Analyse: Warum KI für Apple mehr als eine technische Herausforderung ist

Im Juni muss der iPhone-Hersteller nach Erwartung vieler in Sachen KI liefern. Doch nicht ohne Grund war Apple bislang bei KI eher zurückhaltend.

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Apple-Logo auf einer Geräterückseite

(Bild: Sebastian Trepesch)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Bei Apple und dem Thema KI fühlt man sich manchmal wie der Inuit in der Eiswüste in einem Werbespot von Audi aus dem Jahre 1997. Der hebt darin ein Häufchen Schnee auf, durch das Reifenspuren führen, und deutet, dass hier wohl ein Audi quattro langgefahren sein muss. Beim Thema Künstliche Intelligenz gibt es inzwischen auch mannigfaltige und jede Woche mehr werdende Spuren Apples im Schnee. Doch für die Frage, wo Apple bei dem Thema wirklich steht und was wir realistisch für dieses Jahr an KI-Funktionen erwarten dürfen, sind kundige Fährtenleser gefragt.

Eine Analyse von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Was inzwischen relativ klar zu sein scheint, ist, dass Apple das Thema noch nicht lange mit höchster Priorität behandelt: Eine deutliche Spur hier ist die jüngste neue Geräteklasse, die Apple Vision Pro. Kurioserweise lässt gerade die Neuerfindung jeden deutlich neuen Akzent in Sachen KI vermissen, obwohl es in der Bedienung und bei den Funktionen sicherlich interessante Ideen gegeben hätte, wo KI nutzbringend sein könnte. Wo, wenn nicht hier, hätte Apple einen ersten Aufschlag wagen können, wenn ihnen das Thema vorher schon sehr wichtig gewesen wäre?

Apple hat in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich andere Wetten auf die Zukunft abgeschlossen, was das Next Big Thing sein könnte: Allem Anschein nach waren es vor allem die Themen Mobilität – mit dem inzwischen laut Medienberichten eingestellten Auto-Projekt – und eben Mixed-Reality.

KI war für Apple bislang hingegen etwas, was nicht als unwichtig angesehen wurde, aber eher unter der Motorhaube stattfand. Nicht ohne Grund wurden all die Dinge, wo die Technik schlau mitdenkt, unter dem Oberbegriff Machine Learning zusammengefasst – buchstäblich ein Fall für den Maschinenraum. Der Nutzer bekam jeweils nur die schlauen Ergebnisse zu spüren, wie etwa die Identifikation von Bildobjekten in der Fotos-App, trat aber mit der KI nicht selbst in Interaktion.

Inzwischen führt auch für Apple kein Weg mehr daran vorbei, den Nutzer direkt mit der Künstlichen Intelligenz in Berührung zu bringen. Der wichtige und zuletzt schwierige Absatzmarkt China lechzt besonders danach. Und auch im Rest der Welt gilt ein Smartphone vielen potenziellen Käufern offenbar nur noch dann als fortschrittlich, wenn es KI integriert.

Dass Apple diesen Trend schlichtweg nur verschlafen hat, scheint jedoch zu kurz gegriffen zu sein. Es ist eher vorstellbar, dass es auch handfeste Gründe gab, die den iPhone-Hersteller zurückgeschreckt haben. Denn wie kaum ein anderes Technikthema gerät KI in Konflikt mit einigen Grundpfeilern Apples. KI ist deutlich mehr als nur eine technische Herausforderung für Apple.

