Zehn Autos aus den 90ern
Klein- und Sportwagen erleben fröhliche Urständ, das SUV wird offiziell erfunden und was auch immer der Hummer H1 sein wollte, kam auch auf den Markt.
- Christian Domke Seidel
Politisch beginnt das Jahrzehnt mit der Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland. So friedlich soll es aber nicht bleiben. Innerhalb nur eines Jahres werden sowohl auf Wolfgang Schäuble als auch auf Oskar Lafontaine lebensgefährliche Anschläge verübt. 1991 sollte der Jugoslawien-Krieg beginnen, der mit dem Massaker von Srebrenica 1995 einen abscheulichen Höhepunkt fand.
Wer lieber spielen wollte, der tat das auf der Playstation, dem Gameboy oder mit dem Tamagotchi. Auch Discman, Handys und das Internet setzen sich durch. Im Fernsehen waren reichlich Comedy-Serien (Seinfeld, Der Prinz von Bel-Air, Die Simpsons ...) vertreten und auch Seifenopern (Gute Zeiten, schlechte Zeiten) erleben einen Hype. Im Kino wurde unter anderem Fight Club, Bodyguard, Der mit dem Wolf tanzt und Titanic geschaut.
Der Automobilbau ist hin- und hergerissen. Flops, Hits, Genie und Wahnsinn wechseln sich ab. Hier eine Auswahl der prägendsten Autos dieses Jahrzehnts.
Porsche 911 993
Porsche stand unter Zugzwang. Der Porsche 928 verstaubte in den Showrooms und der Marktstart des Boxsters musste auf 1996 verschoben werden. Dazu kamen rund 400 Millionen Mark Entwicklungskosten für die neue 911er Generation.
Größter Kostenfaktor dürfte die komplett neue Mehrlenkerachse gewesen sein. Viele Fans sehen in diesem 911er auch den letzten. Für sie endet die Blutlinie des Ur-Porsche mit dem 911er der Baureihe 993, der zwischen 1993 und 1998 verkauft wird. Hintergrund dieses Glaubenskrieges ist, dass es der letzte 911er mit luftgekühltem Motor ist.
Der Nachfolger (Porsche 996) erhielt dann eine Wasserkühlung. Damit arbeitet im 993 natürlich auch der vermeintlich modernste luftgekühlte Motor, den Porsche jemals gebaut hat. Die Ingenieure haben die Technik aufs Äußerste ausgereizt. Die Wartungskosten sind entsprechend. Für einen 993 werden mittlerweile höhere Preise gezahlt als für seinen Vorgänger (964).
Toyota RAV4
Im Sommer 1994 rollt der SUV-Zug los. Bis heute hielt er nicht mehr an. Im Gegenteil, immer mehr Hersteller sprangen auf. Doch damals gehörte Toyota die Bühne noch ganz alleine. Toyota wollte die Vorteile eines Offroaders (hohe Sitzposition, robuste Technik, Abenteuer-Image) aus der Schmuddelecke holen und damit mehrheitsfähig machen.
Das gelang. Die Japaner spendierten dem Wagen immerhin Allradantrieb, was heute längst nicht bei allen SUV Standard ist, schmissen aber die großen Kostentreiber raus. Differentialsperren oder eine Geländereduktion etwa. Dazu kommt die typisch japanische Zuverlässigkeit. Die Technik war solide und robust, der Unterhalt nicht teuer.
Nachdem in Kalifornien verschärfte Gesetze eingeführt wurden, lancierte Toyota sogar einen Elektro-RAV4. Immerhin 1575 Stück verkaufte das Unternehmen, bis die Gesetze gelockert wurden. Die Patente auf die Akkuproduktion sicherte sich der Ölkonzern Texaco und verklagte daraufhin erst einmal Toyota. Ja, schon in den 1990er hat der Markt die Mobilität geregelt ...
Audi A2
Ferdinand Piëch feuerte den Startschuss für den Audi A2 auf dem Wiener Motorensymposium 1990 ab. Damals versprach er, spätestens Ende des Jahrtausends ein Auto zu verkaufen, dass nur drei Liter auf hundert Kilometer brauchen würde. Die Ingenieure konnten sich freuen, sie durften nämlich ein Auto vom weißen Blatt Papier entwickeln. Keine Vorgänger, deren Design sie beachten mussten, keine Befindlichkeiten.
1999 kam dann tatsächlich der A2 auf den Markt. Beeindruckend war, dass Audi die Alukarosserie, die sie erst 1994 mit dem A8 auf den Markt gebracht hatten, plötzlich in die Kleinwagenklasse demokratisierte. Den vollmundigen Ankündigungen von Piëch konnte das Auto aber nie gerecht werden.
Weil das Versprechen von drei Litern Verbrauch nicht einzuhalten war, schoss Audi im Jahr 2000 eine Sparversion nach – ein 1,2 TDI (45 kW) mit leichterem Fahrwerk, leichteren Sitzen und geglätteten Radkappen. Doch selbst hier pendelte sich der Verbrauch eher bei vier Litern ein. Dann war Audi alles egal. Im Jahr 2001 kam eine 110-PS-Variante, 2005 wurde der Wagen nach 176.377 verkauften Stück eingestellt.
Renault Twingo
Auch der Renault Twingo hat keinen offiziellen Vorgänger. Und auch hier durften sich die Entwickler voll austoben. In der Werbekampagne nahm sich der Wagen zwar nicht ernst, seine Botschaft war es aber: Habt Spaß, Mobilität ist Leichtigkeit.
Es ist vielleicht eines der letzten wirklich neu entwickelten Fahrzeuge, die auf große Fensterflächen setzten. Das erhellt den Innenraum und schafft Überblick. Innen ging es bunt zu. Schalter und vor allem Sitze gab es in diversen Farben und Designs. Die der Sitzbezüge wurden außerdem jährlich geändert, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Rein technisch war der Renault Twingo sowieso erwachsen wie kaum ein anderer Kleinwagen, zumindest erlaubte er sich hier keine Schwächen oder Spielereien. Der Erfolg gibt den Franzosen Recht. 15 Jahre lang blieb der Ur-Twingo im Programm – 2,4 Millionen Stück konnte die Marke verkaufen.
Fiat Multipla
Schnell den Elefanten im Raum ansprechen: der Fiat Multipla ist als hässlichstes Auto in die Geschichte der Mobilität eingegangen. Das lag vor allem an der abgesetzten Leiste unterhalb der Windschutzscheibe. Hier brachte Fiat sein Logo und das Fernlicht unter.
Die Reaktionen auf die Optik waren eindeutig und der Name schnell verbrannt. 1999 kam nach dem von 1956 bis 1965 gebauten Frontlenker-Modell der neue Multipla auf den Markt, 2010 verschwand er wieder. Einen Nachfolger gibt es bis heute nicht. Schade. Denn unter dem Blechkleid versteckte sich zukunftsfähige Technik. Der Multipla basierte auf dem Fiat Bravo, also der Kompaktklasse der Marke. Das Space-Frame-Konzept ist extrem variabel.
Es erlaubt Fiat, sehr schnell neue Karosserien und damit Fahrzeugvarianten zu entwickeln. Dazu gab es den Multipla als Diesel-, Benzin-, Erdgas- oder als BiPower-Variante. Bei letzterer kann der Wagen sowohl mit Erdgas als auch mit Benzin angetrieben werden. Der Benzintank ist in diesem Fall etwas kleiner, um Platz für die Druckflaschen zu schaffen.
BMW Z3
Der BMW Z3 hätte seine Premiere auf der Detroit Motorshow im Januar 1996 feiern sollen. Da kannte den Wagen aber schon die halbe Welt, weil er bereits seit November 1995 durch den James Bond "Golden Eye" jagte (ein Exemplar zierte auch die Filmpremiere in New York).
Mit dem Z3 wollte BMW auf der flachen aber imageträchtigen Roadster-Welle mitsurfen. Weil Deutschland kein klassisches Roadster-Land ist, ließen die Münchner das Fahrzeug direkt in den USA bauen – hier sollten auch die meisten davon abgesetzt werden. Für die Optik war Joji Nagashima verantwortlich und die war gelungen.
Der BMW Z3 ist bis heute ein Wunderwerk der Proportionen. An der Technik gab es nichts auszusetzen. Kein Wunder. Das Interieur stammte vom 3er, Bodengruppe und Achsen vom 3er Compact. Unter die Haube kamen Vier- (140 PS) und Sechszylinder (192 PS). Später durfte dann der Z3M mit 326 PS eskalieren.
Lotus, Honda, Lamborghini, Hummer
Lotus Elise S1
Anfang der 1990er gehörte Lotus zu Bugatti. Heutzutage hat das allerdings einen Klang, den es damals nicht hatte. Denn Bugatti ging erst 1998 an Volkswagen. 1993 lief der Kauf dann auch über die ACBN Holdings ab – eine Firma aus Luxembourg, die Romano Artioli, dem Bugatti-Besitzer, gehörte.
