ePA 3.0: Warum Ärzte vor der elektronischen Patientenakte für Kinder warnen

Die lebenslange elektronische Patientenakte kommt für alle automatisch – auch für Kinder. Ärzte sehen darin eine Gefahr und Konfliktpotenzial.

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Kind schaut beim Arzt auf ein Tablet.

(Bild: Leonardo da/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die Version 3.0 der elektronischen Patientenakte (ePA) sorgt in Deutschland für Diskussionen. Während vor allem das Bundesgesundheitsministerium nicht müde wird, ihre Vorteile zu betonen, gibt es noch viele offene Fragen. Alle gesetzlich Versicherten, auch Kinder, sollen bis Mitte Februar eine elektronische Patientenakte erhalten – sofern kein Widerspruch erfolgt ist. Ab dem 15. Lebensjahr können Jugendliche selbst widersprechen, für jüngere Kinder die Eltern.

Doch Ärzte und Psychotherapeuten sehen Probleme, die noch nicht ausreichend gelöst wurden. Bereits in der Vergangenheit hatten Ärztevertreter kritisiert, dass Kinder automatisch eine ePA erhalten sollen und diesbezüglich rechtliche Unklarheiten bestünden.

Eine der ungeklärten Fragen betrifft laut dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt:innen e.V. (BVKJ) die Befüllung der ePA, wenn die Erziehungsberechtigten unterschiedliche Wünsche hinsichtlich der Speicherung der Daten ihrer Kinder äußern. Unklar sei auch, ob der Widerspruch eines Elternteils ausreiche, um die ePA nicht anzulegen. Problematisch sieht der Verband, dass die Daten von Jugendlichen unter 15 Jahren nicht geschützt sind. Die Erziehungsberechtigten könnten Einblick erhalten, auch wenn die Jugendlichen ein berechtigtes Interesse an der Nicht-Information der Eltern äußern, zum Beispiel bei der Inanspruchnahme von Verhütungsberatung.

Der BVKJ kritisiert zudem (PDF), dass Ärzte verpflichtet sind, die ePA von Kindern mit sensiblen Daten zu befüllen, die zu Stigmatisierung oder Diskriminierung führen könnten. Und zwar auch, wenn die Ärzte überzeugt sind, dass dies nicht im Interesse des Kindes ist. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ, betont, dass er Sorgeberechtigten und Patienten dazu raten werde, die Entscheidung über ihre Teilnahme an der ePA sorgfältig abzuwägen, solange die genannten Probleme nicht gelöst sind. Er fordert, dass der Wunsch auf Nichtspeicherung, auch wenn er nur von einem Elternteil oder einem Kind, das älter als 14 Jahre ist, geäußert wird, Berücksichtigung finden muss.

Die Forderungen des BVKJ werden unter anderem auch von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern unterstützt. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hatte in der Vergangenheit ebenfalls auf Konfliktpotenziale in Praxen hingewiesen. In einer Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (PDF) wurde kürzlich ein Beschluss verabschiedet, wonach die ePA bei Minderjährigen von einem Opt-out- auf ein Opt-in-Modell umgestellt werden soll. Zudem fordern sie, dass Abrechnungs- und Diagnosedaten nur vom Versicherten selbst eingesehen und bei Bedarf anderen Behandelnden zur Verfügung gestellt werden können.

Solange es noch Unklarheiten, etwa in Bezug auf die Zugriffs- und Einsichtmöglichkeiten bei der elektronischen Patientenakte speziell für Kinder gibt, sollten die Verantwortlichen bei ihnen vorerst auf die Opt-out-Umstellung verzichten", fordert daher auch Mathias Heinicke, Vorsitzender im Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten und dort Experte für Digitalisierung und Datenschutzfragen. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich zu den Forderungen bislang nicht geäußert.

Das Konfliktpotenzial, das möglicherweise auf die Praxen abgewälzt wird, ist laut Heinicke groß. Möglich sei etwa, dass ein Kind über einen nicht sorgeberechtigten Hauptversicherten (etwa den neuen Partner der Mutter) familienversichert ist, der nicht über das Sorgerecht verfügt, im Rahmen der Versicherung aber dennoch verantwortlich für die ePA des Kindes ist. Bei diesen und ähnlichen Fällen handele es sich zwar um Ausnahmen, dennoch bergen diese Konfliktpotenziale. Bereits Anfang 2024 hatte der Verband bei der elektronischen Patientenakte daher ein Opt-in für Kinder gefordert.

Die Ärzteverbände fordern, dass die Krankenkassen ihre Versicherten umfassender als bisher über die ePA aufklären, dazu hatten nach Ergebnissen einer Analyse der Informationsschreiben der Krankenkassen kürzlich auch Verbraucherschützer geraten. Die Ärzteverbände Medi Geno Deutschland und Medi Baden-Württemberg warnen ebenfalls vor Gefahren, die durch eine unzureichende Aufklärung der Patienten über die Risiken der ePA entstehen. Sie kritisieren, dass einige Krankenkassen bei der Information ihrer Versicherten vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen. Viele Krankenkassen informieren in ihren Schreiben vor allem über die Vorteile der ePA, während Themen wie der Datenschutz nicht angesprochen werden. Das decke sich nach Angaben von MEDI-Chef Dr. Norbert Smetak mit dem Feedback ihrer Patientinnen und Patienten.

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"Gerade wir Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben es mit besonders sensiblen Gesundheitsdaten zu tun. Unaufgeklärte Patientinnen und Patienten werden auch ihre Gesundheitsdaten nicht adäquat schützen. Das bedeutet, dass wir noch mehr aufklären müssen, was in der Versorgungslage kaum machbar ist", erklärt Dr. Christian Messer, stellvertretender Vorsitzender von MEDI GENO Deutschland. Ebenso wird laut Messer die Schweigepflicht durch die ePA verletzt: "Wenn die Befunde künftig bis zur Aushilfe in der Apotheke zugänglich sein werden, ist es nicht mehr nachvollziehbar, wer im Falle einer Verletzung der Schweigepflicht haftet".

MEDI warnt zudem vor einer möglichen Kommerzialisierung der Gesundheitsdaten. Bestärkt hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Sorgen auf der Digital Health Conference des Bitkom, als er über das Interesse von IT-Riesen wie Meta, OpenAI oder Google an den deutschen Gesundheitsdaten berichtete. MEDI-Chef Dr. Norbert Smetak betont, dass diese Daten ausschließlich für Behandlungszwecke erhoben werden. Gefordert werde daher eine juristische Klärung der "Verfügungsberechtigung von pseudonymisierten Gesundheitsdaten".

(mack)