Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung beantragt
Ein neuer Antrag beim Bundesverfassungsgericht auf Aussetzung der Regelungen zur Speicherung der Telefon- und Internet-Verbindungsdaten soll bessere Chancen haben, nachdem eine erste Eilentscheidung der Verfassungsrichter die Regelungen nur einschränkte.
Die Auseinandersetzungen vor dem Bundesverfassungsgericht um die Speicherung der Telefon- und Internet-Verbindungsdaten auf Vorrat gehen weiter: Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik hat im Namen der ĂĽber 34.000 BundesbĂĽrger, die sich an der Massenverfassungsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung beteiligen, vor dem Bundesverfassungsgericht Antrag auf Aussetzung der gesetzlichen Regelungen gestellt.
In Deutschland ist nach den zum 1. Januar dieses Jahres eingefĂĽhrten Regelungen zur Vorratsspeicherung von Telekommunikations- und Internet-Verbindungsdaten eine sechsmonatige Speicherung der Daten bei den Providern und Carriern vorgesehen, auf die Strafverfolger bei der Verfolgung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr zugreifen dĂĽrfen. FĂĽr die Internet-Verbindungsdaten gilt eine Ăśbergangsfrist fĂĽr die Umsetzung der Speicherpflicht bis Anfang 2009.
Ende Februar war daraufhin die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik, die der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung initiiert hatte, auf den Weg gebracht worden: Insgesamt 34.443 Klageschriften gegen die verdachtslose Protokollierung von Telefon- und Internetdaten waren dem Bundesverfassungsgericht übergeben worden. Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin die Regelungen in einer Eilentscheidung bis zu einem Urteil im Hauptsacheverfahren zwar nicht wie beantragt ausgesetzt, aber eingeschränkt.
Nach dieser Eilentscheidung der Verfassungsrichter müssen Telekommunikationsfirmen zwar Verbindungs- und Standortdaten der Nutzer verdachtsunabhängig sechs Monate vorhalten. Sicherheitsbehörden dürfen darauf aber nur zur Verfolgung schwerer Straftaten zugreifen. Zudem muss der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein. In dem von Parlament und Bundesrat beschlossenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist dagegen beispielsweise auch vorgesehen, dass Ermittler sowie prinzipiell Geheimdienste etwa auch bei "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" auf die gespeicherten Verbindungsdaten zugreifen dürfen.
Derzeit sind noch weitere Beschwerden – unter anderem von FDP- und Grünen-Politikern – anhängig. Auch die Gewerkschaft ver.di hat gegen die Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Mit dem neuen Antrag auf Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung, bis das Gericht in der Hauptsache über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung entschieden hat, erhoffen sich die Bürgerrechtler nun bessere Chancen als beim ersten Mal. Sie führen zur Begründung unter anderem eine Forsa-Umfrage an, laut der "die Vorratsdatenspeicherung jeden zweiten Bürger davon abhalte, in sensiblen Angelegenheiten telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen". Damit habe sich die Annahme aus der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts als unzutreffend herausgestellt, die anlasslose Erfassung des Kommunikations-, Bewegungs- und Informationsverhaltens ziehe noch keine irreparablen Beeinträchtigungen nach sich, heißt es zur Begründung des Antrags.
Außerdem habe "der Missbrauch von Verbindungsdaten durch die Deutsche Telekom gezeigt, dass die schädlichen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung durch bloße Nutzungsbeschränkungen nicht in den Griff zu bekommen seien". Im Antrag wird zudem darauf hingewiesen, dass die "Vielzahl der Anbieter von Internetdiensten besondere Risiken für die Sicherheit der Daten schaffe", daher sei die Aussetzung der ab 2009 zur Pflicht werdenden Vorratsdatenspeicherung für Internet-Zugänge besonders dringlich. Auch sei es "widersprüchlich, dass Internetnutzer nach der einstweiligen Anordnung vom März 2008 schon bei dem Verdacht von Bagatellvergehen wie Tauschbörsennutzung oder eBay-Betrug mit Hilfe von Vorratsdaten identifiziert werden dürften, eine Herausgabe der Vorratsdaten etwa im Telefonbereich aber nur zur Verfolgung schwerer Straftaten zugelassen sei".
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ruft auch für den 11. Oktober 2008 zu einer Großkundgebung unter dem Motto "Freiheit statt Angst" auf. Um möglichst vielen Bürgern eine einfache Teilnahme zu ermöglichen, haben die Bürgerrechtler auch Sonderbusse organisiert.
Siehe dazu auch:
- Bundestag verwirft Petition gegen Vorratsdatenspeicherung
- EU-Liberale kontra Vorratsdatenspeicherung: "Ihr habt Rechte, nutzt sie!"
- Verhandlungen zur Vorratsdatenspeicherung in Luxemburg und Dublin
- GrĂĽne gegen neue Varianten der Vorratsdatenspeicherung
- ver.di: Vorratsdatenspeicherung schränkt Koalitionsfreiheit ein
- Internetwirtschaft fordert Verzicht auf Vorratsdatenspeicherung
- Forsa-Umfrage: Vorratsdatenspeicherung beeinflusst Telefonierverhalten
- Journalisten-Verband fordert Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung
- BĂĽrgerrechtler gehen gegen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vor
- Verfassungsgerichtsentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung sorgt fĂĽr Konfusion
- Bundesverfassungsgericht schränkt Vorratsdatenspeicherung ein
- 34.443 Klageschriften gegen die Vorratsdatenspeicherung
- Bundesrat segnet Vorratsdatenspeicherung ab
- Bundestag verabschiedet Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und TK-Ăśberwachung
- Neue Regeln zur Ăśberwachung der Telekommunikation
Zu den Aktionen gegen Ăśberwachung siehe auch:
- BĂĽrgerrechtler rufen zur GroĂźdemo gegen Ăśberwachung nach Berlin
- Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erhält Werbepreis und plant Großdemo
- Polizeizugriffe bei Demo gegen den Ăśberwachungsstaat
- Tausende BĂĽrger demonstrieren fĂĽr "Freiheit statt Angst"
Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:
(Stefan Krempl) / (jk)