Die Gesellschafteranteile hätten an der Börse gehandelt werden sollen. Noch viel windiger als die Besitzverhältnisse war die finanzielle Situation von Lotus. Der Elan war ein Flop und der Esprit veraltet. Es musste mal wieder ein Firmenretter auf die Straße. Weil aber zumindest Lotus Engineering gut beschäftigt war und reichlich Entwicklungsarbeit für andere Hersteller leistete, gab es immerhin einen reichhaltigen Nährboden.
Die Engländer orientierten sich an Colin Chapmans Leitspruch "First take simplicity, then add lightness" und kreierten einen Sportwagen, der dem Firmengründer gefallen hätte – die Lotus Elise S1. Das Chassis wog gerade einmal 65 Kilogramm, auf Luxusgadgets wie Dämmung oder Fußmatten wurde verzichtet. Aus 1,8 Litern kamen anfangs drehfreudige 120 PS, was völlig ausreichte, um die 690 Kilogramm ordentlich über die Straßen zu wirbeln. Der simple Sportwagen sollte später Basis für den Tesla Roadster werden.
Honda NSX
Hochdrehender Leichtbau war auch das Steckenpferd von Honda. Das hatten sie unter anderem mit dem CRX bewiesen. Doch 1990 wollten die Japaner noch einen draufsetzen und Ferrari herausfordern. Diese Aufgabe sollte der Honda NSX übernehmen.
Ein Auto, das direkt aus der Formel Eins-Garage der Japaner auf die Straße gelassen wurde. Der Wagen wurde quasi vollständig aus Aluminium gefertigt. Unter der Haube gab es einen Sechszylinder mit variabler Ventilsteuerung und sechs Ventilen pro Zylinder. Die Schlupfregelung griff in Zündung und Einspritzung ein.
Vor lauter Halali ging beinahe unter, dass auch die erste elektrisch unterstützte Zahnstangenservolenkung ihren Dienst tat. Technik, Optik und Verarbeitungsqualität waren so überdrüber, dass Honda für den NSX die gleichen Preise aufrufen musste wie Ferrari für den Mondial T, Porsche für den 911 Carrera und BMW für den M5.
Lamborghini Diablo
Zwischen dem Lamborghini Miura und dem Countach liegen Welten. Sowohl beim Design als auch bei Leistung und Fahreigenschaften. Vor allem das Design erregte Aufsehen, weil die spitzen Winkel und scharfen Kanten mit dem bisherigen Design der Marke brachen.
Ab Mitte der 1980er arbeitete Lamborghini dann an einem Nachfolger für den Countach. Das Keil-Design wurde direkt zur neuen Lamborghini-DNS erhoben. Keine Diskussionen. Die Italiener hatten ohnehin andere Ziele. Das Fahrzeug sollte nichts weniger werden als das schnellste Serienauto der Welt.
Entsprechend ist der Diablo größer und stärker als der Countach. Bei Testfahrten erreichte der Wagen 337 km/h – 5,7 Liter V12 mit 492 PS sei Dank. Die offizielle Höchstgeschwindigkeit gaben die Italiener dann mit 325 km/h an. Womit dann auch der kindische Streit aus den 1980ern beendet war, ob jetzt der Ferrari F40 oder der Porsche 959 schneller wären. Niemand interessiert sich schließlich für Zweit- und Drittplatzierte.
Hummer H1
Als sich das amerikanische Militär in den 1980ern für den Humvee als neues Einsatzfahrzeug entschied und damit gegen den überraschend ähnlich aussehenden Lamborghini Cheetah, brachten die klammen Italiener den Offroader einfach als LM002 auf die Straßen. Und scheiterten. Nur 300 Exemplare wurden gebaut und 1993 verschwand der Koloss aus den Verkaufsprospekten.
Das hinderte AM General aber nicht daran, selbst eine zivile Humvee-Variante zu entwickeln. Den Hummer H1. Doch die Amerikaner blieben bescheiden. Als der H1 1992 auf den Markt kam, hatte der acht statt zwölf Zylinder, nur grundlegenden Luxus (elektrische Fensterheber, Klimaanlage, CD-Player) statt totales Schweinsleder-Paket und mit Arnold Schwarzenegger einen prominenten Fürsprecher.
Weitere Promis wie Tupac Shakur, Dennis Rodman und Coolio folgten. Der Wagen avancierte zum Achtungserfolg. General Motors übernahm deswegen 1999 die Markenrechte und warf den Hummer H2 auf den Markt.
(fpi)