Oldtimerjahrgang 92: Alfa 155, der Trojaner

Der Automobiljahrgang 1992 wird zum Oldtimer. Viele interessante Fahrzeuge qualifizieren sich für das H-Kennzeichen. Einer von ihnen ist der Alfa 155.

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(Bild: Stellantis)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Als im Januar 1992 der Alfa 155 als Nachfolger des 75 auf den Markt kam, löste er bei den in Leder gegerbten Alfisti eine Schockwelle aus, die zwischen Depression und unverhohlener Aggression changierte. Nach dem 75, dem letzten "echten" Alfa mit Charakterdesign (der Marke nicht so zugetane bezeichneten ihn einfach nur als "hässlich"), Transaxle und längs eingebauten Motorenjuwelen wollte einem Fiat allen Ernstes einen umkarossierten Tipo als Mailänder Edellimousine und BMW-Dreier-Konkurrenten andrehen. Damit ist natürlich nicht der Fiat Tipo (Test) gemeint, der zwischen 2015 und 2020 eine Art italienische Dacia-Alternative im Kompaktsegment war.

Dass das Blechkleid des "Mailänder Tempra" von Ercole Spada (dem früheren Zagato-Chefdesigner, der zuvor immerhin die für BMW-Fans geradezu ikonischen 7er-E32 und 5er-E34 geschaffen hatte) modern, schick und zeitlos gestaltet war, half da auch recht wenig: Machte es aus dem 155 in den Augen der Fans doch nur ein Trojanisches Pferd. Dass der Nachfolger 156 dann von Walter de Silva hinreißend gezeichnet und im Detail besser verarbeitet war, hilft dem 155 auch nicht wirklich, weit oben auf der Hitliste von Altblechfetischisten zu landen.

Daran kann noch nicht einmal etwas ändern, dass der 155 vom Stand weg die DTM gewann. Fast 30 Jahre nach Andrea de Adamich und der Herrschaft der Renn-Bertones GTA und GTAm war der 155 ein siegreicher und von seinen Gegnern gefürchteter Tourenwagen. Und das nach fast drei scheinbar unendlichen Jahrzehnten, in denen sich Renn-Alfas auf Alfetta-Basis und/oder 75er in nahezu jedem Wettbewerb bitter blamierten: Blauäugige Fans und unfähige Werksangehörige hatten sie trotz offensichtlicher Chancenlosigkeit zu Wettbewerben gemeldet, in deren ersten Runden sie meist mit zerspahnten Transaxle-Getrieben liegen lieben. Doch nicht nur der 155 V6 ti DTM, der nur die grobe Silhouette mit dem Tempra deutlich ähnlicherem Brot-und-Butter-155 gemein hatte, sowie die Herren Nicola Larini und Alessandro Nannini müssen angeführt werden, um den 155 zu rehabilitieren.


In zwei zugefügten Bilderstrecken sind noch andere emotionale und in ihrer Bandbreite faszinierende Fahrzeuge des Jahrgangs 1992 zu sehen - vom ersten Audi 80 Avant über den Hummer H1 bis zur Viper von Dodge. Die Reihenfolge ist alphabetisch.

Jahrgang 92 von Alpine bis Mazda (20 Bilder)

Alpine A610 Turbo

Die letzte Alpine vor der erfolgreichen Neuausgrabung der Marke 2017 war ein über 105.000 DM teurer Exot, der es mit dem Porsche 944 Turbo aufnehmen konnte. Mit einem V6-Turbo im Heck, 184 kW (250 PS), 5,7 Sekunden auf 100 km/h und 265 km/h Spitze war er von den Daten her dem Porsche sogar leicht überlegen. Nur leider kaufte ihn fast niemand, was ihn heute als Oldtimer selten und relativ teuer macht. Da greifen auch heute noch die meisten lieber zum Porsche.
(Bild: Groupe Renault)

Es stimmt zwar, dass der sportlich-physikalische Rückschritt in der theoretisch-konstruktiven Fahrdynamik vom Transaxle mit Längsmotor zum Frontantrieb mit Quermotor nicht größer sein konnte. Es zeugte schon von einer gewissen Unverfrorenheit der Turiner Chefetage, sowas einem ambitionierten 75-Treiber als Nachfolger vorzusetzen. Aber die Motoren waren immer noch die gleichen Juwelen aus blauem Mechanik-Geblüt: Vierzylinder mit direktem Stammbaum zur Giulia und der Busso-V6, der maßgeblich daran beteiligt war, den GTV6 zum begehrenswertesten Alfa der Transaxle-Jahre zu machen.

