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Was war. Was wird.

Warum gequetschte Philosophen bemühen, wenn es die richtige Hardware gibt, fragt sich Hal Faber in einem der Momente, in denen die Vuvuzelas schweigen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Es war dunkel, als diese kleine Wochenschau online ging. Die Vuvuzelas schwiegen. Gelegentlich flackerte die Twitter-Timeline. Betrieb herrschte nur unter den Eulen hoch oben im Gebälk. Das Gelege ist geschlüpft und hungrig. Die weisen Vögel holen die Mäuse von den Feldern, auf denen der Mais noch niedrig steht. Damit fangen sie lange vor der Dämmerung an, denn die Sommernächte sind kurz. Flugtechnisch hatte Hegel unrecht und so greifen wir zu Luhmanns allgemeiner Theorie sozialer Systeme, deren letzter Satz tröstet: "Wir können jetzt der Eule Mut zusprechen, nicht länger im Winkel zu schluchzen, sondern ihren Nachtflug zu beginnen. Wir haben Geräte, um ihn zu überwachen, und wir wissen, dass es um Erkundung der modernen Gesellschaft geht."

*** Doch warum die gequetschten Philosophen bemühen, wenn es die richtige Hardware gibt? Vom Hodometer bis zum BS-Detektor (GIF-Datei) haben wir zahlreiche Geräte für die Flugüberwachung schluchzender Eulen der der Weisheit. Was manchmal fehlt, sind nur die richtigen Worte für das, was in unserer modernen Gesellschaft passiert. Begrüßen wir darum den Spruchbeutel, den Herbert Prantl neu definiert hat als Politiker, der das aktuelle Sparpaket der schwarzgelben Regierung als "sozial ausgewogen" bezeichnet. Weder harmonisch noch durchdacht ist dieses Sparpaket, das die sozial Schwachen trifft und jedwede Vermögensabgabe vermeidet. Das fängt beim Elterngeld an, mit dem die Quasiverbeamtung bildungsferner Kinder möglich war und endet bei einem Schnäppchen namens Brennstoffabgabe, für das sich die Atomindustrie bedankt. Irgendwo dazwischen liegt der Versuch, den Nichtnachbau eines Schlosses in Berlin als Sparmaßnahme zu deklarieren. Freuen darf sich auch der Mautbetreiber Toll-Collect, wenn zum Sparen das Autobahnmautgesetz gekippt wird und vierspurige Bundesstraßen versorgt werden müssen: Rein rechnerisch soll das Verkehrsministerium bereits mit zusätzlichen 150 Millionen Euro Mauteinnahmen im Jahre 2011 planen. Neue OBU-Software, viele Zahlstellenterminals und eine Verlängerung der eigentlich befristeten Mautverträge auf den St. Nimmerleinstag garantieren höhere Einnahmen auf Jahre hinaus – und das bei einem System, das bislang auf internationaler Ebene kein einziges Mal verkaufen konnte.

*** Zu den bemerkenswerten Gesetzesänderungen gehört der Schnellschuss, mit dem eine Rechtsgrundlage für die Datei Gewalttäter Sport und ähnliche Datensammlungen durch den Bundestag verabschiedet wurde. Noch am Tag davor fehlte jeder Hinweis auf die Aktion in der Tagesordnung der Politiker. Die heldenhafte Rettung der BKA-Datenbestände durch Innenminister de Maizière ist ein Coup der besonderen Art, wenn man sich im Detail vorführt, was da alles gespeichert werden kann: Neben den üblichen Personalien können allerlei Besonderheiten wie eine ungepflegte Erscheinung, eine schrille Stimme, ein Dialekt, ein Sprachfehler oder auffällige Tätowierungen erfasst werden. Auch die Schuhgröße, die Handschrift und das Gewicht sind, soweit bekannt, in den BKA-Dateien speicherbar. Schön unauffällig bleiben und immer Duschen gehen, das sind die neuen deutschen Tugenden, über die sich Dr. Bonn freuen dürfte. Mit diesem Kunstwerk illustrierte Sigmar Polke die Rasterfahndungstechnik des damaligen BKA-Chefs Horst Herold. Nun ist der wichtigste Vertreter des kapitalistischen Realismus gestorben. Ob höhere Wesen befahlen, hör auf mit dem Malen?

Ein Hergang ist in aller Menschen Leben,
Abbildend der verstorbnen Zeiten Art:
Wer den beachtet, kann, zu Ziele treffend,
Der Dinge Lauf im ganzen prophezein.

