheint sie in den Aufnahmen von 1955 kreisrund, ist sie in den Aufnahmen aus den 1990ern klar elliptisch. Dies gilt im Übrigen auch für Großaufnahmen mit dem Hubble-Teleskop (Titelbild).

Messungen der Autoren an den Aufnahmen ergaben zudem, dass die Spitzenhelligkeit der Galaxie (also die hellste Stelle) zwischen den 1955er und 1995-98er-Aufnahmen um 0,7 Größenklassen (Faktor 2,0) zugenommen hat. Messungen im SDSS-Katalog zeigen weiterhin eine mehrjährige Helligkeitsschwankung der gesamten Galaxie seit 1998 um den Faktor 2,5 nur im Infrarotlicht. Die Helligkeiten im blauen und roten Licht der Galaxie sind seit den POSS-II-Aufnahmen im SDSS hingegen konstant geblieben.

Schließlich sei im PPMXL-Katalog (Positions and Proper Motions Extra Large) eine Eigenbewegung der Galaxie von 0,3 Bogensekunden über 40 Jahre angegeben. 0,3 Bogensekunden entsprechen etwa 38 Lichtjahren auf 25 Millionen Lichtjahre Entfernung. Demnach müsste sie sich mit fast Lichtgeschwindigkeit fortbewegt haben. Es ist ungewöhnlich, Eigenbewegungen für Galaxien in mehr als 1 Megaparsec (3,26 Miliionen Lichtjahrej) Entfernung zu registrieren; es handelt sich hierbei um Bewegungen in der Himmelsebene, im rechten Winkel zur Sichtlinie, im Unterschied zu Radialgeschwindigkeiten entlang der Sichtlinie, die sich mit sehr hoher Genauigkeit auch auf große Entfernungen durch die Verschiebung der Spektrallinien messen lassen.

Normalerweise werden Eigenbewegungen nur innerhalb der lokalen Gruppe beobachtet, und diese werden in einigen 10 Mikrobogensekunden pro Jahr gemessen. Hier liege wohl eher ein Kalibrierungsfehler in der PPMXL-Quelle vor, mutmaßen Filho und Sánchez Almeida. Bei dem Versuch, die Position der Galaxie relativ zu benachbarten Galaxien zu bestimmen, ermittelten die Autoren allerdings sogar eine Verschiebung des Helligkeitszentrums um ein Pixel nach Süden (etwa eine Bogensekunde im Bildmaßstab oder rund 125 Lichtjahre).

Nun kann man ohne lange nachdenken zu müssen ausschließen, dass es in Leoncino spukt und sich die Galaxie in 40 Jahren signifikant bewegt oder verformt haben könnte. Allerdings sind hier ja zunächst nur Beobachtungen beschrieben, während eine mutmaßliche Bewegung oder Verformung bereits eine Interpretation einer möglichen – oder vielmehr unmöglichen – Ursache wäre. Das wussten Filho und Sánchez Almeida natürlich auch, die beiden haben schon Jahre zuvor an XMP-Galaxien geforscht und sind Profis. Folgen wir ihrer Analyse, die verschiedenste Ursachen für die beobachteten Phänomene in Betracht zieht.

Zunächst einmal stellen sie fest, dass alle diese Effekte einzeln betrachtet schon ungewöhnlich sind. Dass sie dazu auch noch zusammen bei ein und derselben Galaxie im gleichen Zeitraum auftreten, mache es mehr als wahrscheinlich, dass sie alle irgendwie zusammenhängen.

Dass sich das Helligkeitszentrum der Galaxie verschoben hat, muss nicht bedeuten, dass sich etwas von einem Ort zum anderen bewegt hat. Vielmehr könnten einfach einige der Blauen Riesen, die in der Hubble-Aufnahme zu sehen sind, veränderlich sein und abwechselnd aufgeleuchtet sein. Das könnte auch die veränderte Morphologie erklären, allerdings nicht die transiente Quelle im Norden der Galaxie. Dort befindet sich kein Blauer Riese.

Ein zentrales massereiches Schwarzes Loch oder frühere Supernovae könnten Staub aus dem Zentrum in Richtung der transienten Quelle wie auch des Helligkeitszentrums etwas abseits des geometrischen Zentrums und möglicherweise im Vordergrund desselben geblasen haben, der im späteren Bild den Transienten komplett und das Helligkeitszentrum teilweise verdeckt hat, schreiben Filho und Sánchez Almeida. Aber selbst die schnellsten Jets, die von Schwarzen Löchern mit 10.000 km/s ausgestoßen werden, könnten in 40 Jahren nur 1,3 Lichtjahre überwinden; von Supernova-Stoßwellen angetriebener interstellarer Staub ist mit 100 km/s noch langsamer. Der Abstand vom Zentrum zur transienten Quelle ist mit rund 1000 Lichtjahren viel zu groß, als dass ausgestoßener Staub für die Verfinsterung der transienten Quelle und die Verschiebung des Helligkeitszentrums als gemeinsame Ursache infrage käme, meinen die Autoren.

Vielleicht ist die transiente Quelle ein offener Sternhaufen, dessen Helligkeit abgenommen hat. Ein solcher Sternhaufen könnte bei der gemessenen Helligkeit von 21. Größenklasse 10 bis 25 heiße, blaue Sterne der Spektralklassen O und B enthalten. Allerdings überdauern auch solche kurzlebigen Sterne immerhin 3 bis 6 Millionen Jahre und verschwinden nicht simultan in ein paar Jahrzehnten. Außerdem befindet sich kein Sternentstehungsgebiet am Ort des Transienten, aus dem die Sterne entstanden sein könnten – ein solches würde sich durch von den Sternen zum Leuchten angeregtes H-II-Gas verraten.

Die transiente Quelle könnte möglicherweise ein Vordergrundobjekt im Sonnensystem sein, das die erste Aufnahme gefotobombt hat. Ein Asteroid in beispielsweise 1 AE Entfernung von der Erde müsste je nach Albedo (Reflexionsvermögen) rund 150-350 m groß sein, um mit 21. Größenklasse zu leuchten. Ein solches könnte sich bei einer Umlaufzeit von 3 bis 6 Jahren um die Sonne langsam genug bewegt haben, um keine lange Strichspur auf der Aufnahme hinterlassen zu haben [Anmerkung des Autors: tatsächlich würde hier die Bewegung der Erde die größere Rolle spielen; ich hätte eher ein größeres Objekt im Kuiper-Gürtel jenseits der Neptunbahn mit 40 AE Entfernung in Betracht gezogen]. Allerdings sind Asteroiden, und das trifft vor allem auf solche im Kuiper-Gürtel zu, eher rötlich, während die transiente Quelle auf dem blauen Bild viel heller als auf dem roten erscheint. Die Verschiebung des Helligkeitszentrums oder die Veränderung der Morphologie würde so ein Objekt auch nicht erklären.

Wie wär’s mit einem Mini-Quasar? Schwarze Löcher, oder vielmehr die sie manchmal umgebenden Akkretionsscheiben, zählen zu effizientesten Energieerzeugern im Universum und übertreffen Sterne bei weitem. Nicht umsonst sind Quasare – die superhellen Zentren junger Galaxien, in denen supermassereiche Schwarze Löcher Unmengen des in die Galaxie stürzenden Gases zur Kollision und zum Leuchten bringen – die hellsten Objekte im Universum. Neben Licht strahlen sie durch die hohe Temperatur des Gases Röntgenstrahlung aus. Röntgendoppelsterne, bei denen es sich um Schwarze Löcher handelt, die von einem Begleitstern Materie abziehen, werden auch als "Mikroquasare" bezeichnet; sie waren die ersten Nachweise für Schwarze Löcher. Mikroquassare leuchten nicht immer konstant, sondern können durch Instabilitäten in der Gasscheibe oder im Materiezufluss ihres vampirisierten Sternenpartners kurzzeitig hell aufleuchten.

Alternativ käme ein Schwarzes Loch mittlerer Masse, also eines zwischen den stellaren und supermassereichen, infrage, in welches Gas von außen einfällt oder das gerade einen eng vorbei fliegenden Stern zerrissen hat und ihn nun häppchenweise je Umlauf verschlingt. Um die Leuchtkraft der transienten Quelle zu erzeugen, würde ein Schwarzes Loch von 50 Sonnenmassen mit einem Materieeinfall von einer Zehnmillionstel Sonnenmasse pro Jahr reichen. Gerade die Variante eines Röntgendoppelsterns wäre im Einklang damit, dass der Transient nicht in einem Sternentstehungsgebiet liegt und nicht im Zentrum der Galaxie. Allerdings erklärt sie nicht die Verschiebung des Helligkeitszentrums und die Autoren meinen, die Wahrscheinlichkeit, das POSS-I-Bild habe das Objekt ausgerechnet in einem Ausbruch erwischt, sei sehr klein.

Eine nahe liegende Alternative für die transiente Quelle wäre ein Kataklysmus in Form einer Supernova oder Hypernova. Hypernovae sind Explosionen extrem massereicher Sterne, wie sie vor allem in metallarmen Galaxien entstehen – die eingangs genannten Population-III-Sterne. Das würde gut zu der metallarmen Galaxie passen. Supernovae gibt es in mehreren Varianten: bei einer Kernkollaps-Supernova (auch Typ II genannt) kollabiert am Ende des kurzen Lebens eines massereichen Sterns beim Versiegen des stützenden Strahlungsdrucks aus der Fusion sein Kern, meist zu einem Neutronenstern, und der Rest des Sterns explodiert.

Supernovae vom Typ Ib und Ic sind Varianten des Typs II ohne Wasserstoff- bzw. Heliumlinien. Hier hat ein noch massereicherer Stern vor dem Kernkollaps seine Wasserstoffhülle (Ib) beziehungsweise auch noch sein Helium (Ic) weggeblasen. Supernovae vom Typ Ia sind ebenfalls frei von Wasserstofflinien und gehen auf Weiße Zwerge zurück, die durch Massentransfer von einem Begleitstern beim Überschreiten der Chandrasekhar-Massengrenze von 1,4 Sonnenmassen kollabieren und dabei ohne Sternenrest explodieren. Hier sind also im Gegensatz zu den Kernkollaps-Supernova-Varianten sehr alte Sterne die Ursache.

Hypernovae und Typ-II- und -Ib/c-Supernovae würde man eher in einem Sternentstehungsgebiet erwarten, aus dem sich die Vorläufersterne innerhalb ihres kurzen Lebens nicht entfernen können, das bei der transienten Quelle aber nicht vorhanden ist. Ia-Supernovae können potenziell überall auftreten. Alle genannten Typen wären anfangs mehrtausendfach heller als der Transient, allerdings nimmt ihre Helligkeit nach der Explosion über Wochen bis Monate allmählich ab. Das Hubble-Teleskop hätte auf seiner Aufnahme dann aber an dieser Stelle einen Supernovaüberrest finden sollen, eine Explosionswolke, die tausende Jahre überdauert.

Es gibt noch einen weiteren, erst 2005 beschriebenen Supernova-Typen, die kalziumreiche Supernova, die weniger hell ist, nur wenig Masse ausstößt, sehr viel Kalzium und kaum Wasserstoff im Spektrum zeigt. Man weiß bis heute nicht, was ihre Ursache ist, aber das Spektrum spricht dafür, dass auch hier ein Weißer Zwerg mit im Spiel ist. Sei es einer, der überschwer war und nur durch seine Rotation den Kollaps zunächst hinauszögern konnte, der dann schließlich doch zuschlägt, oder ein Weißer Zwerg, auf dem aufgefangenes Helium zündet, oder einer, der von einem Schwarzen Loch oder einem Neutronenstern zerrissen wird – keines der Modelle kann diese Art von Supernova jedoch bisher widerspruchsfrei erklären. Weil hier nur wenig Masse ausgestoßen wird, könnte dieser Supernovatyp das Fehlen des Supernovaüberrests erklären und wäre kompatibel mit einem Transienten außerhalb eines Sternentstehungsgebiets. Die Verschiebung des Helligkeitszentrums oder die Formveränderung der Galaxie erklärt sie allerdings nicht.

Ein weiterer möglicher Kataklysmus als Erklärung für den Transienten könnte eine Sternverschmelzung der Komponenten eines Doppelsternsystems sein. Solche Ereignisse lägen in ihrem Helligkeitsmaximum etwa bei der für den Transienten beobachteten Helligkeit und wären kompatibel mit einer Region außerhalb des Zentrums und abseits von Sternentstehungsgebieten. Die Autoren schreiben, dass eine allmähliche Helligkeitsabnahme um den Faktor 100 über 40 Jahre möglicherweise eine scheinbare Formveränderung und Verschiebung des Helligkeitszentrums bewirkt haben könnte, was ich anhand der Arbeit zunächst nicht nachvollziehen konnte.

Auf Nachfrage erklärten sie mir, dass ein Reflex oder das von einer schlechten Optik generierte Beugungsbild der transienten Quelle die Galaxie überlagert haben und zu der Formveränderung geführt haben könnten, die mit dem Verblassen des Transienten dann wieder verschwunden sei. Sehr überzeugend fanden sie das Argument selbst nicht, wie Professor Sánchez Almeida berichtete; zumal es für alle vorgenannten Ursachen des Transienten gleichermaßen zutreffen müsste. Die Helligkeitszunahme des Zentrums im POSS-II-Bild kann ein Reflex auf der früheren Aufnahme jedenfalls definitiv nicht erklären.

Eine Nova ist weitaus lichtschwächer als eine Supernova und ein völlig anderer Prozess – ein kataklysmischer Veränderlicher, bei dem Materie von einem zum Riesen angeschwollenen Begleitstern auf einen Weißen Zwerg überfließt und dort nach einer gewissen Akkumulierungszeit thermonuklear zündet, wenn der Gewichtsdruck des Gases unter der halbmillionenfachen Erdschwerkraft auf dem Weißen Zwerg groß genug geworden ist. Im Gegensatz zur Typ-Ia-Supernova wird dabei jedoch nicht die Chandrasekhar-Masse überschritten und der Stern explodiert nicht, sondern es brennt nur der frisch angehäufte Wasserstoff ab. Novae können sich daher wiederholen, meist in einem Rhythmus von Jahrhunderten, seltener in Jahrzehnten (und dann weniger hell). Eine Nova ist ähnlich hell wie eine Sternverschmelzung. Nahe des Maximums könnte sie den Transienten erklären und laut Autoren ebenso die Verschiebung des Helligkeitszentrums und die Morphologieveränderung, aus den gleichen Gründen wie bei der Sternverschmelzung, und aus ebenjenen Gründen die Helligkeitszunahme dementsprechend nicht.

Bei einer Nova saugt ein Weißer Zwerg Wasserstoffgas von einem nahen, zum Roten Riesen angeschwollenen Begleitstern ab und sammelt es auf seiner Oberfläche an, bis der Druck unter der gewaltigen Schwerkraft des Weißen Zwergs groß genug geworden ist, dass der Wasserstoff thermonuklear zündet. Der Stern wirft dann eine expandierende Hülle aus heißem radioaktivem Gas aus, die ihn für einige Tage hell aufleuchten lässt. Der Weiße Zwerg selbst bleibt dabei unversehrt, solange er nicht die kritische Chandrasekhar-Masse zum Neutronenstern von 1,4 Sonnenmassen überschreitet. In dem Fall würde er unter seinem Gewicht kollabieren und als Supernova vom Typ Ia explodieren, was ihn komplett vernichten würde.

(Bild: NASA's Goddard Space Flight Center/S. Wiessinger)

Als vierte kataklysmische Quelle käme ein LBV (engl. Luminous Blue Variable, "Leuchtkräftiger Blauer Veränderlicher") infrage. Bei diesen Sternen handelt es sich um eine späte Entwicklungsphase der massivsten Sterne (20 bis 100 Sonnenmassen), die über eine kurze (hunderttausende Jahre) Periode veränderlich werden. Während dieser Phase kommt es bei den heißen Blauen Überriesen, die mehrere Millionen Sonnenleuchtkräfte erreichen können, wiederholt zu Eruptionen, bei denen der Stern Materie ausstößt und dabei enorm an Helligkeit zulegt. Zwischen den Eruptionen bleibt er jahrzehntelang still.

Eta Carinae ist der bekannteste Vertreter dieser Sternkategorie und neben Beteigeuze der heißeste Kandidat für die nächste Supernova in der Milchstraße. Der Stern hat zurzeit 4,8 Größenklassen, etwa so hell wie der kleine Stern Alkor, der direkt neben dem mittleren Deichselstern Mizar im Großen Wagen steht. Ende der 1830er Jahre hatte der von Europa aus nicht sichtbare, da zu weit südlich stehende Stern jedoch die Helligkeit von Rigel im Orion erreicht, mit 1. Größenklasse einer der hellsten Sterne am Himmel, um dann 1845 mit -1,0 Größenklassen beinahe die Helligkeit von Sirius (-1,4), dem hellsten Fixstern am irdischen Himmel überhaupt, zu erreichen – Sirius ist dabei nur 8,6 Lichtjahre entfernt, Eta Carinae hingegen 7500 Lichtjahre! Seitdem nahm die Helligkeit des Sterns immer wieder erratisch zu oder ab, woran auch das ausgestoßene Gas seinen Anteil hat, das ihn zeitweise verfinstert. Es ist auf Aufnahmen des Sterns als bipolarer (sanduhrförmiger) Nebel, genannt Homunkulus-Nebel, um den Stern herum zu sehen.

Es gibt die Theorie, dass LBVs auch aus Sternverschmelzungen massiver Sterne hervor gehen können (Blue Stragglers, Blaue Nachzügler) – in diesem Fall wären sie nicht notwendigerweise aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer auf Sternentstehungsgebiete beschränkt. Insofern könnte ein LBV im Ausbruch die transiente Quelle in der Leoncino-Galaxie erklären. Möglicherweise auch die Veränderung des Helligkeitszentrums und der Morphologie, siehe oben.

Schließlich gibt es noch einen Effekt, der alle Beobachtungen erklären könnte und von den Autoren favorisiert wird: eine Gravitationslinse. Eine Masse, die im Vordergrund der Galaxie vorbeizieht, kann die Form der Galaxie durch Lichtumlenkung um sich herum verzerren und das Licht einer hellen Quelle wie etwa eines kompakten Sternhaufens innerhalb der Leoncino-Galaxie bündeln, verstärken und auch räumlich versetzen (Einsteinring, Einsteinkreuz). Der Effekt kann für relativ nahe gelegene kleine Linsenmassen oder für größere, entfernte Massen in gleicher Größenordnung eintreten, jedoch ist die Dauer des Ereignisses in beiden Fällen sehr verschieden. So könnte eine Linsenmasse von 1000 Sonnenmassen, die in 30 Lichtjahren Entfernung mit 500 km/s die Sichtlinie kreuzt, eine Ablenkung von einer Bogensekunde für die Dauer eines Monats erzeugen. Eine Linsenmasse von einer Million Sonnenmassen in 30.000 Lichtjahren Entfernung würde die gleiche Ablenkung verursachen und bei gleicher Geschwindigkeit 100 Jahre anhalten würde.

Filho und Sánchez Almeida halten eine Linsenmasse von 10.000 bis 500.000 Sonnenmassen für denkbar, die in 300 bis 13.000 Lichtjahren Entfernung und damit im Milchstraßenhalo die Sichtlinie mit 500 km/s gekreuzt haben könnte. Solche Massen könnten von Kugelsternhaufen aufgebracht werden, aber ein solcher wäre nicht zu übersehen und müsste noch in unmittelbarer Nähe der Leoncino-Galaxie am Himmel stehen. Da man nichts dergleichen sieht, könnte ein Klumpen Dunkler Materie in Betracht gezogen werden, eine Art "Dunkle Galaxie", aber da Dunkle Materie keine kompakten Objekte bilden sollte, müsste die Masse eines solchen Objekts wegen ihrer diffusen Ausdehnung noch um einiges größer sein, damit sie im Zentrum ausreichend dicht ist, um den gewünschten Linseneffekt erzeugen zu können.

Das ließe als letzte mögliche Alternative dann nur noch ein Schwarzes Loch mit der entsprechenden Masse zu. Es würde sich demnach um ein Schwarzes Loch im mittleren Massenbereich zwischen stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern handeln. Davon sind noch nicht viele bekannt, aber ein versprengtes Schwarzes Loch ohne Materieeinfall wäre auch bestenfalls anhand seiner Linseneffekte auf Hintergrundobjekte aufspürbar, was nicht eben leicht wäre. Möglicherweise schwirren solche Objekte als Relikte der von der Milchstraße bei ihrem Wachstum verschluckten Zwerggalaxien im Halo umher. Einige Arbeiten sagen dies voraus und einzelne wollen sogar mögliche Kandidaten aufgespürt haben.

Eine Arbeit schätzt zwischen 70 und 2000 solcher Schwarzer Löcher mittlerer Masse im Milchstraßenhalo. So eines dann zufällig im Vordergrund einer Zwerggalaxie von 10 Bogensekunden zu finden, hätte eine Wahrscheinlichkeit in der Größenordnung von 1:10 Millionen. Etwa wie ein Sechser im Lotto. So haben wir am Ende ein plausibles Szenario für alle Effekte, aber leider ist es statistisch so gut wie auszuschließen, und es baut auf einer Reihe unbelegter Annahmen auf.

Vielleicht ist die Wahrscheinlichkeit aber auch gar nicht so klein, denn 10 Bogensekunden entsprechen 100.000 Lichtjahren Durchmesser einer Galaxie in 2,7 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Es befinden sich Milliarden Galaxien in diesem Volumen – dass eine davon gerade von einem Schwarzen Loch im Halo der Milchstraße gelinst wird, wäre dann sogar zu erwarten. Allerdings wird danach noch nicht systematisch gesucht. Professor Sánchez Almeida setzt hier seine Hoffnungen auf das Vera C. Rubin Observatorium, das im nächsten Jahr in Betrieb gehen soll und den Himmel großflächig überwachen wird.

Was hinter den Erscheinungen in der Leoncino-Zwerggalaxie steckt, bleibt vorerst ungeklärt. Auszuschließen sind nur physische Veränderungen der kompletten Galaxien. Vielleicht eine Supernova in Kombination mit einer schlechten POSS-I-Aufnahme unter widrigen Bedingungen, vielleicht ist sie eine Spur zu einer neuen Spezies in der Halopopulation der Milchstraße in Form mittelschwerer Schwarzer Löcher. Auf jeden Fall hat sich die Galaxie ihren Eintrag in den Anomalienkatalog des Breakthrough-Listen-Projekts verdient.

Quelle:

(mho)