Ein besonders Schmankerl ist der 155 Q4, der den kompletten Antriebsstrang vom Lancia Delta Integrale in ein viel selteneres, etwas edleres und weniger pubertäres Stufenheckgewand kleidete. Besonders cool ist auch, dass der 155 Q4 auf dem Gebrauchtwagenmarkt viel billiger ist als der vergleichsweise inflationäre Rallye-Hot-Hatch mit überschminkter 1970er-Jahre-Kompakt-Karosse. Ein nettes Detail am Rande: Nur beim 155 Q4 war der Herstellereintrag im Fahrzeugschein, "Alfa-Lancia", den vor 30 Jahren alle Alfas und Lancias trugen, wirklich gerechtfertigt. Das Problem ist nur, einen nicht verheizten und/oder vom Rost zerbröselten Q4 zu finden.

Alfa Romeo 155 (10 Bilder)

Die gestalterische Ähnlichkeit des Alfa Romeo 155 zum technisch in vielerlei Hinsicht identischen Fiat Tempra fiel nicht nur übelmeinenden Betrachtern schnell auf.
(Bild: alle Stellantis)

Während der Lancia gepflegt wurde, wurde der Alfa zerschlissen - oder erst gar nicht gekauft, weshalb es bereits als Neuwagen viel weniger gab. Besonders traurig für Alfa-Fans ist auch die Tatsache, dass die Umstellung auf modernere, von der arrogant verachteten, aber reichen Retterin Fiat stammende Twin-Spark-Vierzylinderbenziner 1995 und 1996 dem Alfa in keiner Weise schadete. Der Zweiliter hatte sogar eine verstellbare Einlassnockenwelle. Die ikonischen Bialbero-Vierzylinder ("bialbero": ital. für DOHC, zwei obenliegende Nockenwellen) aus der Giulia waren 1995 mit ihrer im Kern 50 Jahre alten Konstruktion einfach reif für einen ehrenvollen Ruhestand

Traurig war nur, dass 1996 der Busso-V6 ersatzlos gestrichen wurde - eine Maßnahme, die die Begehrlichkeit des in jeder Hinsicht als großartigen Befreiungsschlag und traumhaftes Comeback gefeierten Nachfolger 156 fast schon ins schmerzhaft unermesslich steigerte. De Silvas Beau wurde nämlich von Anfang an wieder mit dem großartigen V6 gekrönt. Der 156 war eines der wenigen Fahrzeuge um und nach der Jahrtausendwende, die bereits mit ihrer Vorstellung als Klassiker galten - welch Öl auf die Seelen der Alfisti!

Wer aber auf "Alessi-Design" und reduzierte stilistische Klarheit steht, könnte den 155 heutzutage vorziehen. Zudem ist er billiger, rarer und als Q4 und früher Bialbero-Twin-Spark technisch interessanter. Näher am Markenkern als sein vermeintlich reizender Nachfolger ist er ohnehin. Allerdings sollte man nicht mehr allzu lange warten, denn das Angebot an brauchbaren 155 dünnt sich immer mehr aus. Wer einen findet, sollte zum V6 greifen, der seine Kopflastigkeit durch Antriebskomfort wettmacht. Für 3000 Euro kann man noch einige gut erhaltene Vierzylinder finden, die sehr viel Fahrspaß und Alltagstauglichkeit für günstigen Tarif bieten. Gute Q4 kosten allerdings leicht das Zehnfache, was immer noch die Hälfte dessen ist, was ein Lancia Delta Integrale mit identischem Antrieb im gleichen Zustand kostet.


Neue Oldtimer des Jahrgangs 1992 - von Mercedes bis VW

Jahrgang 92 von Mercedes bis VW (11 Bilder)

Mercedes S-Klasse Coupe C140

Der aus dem vollen Marmor gebrochene Brachial-Luxusliner ist leider schon längst als Klassiker anerkannt und inzwischen nicht mehr ganz leicht und schon gar nicht billig auf dem Markt zu finden. Aber man muss auch der Typ sein für diesen sehr gut gemachten ausgestreckten Mittelfinger. Gefragt ist das Schlachtschiff vor allem mit dem V12, doch der Achtzylinder im SEC 500 ist keineswegs zweite Wahl. Sehr gut in Szene gesetzt ist der C140 in dem Film "Strange Days" von James Camerons damaliger Frau Kathryn Bigelow, die später als erste Frau überhaupt einen Regie-Oscar gewann.
(Bild: Mercedes-Benz
)

(chlo)