  • Dazu zählt zuallererst, dass KI ein halbfertiges Produkt ist – und das sogar nur bestenfalls. Spätestens mit ChatGPT scheinen die letzten Dämme in der Techbranche gebrochen zu sein, hochgradig unfertige Produkte in einen Massenmarkt zu werfen. Und mehr noch: KI ist nicht nur unfertig, sondern vielfach völlig unberechenbar. Sie halluziniert und Fehler sind oft schwer reproduzierbar, was eklatant Apples Vorstellungen von Qualität und einem guten Benutzererlebnis widerspricht.
  • Unberechenbarkeit dürfte in Cupertino auch mit Blick auf die Kontrollierbarkeit ein Graus sein. Die jüngste Ankündigung, die Aktivierungssperre des iPhones auch auf Bauteile zu erweitern und Apples Versuche, im Digital Markets Act keinen kompletten Kontrollverlust zu erleiden, zeigen, wie sehr dem iPhone-Hersteller daran gelegen ist, alles, was das eigene Produkt betrifft, beherrschen zu können. Für gewöhnlich sucht Apple dabei nach Wegen, die dem Nutzer mindestens einen Vorteil aufzeigen, warum dies auch in seinem besten Interesse ist. Im Falle der Künstlichen Intelligenz sind die Möglichkeiten der neuen Technik aber inzwischen so erdrückend, dass ein weiterer Verzicht darauf schwerlich als Vorteil für den Nutzer zu verkaufen ist.
  • KI läuft auch Apples großen Klimaschutzplänen zuwider. Das hohe Innovationstempo bei den Sprachmodellen ist auch das Ergebnis einer regelrechten Materialschlacht, die von Servern gespeist wird, die einen enormen Energiebedarf haben. Wenn Apple sich in diese Arena begibt, wird das Ziel, bis zum Jahr 2030 CO₂-neutral zu sein, sicherlich nicht unerreichbar, aber doch eine größere Herausforderung sein. Vor allem wirft es natürlich in der Außenwirkung Fragen auf – der Vorbehalt wäre zumindest Grund genug, warum Apple beim KI-Thema ein wenig auf Zeit gespielt hat.
  • Und nicht zuletzt berührt KI auch das Apple sehr wichtige Thema Datenschutz. Jene, die KI kritisch gegenüberstehen, nehmen häufig Anstoß daran, dass Eingaben auf Cloudservern verarbeitet und gar als Trainingsmaterial zur Verbesserung der KI eingesetzt werden. Apples Ansatz, möglichst viel lokal auf dem Gerät zu rechnen, hat viele Freunde, aber auch – Siri lässt grüßen – seine Grenzen. Wenn nun iPhone und Co. deutlich mehr KI bieten sollen, wird Apple Lösungen finden müssen, die den Datenschutz wahren und trotzdem auch viel zu erklären haben, weil KI-Kritiker grundsätzliche Vorbehalte gegen die Technik haben. Zumindest bei der Hardware scheinen die Kalifornier schon recht gut gerüstet und werden laut aktuellem Gerüchten spätestens mit dem M4 auch noch eine Schippe drauflegen.

Nach den mehrfachen Ankündigungen von Apple-Chef Tim Cook ist völlig klar: Apple wird liefern – allen möglichen früheren Vorbehalten zum Trotz.

Die aktuellen Spuren deuten darauf hin, dass auf der Entwicklerkonferenz WWDC im Juni wahrscheinlich erstmal Lösungen zu sehen sein werden, die unter Zuhilfenahme bestehender Sprachmodelle wie Google Gemini zustande gekommen sind.

In für Apple-Verhältnisse ungewöhnlicher Transparenz purzelten in den vergangenen Wochen manchmal täglich neue Forschungspapiere aus Cupertino heraus, die aufzeigen, dass Apple weit größere Pläne für KI hat. Wenig deutet allerdings darauf hin, dass das eine Vorschau auf iOS 18 ist, als vielmehr Baldrian für die Anleger, die bei Nutzung eines Mitbewerbersprachmodells im Sommer denken könnten, dass Apple keine eigenen Pfeile im Köcher hat.

Trotz der Zwangsläufigkeit, dass mehr KI kommen muss, wird Apple dennoch ein sensibles Händchen bei der Integration beweisen müssen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass KI zwar von einigen euphorisch und von einer größeren Zahl der Nutzer gemäßigt positiv gesehen wird. Es gibt aber gerade mit Blick auf die Werte, für die Apple steht, eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen, die KI aktuell noch sehr kritisch sehen.

Apple wird genug KI liefern müssen, um jene zufrieden zu stellen, die danach verlangen, aber muss gleichzeitig jene unbehelligt lassen, die die Technik gar nicht so dominant haben möchten.

Um das zu schaffen, bedarf es menschlicher Intelligenz und vor allem Einfühlungsvermögen. Die WWDC im Juni wird zeigen, ob auch Apple – wie der eingangs erwähnte Inuit – die Zeichen der Zeit richtig zu lesen weiß.

(mki)