Teilautonomie (SAE Level 3) in der kommenden S-Klasse

Mercedes will den hauseigenen Staupiloten so aufbohren, dass der Fahrer im Stau Filme gucken kann. Einführung ist in der 2. Jahreshälfte 2021.

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Teilautonomie (SAE Level 3) in der kommenden S-Klasse

Die zwei silbernen Knöpfe beidseitig im oberen Lenkradbereich aktivieren das System.

(Bild: Daimler)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Clemens Gleich

Die kommende S-Klasse von Mercedes-Benz soll das erste Serienauto sein, das Fahrautomatisierung auf dem SAE-Level 3 anbietet: bedingte Automatisierung, bei der der Fahrer in Problemfällen noch zu Hilfe gerufen werden kann. Das vorläufig unter "Drive Pilot" firmierende System soll zum Verkaufsstart der S-Klasse Ende 2020 ausgeliefert, aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2021 freigeschaltet werden. So lange dauert die Zulassung noch. Es ist zunächst nur in Deutschland verfügbar. Dort sei das Umfeld für Fahrautomatisierung laut Hersteller "rechtlich am stabilsten".

Level-3-Systeme funktionieren nur unter bestimmten, vorher definierten Bedingungen. Bei Mercedes sind das:

  • Die Strecke muss "freigegeben" sein. Dabei geht es hauptsächlich um die Verfügbarkeit von mobilem Internet und HD-Kartenmaterial. 90 Prozent der deutschen BAB-Strecken sollen zum Marktstart verfügbar sein.
  • Es muss Stau herrschen. Fährt über längere Zeit kein Auto im vorderen Sensorbereich, übergibt das System wieder an den Fahrer.
  • Damit zusammenhängend: Der Drive Pilot fährt nur bis 60 km/h. Technisch sind höhere Geschwindigkeiten möglich, doch zur ersten Zulassung werden es zunächst maximal 60 km/h sein.
  • Der Fahrer muss "übernahmebereit" im Fahrersitz verbleiben. Er kann also Videos gucken, nicht aber schlafen oder den Fahrersitz verlassen. Diese Bedingungen überwacht die Innenraumkamera im Dashboard.
  • Das Wetter muss passen. Bei Nässe oder Schneefall steht die Automatik nicht zur Verfügung. Nässe erkennt ein Akustiksensor am Reifengeräusch, Schnee verrät sich durch Wetterbericht und Temperatursensoren.
  • Das Fahrzeug befindet sich nicht in einer Baustelle. Von Baustellen weiß das System aus der Datenfusion von Echtzeit-Verkehrsdaten, Kartenmaterial und Beschilderung. Es übergibt dann rechtzeitig an den Fahrer.

Immerhin bildet das System laut Mercedes selbsttätig eine Rettungsgasse, auch wenn das vorausfahrende Fahrzeug dies nicht tut. Eine kleine Menge richtig positionierter Fahrzeuge reicht häufig, um die Mehrheit an die Rettungsgasse zu erinnern.

Wer all die Einschränkungen in Bezug setzt zum Stand der Automatisierungstechnik bei Mercedes, wird wenig Vorteile für Endkunden feststellen. Ob ich nun im Stau einen Film gucken darf, bis es schneller geht als 60 und ich wieder ran muss, oder ob ich den bisherigen Staupiloten benutze, der im Stau auch schon meistens alles richtig macht, ist aus Fahrersicht kein großer Unterschied.

Technisch dagegen ändert sich mit diesem fahrerisch gefühlt kleinen Sprung eine Menge. Die Anforderungen an Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Autonomie sind viel, viel höher als bei den bereits verfügbaren Systemen im Haus. Dazu rüstet Mercedes die S-Klasse um ein Lidar-System in der Fahrzeugfront auf, ähnlich wie beim Audi A8. Anders seien die nötigen Zuverlässigkeitsanforderungen nicht zu erreichen. Wahrscheinlich wird Mercedes so also die ersten Erfahrungen mit automatisierter Alleinfahrt auf Level 3 im Serieneinsatz sammeln, auf eine konservativ sichere Art und Weise.

(Bild: VDA)

Ebenfalls an Bord der nächsten S-Klasse: Vorbereitung für "Automated Valet Parking", also ferngesteuertes Parken, wie wir es hier vorstellten. Dieser Rollout soll Anreize schaffen, dass erste Parkhäuser nach dem des Mercedes-Museums in solche Anlagen investieren: ohne Kunden keine Rendite.

(cgl)