Was der größte Barde in seinem König Heinrich IV philosophiert, hat seinen Sinn, wenn man die zu Ende gehende Geschichte der SCO Group mit dem Abstand betrachtet, der verstorbne Zeiten durch längst vergessne "Koffer" markiert. Die Klage von SCO über die Gefährlichkeit von Linux versprach 2003, eine der spannendsten und wichtigsten Auseinandersetzungen über Softwarerechte bei Gemeinschaftsprojekten großer Firmen zu werden, doch sie mutierte schnell zu einer Farce. Das alles hat der Heise-Newsticker ausdauernd dokumentiert, von den Bildschirmfotos der Beweise bis hin zu einem Koffer, der durch Deutschland reiste und auf der CeBIT 2004 von einem Kameramann des ct-TV ausdauernd verfolgt und gefilmt wurde. Doch weder SCO noch die von der Firma angeheuerten "Rocket Scientists", die bereitwillig für SCO schreibenden Journalisten oder die Wissenschaftler der Alexis de Toqueville Institution mit einem Samiszdat halfen der Firma. Ganz zu schweigen von dubiosen Zeugen, die bis zu den letzten Verhandlungen vor einem Geschworenengericht mit seltsamen Ansichten Verwirrung stifteten. Nun deklamiert Novell als Sieger, dass man alles getan habe, damit Linux frei und offen bleiben kann. Auch das sind große Theaterworte, doch hätte Shakespeare seine größte Freude daran, die Urteilsbegründung zu dramatisieren, komplett mit einem Erzschurken Darl McBride. Der Mann, der Briefe verschickte und davor warnte, das Linux die nationale Sicherheit der USA gefährde, ja den Kapitalismus insgesamt bedrohe, meuchelte am Ende selbst sein ehrgeiziges Projekt, im großen Stil weltweit an Linux-Lizenzen zu verdienen. Seine Aussage, dass man eigentlich keine Copyrights gebraucht habe, um solche Lizenzen einzufordern, kann als Eingeständnis gewertet werden, dass man von Anfang an aufs Abzocken aus war.

*** Und nun? Die Welt fällt auseinander, es gibt kein Zentrum mehr. Das dichtete William Butler Yeats, der heute vor 145 Jahren geboren wurde. Zeilen aus seinem Gedicht für Maud Gonne zierten bereits diese kleine Wochenschau, sein großartiges The Second Coming schließt sich an:

Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.
Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.

Die Welt ist aus den Fugen, ich kann kaum glauben, was ich hier erlebe, schrieb der US-Soldat Bradley Manning an den Ex-Hacker Adrian Lamo. Der Dialog, den der Ex-Hacker Kevin Poulsen bei Wired in Auszügen veröffentlicht hat, lässt auf einen verstörten jungen Mann schließen, der im Irak die absurde Erfahrung machte, dass seine Untersuchungen über die Aussagen von Protestlern zur Korruption in der irakischen Verwaltung niemanden interessierte. Durch solche Erlebnisse motiviert und duch katastophal vernachlässigte Sicherheitskontrollen gefördert wurde Manning offenbar zu einem Whistleblower, der Wikileaks belieferte. Seine Tat steht in der Tradition von Daniel Ellsberg, der die Pentagon-Papiere an die Presse weitergab. Mannings Probleme begannen, als er den Kontakt zum Ex-Hacker Lamo suchte, der wiederum FBI und das Generalkommando der Armee informierte. Damit bestätigte er eine alte Journalistenregel, die in der Gebrauchsanweisung von Wikileaks fehlt: Beim Informantenschutz ist es die erste und problematischste Aufgabe des Journalisten, den Informanten vor sich selbst zu schützen. Nun ist Manning in Untersuchungshaft, eine von Wikileaks dementierte Passage aus seinem Hacker-Chat sorgt dafür, dass die USA eine Suche nach Wikileaks-Gründer Julian Assange gestartet haben, weil 260.000 Geheimdokumente in seinem Besitz sein sollen. Auf welcher rechtlichen Grundlage diese Suche erfolgt und wie sie erfolgt, darüber wird heftig spekuliert. Was ehemalige Hacker wie Lamo und Poulsen treibt, einen Whistleblower nicht vor sich selbst zu schützen, darüber gibt es wenig Spekulationen. Die letzten Zuckungen der gerne bemühten Hacker-Ethik sind lange her, der Mythos ist verblasst und die Leiche im Keller so mumifiziert, dass das Stinken aufgehört hat.

Was wird.

Das wichtigste Ereignis im Konrad Zuse-Jahr kündigt sich mit einem Festkolloquim im Deutschen Museum zu München an, auf dem am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel über Zuse und Computer reden sollte. Nun hat Merkel abgesagt, weil Politik eine alberne Sache ist und alles andere als algorithmisch steuerbar. Wer das Gegenteil glaubt, sollte mal den Algorithmus zeigen, nach dem in Nordrhein-Westfalen eine Regierung gebildet wird. Statt Merkel wird ein Referat über "Bayern als Informatikstandort" das Zuse-Spektakel eröffnen, zu dem eine Sonderausstellung des Nachlasses gehört.

Eine Sonderausstellung der anderen Art bietet die Bundesdruckerei in Berlin unter dem Titel "Schön, dass Sie es sind" an. Bundesinnenminister de Maizière und der neue Microsoft-Geschäftsführer Ralph Haupter führen gemeinsam die Vorzüge des neuen elektronischen Personalausweises vor und bestellen im Internet, was das Zeug hält. Dazu gibt es den schönen Wettbewerb Digitale Identitäten 2020: Wer am besten beschreibt, wie man im Jahre 2020 erkennt, ob ein Hund am Computer sitzt, bekommt Geld oder ein Notebook oder einen Praktikumsplatz bei Microsoft. Und schließlich lassen sich in den nächsten Tagen ja auch noch einige Doppelpässe betrachten. (anw)