Rückblick 2024: Jahr des Wandels zurück

Mit riesigen Schritten haben sich 2024 einige Dinge verschoben, und das nicht immer vorwärts. Der Preis dafür wird erst langsam sichtbar, und er wird hoch.

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VW ID.Buzz

VW war 2024 oft unfreiwillig in den Schlagzeilen. Zum Jahresende gab es mit einem riesigen Datenleck noch einen Nachschlag.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 13 Min.
Inhaltsverzeichnis
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Es scheint, als gebe es in vielen Gesellschaften eine diffuse, tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit. Wer sie verspricht, und sei es beständig mit der Abrissbirne, hat gute Chancen auf politische Verantwortung. Die Welt ist komplexer geworden, und einfache Botschaften haben Konjunktur. Sorgen beispielsweise vor einem Wandel des Klimas scheinen ein Luxus vergangener Zeiten zu sein, den man sich nicht mehr leisten mag. Zu müde sind viele von den Debatten der zurückliegenden Jahre. Dabei sollten wir uns Sorgen machen, gerade in diesem Bereich. Lokale Katastrophen, wie sie in diesem Jahr beispielsweise Spanien und Österreich getroffen haben, gab es auch in der Vergangenheit und sie sind rasch wieder aus den Nachrichten verschwunden. Doch ihre Zahl nimmt zu.

Ein Kommentar von Martin Franz
Martin Franz

Martin Franz ist der stellvertretende Chefredakteur von heise/Autos. Das berufliche Schrauben hat er hinter sich gelassen, um sich dem Thema Mobilität auf andere Art und Weise widmen zu können: beschreibend. Die Begeisterung für das Auto hat sich verändert, ohne abzunehmen.

Global steigen CO₂-Ausstoß und Durchschnittstemperaturen, und im privaten Sektor gehört der Verkehr nach wie vor zu einer der großen Treiber dieser Entwicklung. Mit dem batterieelektrischen Antrieb bestünde die Chance, diesen Bereich wenigstens etwas weniger umweltschädlich zu betreiben, perspektivisch sogar mit einer hoffnungsvollen Aussicht. Doch auf dem größten Markt für Neuwagen in der EU ging es 2024 für Elektroautos rückwärts, und das deutlich. Die von der noch im Amt befindlichen Bundesregierung gekappte Kaufunterstützung für gewerbliche Zulassungen und dann etwas später ziemlich plötzlich auch für private Autokäufe hat hierzulande tiefe Spuren in den Verkaufszahlen von E-Autos hinterlassen. Doch so zu tun, als ginge es mit Verbrennern einfach unverändert weiter, halte ich für eine schlechte Idee. Darauf zu warten, bis jeder verstanden hat, dass der Klimawandel besonders Mitteleuropa durch Wetterextreme und Zuwanderung aus unbewohnbar gewordenen Erdteilen vor Herausforderungen nie gesehenen Ausmaßes stellt, übrigens für eine nochmals drastisch schlechtere.

Ohnehin hinterließen einige der politischen Akteure im zurückliegenden Jahr ein eigenwilliges Bild. Am selben Tag, an dem in den USA ein schwer berechenbarer Rassist und Leugner des Klimawandels die Macht zurückerobert, die Bundesregierung mit einem Knall aufzukündigen, war schon eine deftige Ansage. Unabhängig davon, wie man die Frage beurteilt, wer dafür vor allem die Schuld trägt, darf sich die Gesellschaft aber wohl wundern, mit welchem Vokabular eine liberale Partei diesen Schritt offenbar vorbereitet hat. Es wäre vermutlich ein Euphemismus, dies nur seltsam zu nennen. Dass ein CSU-Chef mehr als 50 Jahre nach dem legendären Kniefall von Willy Brandt in Warschau an gleicher Stelle auf die Knie sinkt, sagt über ihn mehr aus, als selbst dieser sendungsbewusste Mann möglicherweise ausdrücken wollte.

Noch amtiert Olaf Scholz als Bundeskanzler. Derzeitige Umfragen deuten darauf hin, dass seine Chancen auf Machterhalt eher gering sind. Selbstverständlich kann man das auch argumentativ auch umdrehen: Jeder rechnet mit einer Niederlage, insofern hat er 2025 gewissermaßen nichts zu verlieren.

(Bild: Deutsche Bahn AG / Oliver Lang)

Dabei gäbe es sicher genügend Baustellen hierzulande, um die man sich öffentlichkeitswirksam kümmern könnte. Der Einsturz der Carola-Brücke in Dresden steht sinnbildlich für eine Infrastruktur, die seit Jahren auf Verschleiß gefahren wird. Bei Bildung und Digitalisierung eröffnen sich weitere Felder für mögliche Betätigungen, und ganz sicher ist die Liste damit nicht einmal ansatzweise gefüllt. Irgendwann in der Kalkulation scheint man aber hier und da zum Schluss gekommen zu sein, dass beispielsweise mit #Söderisst mehr mediale Präsenz zu holen ist. Die jahrelange Konditionierung auf eine Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne, so scheint es, beginnt sich für diese Lautsprecher auszuzahlen. Und ja, daran haben auch Medien einen gehörigen Anteil. Zugunsten der Gesellschaft wird das mittelfristig eher nicht sein, was von den Initiatoren einkalkuliert ist, denke ich.

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Unterstützung von unerwarteter Seite bekamen die Konservativen bei der ins Auge gefassten Beseitigung des faktischen Verbrenner-Verbots in Neuwagen nach 2034. Die Namensgeberin des BSW sprach sich ganz ernstlich dafür aus, dass die Industrie doch bitte neue sparsame Verbrennungsmotoren entwickeln möge. