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Die X-Akten der Astronomie: Können Sterne einfach verschwinden?

Alderamin
Die X-Akten der Astronomie: Können Sterne einfach verschwinden?

(Bild: ESO Online Digitized Sky Survey, ESO/Digitized Sky Survey 2. Acknowledgement: Davide De Martin)

Sternenkataloge umfassen Hunderte Millionen Sterne. Muss man gleich an Aliens denken, wenn man mehrere miteinander abgleicht und nicht alle Sterne findet?

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Unsere Sonne ist ein einigermaßen typischer Zwergstern. "Zwerg" ist allerdings relativ – die Sonne ist nach menschlichen Maßstäben ziemlich groß. Sie durchmisst 1,39 Millionen Kilometer, in ihr wäre also beispielsweise mehr als genug Platz, um den Mond um die Erde kreisen zu lassen (Bahndurchmesser: 768.800 Kilometer). In der Sonne fänden 1,3 Millionen Erdkugeln Platz. Wenn wir mit einem Linienjet einmal um die Sonne fliegen wollten, würde das (die rund 400 notwendigen Tankstopps nicht mitgerechnet) mehr als 200 Tage dauern. Zum Glück für uns ist sie 19 Flugjahre entfernt und beleuchtet trotzdem jeden Quadratmeter Erdboden mit knapp 1370 Watt Leistung. Das tut sie nun schon 4500 Millionen Jahre lang und hat noch mehr als die Hälfte ihres Lebens vor sich.

Können Sterne wie die Sonne binnen ein paar Jahren einfach so verschwinden? Das könnte man jedenfalls dem letztjährigen Presseecho auf die Arbeit von Beatriz Villaroel [17] von der Universität Stockholm und 21 anderen Forschern entnehmen, die am 12. Dezember 2019 im Astronomical Journal veröffentlicht wurde (Preprint [18]). Darin berichten sie von gleich 100 verschwundenen Sternen [19], die sie aufgespürt haben wollen. Oder besser gesagt, nicht mehr aufgespürt haben. Und was Aliens damit zu tun haben könnten. Oder auch nicht.

ESO Online Digitized Sky Survey

Die Sagittarius-Sternwolke im Schützen. Könnte nicht der eine oder andere Stern in Jahrzehnten unbemerkt verschwinden?

(Bild: ESO Online Digitized Sky Survey [20], ESO/Digitized Sky Survey 2. Acknowledgement: Davide De Martin.)

Die Arbeit ist die Fortsetzung eines älteren Papiers [21] aus dem Jahr 2016. Damals stellten die Autoren sich die Frage, ob sie wohl Hinweise auf Aktivitäten außerirdischer Zivilisationen fänden, wenn sie die Einträge alter Sternkataloge mit solchen aus aktuellen verglichen. Sie dachten dabei an Dyson-Sphären und "(scheinbar) unmögliche astrophysikalische Effekte", getreu dem in der Arbeit zitierten legendären Motto des Science-Fiction Autors Arthur C. Clarke: "Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden."

Dyson-Sphären wurden von Freeman Dyson als die ultimative Methode einer fortgeschrittenen Zivilisation zur Nutzung von Solarenergie erdacht. Man umgebe einen Stern mit einer blickdichten kugelförmigen Schale aus Solarzellen (oder was auch immer) und nutze seine gesamte Strahlung zur Energiegewinnung. Nach außen würde lediglich Wärmestrahlung entweichen – am Ende eines jeden Energieverbrauchs wird die genutzte Energie schließlich komplett in Wärme umgewandelt und muss abgestrahlt werden, damit die Umgebung sich nicht immer weiter aufheizt. Visuell würde ein solcher Stern mit Vollendung der Dyson-Sphäre vom Himmel verschwinden. Im Infrarotlicht wäre er hingegen noch nachweisbar.

Der Ansatz des damals dreiköpfigen Teams aus Villaroel, Ingo Imaz und Josefine Bergstedt – alle von der Universität Uppsala in Schweden – war einfach: Man nehme die digitalisierten Daten des United States Naval Observatoriums Katalogs (USNO), des ältesten digitalisierten Sternenkatalogs des kompletten Himmels, und solche des aktuellen Sloan Digital Sky Surveys (SDSS) und lasse ein Computerprogramm darüber laufen, um Objekte aufzuspüren, die nur in einem der Kataloge zu finden sind. Sternkataloge beinhalten in Textform die Positionen, Helligkeiten, Eigenbewegungen und weitere Daten von Sternen, die meist automatisch aus gescannten Fotoplatten des Himmels errechnet wurden.

Die Positionen der Sterne können relativ zu denen heller Sterne mit bekannten Koordinaten gemessen werden. Aus Aufnahmen durch verschiedene Farbfilter lassen sich anhand der unterschiedlichen Helligkeiten die Farben und damit die Temperaturen der Sterne bestimmen. Vergleicht man die Positionen auf Platten, die ein paar Jahrzehnte später aufgenommen wurden, kann man die Eigenbewegung der Sterne messen und so weiter.

Der USNO-Katalog beruht beispielsweise auf den gescannten Fotoplatten zweier Himmelsdurchmusterungen des Palomar-Observatoriums, die zwischen 1949 und 1966 beziehungsweise 1977 und 1999 aufgenommen worden waren, POSS-I und POSS-II (für "Palomar Observatory Sky Survey"). Die Aufnahmen für den SDSS-Katalog wurden zwischen 2000 und 2014 digital aufgenommen. Somit wurde ein Zeitraum von 65 Jahren abgedeckt. Der USNO-Katalog beinhaltet cirka eine Milliarde Sterne des gesamten Himmels, der SDSS-Katalog nur Objekte nördlich von 30° südlicher Breite am Himmel, insgesamt ein gutes Viertel des gesamten Sternhimmels.

Die schwächsten Sterne klammerten sie aus der Betrachtung aus, da viele Sterne variabel sind, ihre Helligkeit ändert sich mehr oder weniger periodisch. Mit Beteigeuze hatten wir im Januar und Februar einen populären Vertreter dieser Sterne im Rampenlicht. Auch Sterne, die sich schnell über den Himmel bewegen, versuchten sie auszuklammern, indem sie sich an den im USNO verzeichneten Eigenbewegungen der Sterne orientierten. Damit das gesuchte Objekt nicht einfach deswegen verschwunden war, weil es sich zu weit fortbewegt hatte, um in beiden Katalogen als identisch erkannt zu werden. Zur Sicherheit glichen sie unabhängig davon die Positionen für neu aufgetauchte Objekte und für verschwundene Objekte miteinander ab und ignorierten Fälle, wo solche Simultandetektionen zu nahe beieinander auftraten.

Ihre Auswahl umfasste am Ende bis zu 10 Millionen Sterne in vier nach leicht abweichenden Kriterien extrahierten Listen aus dem USNO-Katalog. Unter denjenigen Objekten, deren Positionen durch SDSS-Aufnahmen abgedeckt waren, fanden sie 288.158 Objekte, für die das Programm kein SDSS-Gegenstück in einem Radius von 9 Winkelsekunden [22] fand (inklusive möglicher Mehrfachnennungen in den vier Listen). Diese Auswahl inspizierten sie visuell auf den SDSS-Fotoplatten (skandinavische Winterabende sind lang…), die wesentlich mehr Sterne zeigen, als im digitalen SDSS-Katalog enthalten sind, und fanden auch meistens einen Stern an der passenden Stelle, der bei der digitalen Erfassung der SDSS-Daten von der Verarbeitungspipeline nicht berücksichtigt worden war. Bei den übrigen Fällen handelte es sich überwiegend um Bildartefakte wie schwarze "tote" Streifen, oder um Objekte, die von Beugungsscheibchen anderer Sterne oder Beugungs-Spikes [23] der Teleskope teilweise überdeckt waren, die sie somit aus der Auswahl strichen. Am Ende blieben noch 148 Kandidaten übrig.

Der „verlorene“ Stern aus der Arbeit von 2016. Die Aufnahmen links oben und unten stammen aus den POSS-I-Fotoplatten und sind vom 16. März 1950. Das untere ist eine Ausschnittsvergrößerung und zeigt den Stern genau in der Bildmitte. Die Bilder rechts stammen aus den POSS-II-Platten und sind vom 10. März 1992. Alle Aufnahmen wurden mit Rotfiltern aufgenommen. Die Autoren geben vor, den Stern im Bild unten rechts noch undeutlich zu erkennen.

Der „verlorene“ Stern aus der Arbeit von 2016. Die Aufnahmen links oben und unten stammen aus den POSS-I-Fotoplatten und sind vom 16. März 1950. Das untere ist eine Ausschnittsvergrößerung und zeigt den Stern genau in der Bildmitte. Die Bilder rechts stammen aus den POSS-II-Platten und sind vom 10. März 1992. Alle Aufnahmen wurden mit Rotfiltern aufgenommen. Die Autoren geben vor, den Stern im Bild unten rechts noch undeutlich zu erkennen.

(Bild: ESO Online Digitized Sky Survey [24], gemeinfrei.)

Deren Bilder glichen die Astronomen noch einmal mit den POSS-I und POSS-II-Originalaufnahmen ab und fanden dort in der Hälfte der Fälle gar keinen Stern, entweder weil in den USNO-Katalog lediglich Rauschen eingegangen war oder weil die Position der Sterne im Katalog falsch erfasst worden war. Ein weiterer größerer Anteil fiel weg, weil auch die abgebildeten Sterne in den POSS-Aufnahmen zum Teil von den oben genannten Bildartefakten betroffen waren oder weil die Koordinaten in POSS und SDSS voneinander abwichen. Schließlich strichen sie noch einmal solche Sterne, von deren Himmelsareal es nicht mindestens vier Aufnahmen gab.

Am Ende blieb noch genau ein Kandidat übrig, der auf einer im roten Licht aufgenommenen POSS-I-Platte von 1950 eindeutig zu sehen war und auf der entsprechenden POSS-II-Platte von 1992 nur noch zu erahnen (meiner bescheidenen Ansicht nach ist er darauf gar nicht zu sehen, und ich habe mir die gescannte Aufnahme im FITS-Format vom ESO-Server heruntergeladen und mit dem Tool FITS-Viewer analysiert). Auf einer SDSS-Aufnahme, die deutlich schwächere Sterne zeigt, fehlt er dann definitiv komplett.

SDSS, gemeinfrei

Auf der invertierten SDSS-Aufnahme (rechts: grüner Kasten aus dem linken Bild vergrößert) der gleichen Gegend sind viel schwächere Sterne zu sehen, aber definitiv nicht der Stern im Zentrum der POSS-I-Platte.

(Bild: SDSS, gemeinfrei)

Was kann ihm also zugestoßen sein? In einer Dyson-Sphäre verpackt worden ist er wohl nicht, wie die Autoren zugeben müssen, weil der Stern auch auf infraroten Platten nicht zu sehen ist. Ein Artefakt durch ein Staubkorn oder abgelöstes lichtempfindliches Material schließen sie aus, weil seine "Punktspreizfunktion" (PSF), die das Helligkeitsprofil einer vom Teleskop abgebildeten Punktlichtquelle beschreibt, sich nicht von den PSF anderer vergleichbar heller Sterne unterscheidet. Ein Kollaps zu einem Schwarzen Loch ist ebenfalls auszuschließen, weil man die Explosion nicht hätte übersehen können.

Realistischere Alternativen könnten sein:

Ein einziges Fundstück erschien den Autoren ein wenig mager. Da wegen der beschränkten Zahl von Objekten des SDSS-Katalogs nur 10 Millionen von rund einer Milliarde im USNO-Katalog verzeichneten Sternen untersucht worden waren, machten die Autoren unter Verstärkung von 19 Kollegen aus Schweden, Finnland, den USA, den Niederlanden, Indien, Spanien, der Ukraine und der Schweiz einen zweiten Anlauf mit Daten des neuen Pan-STARRS-Katalogs [26], der 2-3 Milliarden Sterne enthält. Ihr Beobachtungsprojekt nannten sie VASCO, was nicht nur der Name eines portugiesischen Entdeckers [27] ist, sondern auch für "Vanishing & Appearing Sources during a Century of Observations" steht, immer noch mit dem erklärten Ziel, außergewöhnliche astronomische Ereignisse oder gar Aliens zu finden. Neben "gewöhnlichen" Ereignissen wie den oben genannten und weiteren Typen von veränderlichen Sternen oder Supernovae in anderen Galaxien haben sie "verschwindende oder auftauchende Sterne durch stellare Konstruktionstätigkeit" (stellar engineering), "Kommunikationslaser" und "Dyson-Tori um aktive Galaxienkerne" auf ihrer Suchliste.

Mit sehr viel Computerpower und ausgefeilten Algorithmen verglichen sie die Kataloge gemäß ähnlicher Kriterien wie in der früheren Arbeit. Diesmal wurden auch Sterne mit einer größeren Eigenbewegung in Betracht gezogen und das Suchfeld für Übereinstimmungen auf 30 Winkelsekunden vergrößert. Nördlich von -30° Breite fanden sie rund 150.000 USNO-Sterne, die im Pan-STARRS-Katalog fehlten.

Für diese suchten sie wieder nach SDSS-Fotoplatten zur visuellen Inspektion, und da SDSS nur ¼ des Himmels abdeckt, fanden sie solche für knapp 65.000 Sternkoordinaten. 23.667 unter diesen hatten in einer Nachbarschaftssuche keinen Stern innerhalb von 5×5 Winkelsekunden. Nachdem bei der visuellen Sichtung alle Artefakte entfernt wurden, verblieben 6359 leere Sternörter [28]. Dann checkten sie diese Örter wieder visuell auf den ursprünglichen POSS-I-Platten gegen, aus denen der USNO-Katalog extrahiert worden war, und fanden 1691 Örter, an denen wirklich POSS-I-Sterne klar erkennbar waren, die jedoch auf den SDSS-Aufnahmen fehlten.

Für diese Sterne ließen sie die Computer ein wenig Statistik aus dem USNO-Katalog extrahieren. Im Vergleich zu 50.000 zufällig extrahierten Sternen aus dem USNO-Katalog waren die "verloren gegangen Sterne" im Schnitt ein wenig röter und bewegten sich ein wenig schneller über den Himmel. Man beachte, dass dies nicht heißen muss, dass ein typischer Vertreter dieser Sterne nur ein wenig röter und schneller ist, als die Vergleichssterne. Stattdessen dürfte ein gewisser Teil der Sterne sehr viel röter und schneller sein, während der Rest von den Vergleichssternen nicht zu unterscheiden ist; im Mittel ergibt sich dann die nur geringe Abweichung in Farbe und Geschwindigkeit. Das legt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Anteil um Flares Roter Zwerge handelt, denn solche Sterne sind rot und lichtschwach, das heißt sie müssen nahe sein, um auf den Platten sichtbar zu sein. Und nahe Objekte bewegen sich in einem bestimmten Zeitraum weiter über den Himmel als ferne.

Nicht zur Bewegung, aber teilweise zum roten Licht beigetragen haben können auch rotverschobene Objekte in kosmologischen Entfernungen, wie etwa aktive Galaxienkerne oder ferne Supernovae. Andere infrage kommende Erklärungen sind Gravitations-Mikrolinsenereignisse [29], Verschmelzungen massearmer Sterne (ein Modell für "Rote Novae [30]") oder sogenannte "Intermediate-Luminosity Red Transients [31]" (ILRT), zu deutsch "vorübergehende rote Erscheinungen mittlerer Leuchtkraft", die man am Himmel beobachtet hat, ohne sich bisher auf ein einheitliches Modell dafür geeinigt zu haben. Ein Modell für die ILRTs sieht vor, dass ein Stern, der zum Schwarzen Loch kollabiert, soviel Materie in dieses mit hinein reißt, dass es zu keiner nennenswerten Explosion kommt, eine "fehlgeschlagene Supernova". Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses in der Milchstraße ist allerdings so unterirdisch klein, dass man nicht erwarten kann, auch nur eine einzige davon auf den POSS-Platten erwischt zu haben. Schon gewöhnliche Supernovae kleinerer Sterne treten nur alle 100 Jahre oder seltener in der Milchstraße auf.

Womit man es im konkreten Fall zu tun hat, kann nur eine Betrachtung der einzelnen Objekte erweisen. Also haben die Astronomen die 1691 Kandidaten noch einmal durch Vergleich der alten POSS-I und neueren SDSS-Aufnahmen miteinander verglichen. Meistens fand sich dann doch ein Stern auf den SDSS-Aufnahmen, nur ein wenig versetzt. Oder ein Artefakt verdeckte ihn im SDSS. Nur etwa 100 Objekte, die im POSS-I klar erkennbar waren und im SDSS klar fehlten, blieben übrig und schafften es in die Pressemeldungen. Diese 100 wollen die Autoren in einer Folgearbeit einzeln vorstellen. Diese ist bisher noch nicht veröffentlicht, und auch auf dem Preprint-Server arXiv findet man sie leider noch nicht.

Was den Stern aus dem 2016-Papier [32] betrifft: nach diesem hat das Team noch einmal gesucht. Einmal auf Aufnahmen anderer irdischer und Weltraumteleskope wie Gaia und WISE. Und indem sie selbst Fotos der betreffenden Gegend mit dem 2,5m Nordic Optical Telescope auf La Palma machten, die rund einen Faktor 10 tiefer in der Helligkeit gehen als die SDSS-Platten. An der exakten Position des Sterns fanden sie nichts – nur zwei knapp 50 Mal dunklere rote Sterne in der Nähe, die nur dann passen würden, wenn das ursprüngliche Objekt sich bewegt hätte. Vermutlich sind es Rote Zwerge – um das sicher zu entscheiden, bräuchte man ihre Entfernung, aus der mit der beobachteten Helligkeit die Leuchtkraft folgte. Die wahrscheinlichste Theorie ist daher wohl die eines Flares auf einem Roten Zwerg, vielleicht auf einem der mit dem Nordic Optical Telescope gefundenen beiden Sterne.

arXiv:1911.05068

Aufnahme des Himmelsfelds mit dem Nordic Optical Telescope, in dem der "verschwundene Stern" aus dem 2016-Aufsatz von Villaroel, Imaz und Bergstedt sich befunden hatte. Nahe der Position finden sich zwei etwa gleich helle Sterne, keiner jedoch an der exakten Position.

(Bild: B. Villaroel, J. Soodla et al., arXiv:1911.05068 [33])

Von den verschwundenen Sternen bleibt am Ende somit nicht mehr viel übrig. Das heißt, von den Sternen schon – es gibt keinerlei belastbaren Hinweis dafür, dass irgendeines der 100 (oder 1691) Objekte tatsächlich nicht mehr da ist. Verschollen gegangen ist hingegen die Story von den außerirdischen Superzivilisationen, die Sterne in Dyson-Sphären einmauern. Es gibt, wie wir gelesen haben, eine Vielzahl möglicher Erklärungen, warum ein Klecks auf einer Fotoplatte auf einer späteren Aufnahme nicht mehr gefunden wird und man sollte Aliens nicht in Betracht ziehen, wenn es mindestens eine natürliche plausible Alternative gibt.

Mit Computerhilfe nach Veränderungen am Himmel zu suchen und dabei Daten zu nutzen, die einen möglichst langen Zeitraum überdecken, macht sehr viel Sinn bei der Suche nach veränderlichen Sternen oder noch unbekannten astronomischen Phänomenen. Aber derart laut und unmotiviert mit der Alien-Keule zu schwingen erscheint mir dann doch etwas unseriös. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Arbeit außer im Breakthrough-Listen-Katalog bisher keine einzige andere Zitierung [34] aufweisen kann.

Quelle:
  • Beatriz Villaroel, Johan Soodla, Sébastien Coméron et al. “The Vanishing and Appearing Sources during a Century of Observations Project. I. USNO Objects Missing in Modern Sky Surveys and Follow-up Observations of a ‘Missing Star’", The Astronomical Journal, Vol. 159, Nr. 1, 12. Dezember 2019.

(mho [35])


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[1] https://www.heise.de/news/SETI-Katalog-von-astrophysikalischen-Anomalien-fuer-Suche-nach-Ausserirdischen-4792267.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Weisse-Zwerg-4848978.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Wow-Signal-oder-Ist-da-jemand-4856930.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Moduliert-da-etwa-jemand-Galaxienkerne-4863668.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geister-Planeten-um-einen-Untoten-4868767.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Koennen-Sterne-einfach-verschwinden-4874139.html
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Dreifachstern-KIC-2856960-4879760.html
[8] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Raetsel-der-Braunen-Riesen-4883765.html
[9] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geheimnisse-des-Walnuss-Monds-4889489.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-hyperschnelle-Kugelsternhaufen-HVGC-1-4903025.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Auf-der-Suche-nach-Dyson-Sphaeren-4909802.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-spukhafte-Leoncino-Zwerggalaxie-4915903.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-raetselhaften-Radiosignale-aus-dem-Untergrund-4922569.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-dunkle-Beschleuniger-4928084.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Radioblitze-vom-anderen-Ende-des-Universums-4934391.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-KIC-8462852-von-grossen-und-kleinen-Abtauchern-4941203.html
[17] https://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-3881/ab570f
[18] https://arxiv.org/abs/1911.05068
[19] https://www.heise.de/news/100-Sterne-verschwunden-Extremes-natuerliches-Phaenomen-oder-Ausserirdische-4615111.html
[20] https://www.eso.org/public/images/eso1307c/
[21] https://iopscience.iop.org/article/10.3847/0004-6256/152/3/76/meta
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Winkelsekunde
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Spike_(Beugung)
[24] https://archive.eso.org/dss/dss
[25] http://evryscope.astro.unc.edu/
[26] https://panstarrs.stsci.edu/
[27] https://de.wikipedia.org/wiki/Vasco_da_Gama
[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Stern%C3%B6rter
[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrolinseneffekt
[30] https://de.wikipedia.org/wiki/Leuchtkr%C3%A4ftige_Rote_Nova
[31] https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2014hst..prop13851B/abstract
[32] https://www.heise.de/news/Verschwundener-Stern-Astronomen-suchen-Hinweise-auf-Ausserirdische-3253554.html
[33] https://arxiv.org/abs/1911.05068
[34] https://scholar.google.de/scholar?cluster=8800837578106561141&hl=de&as_sdt=0%2C5
[35] mailto:mho@heise.de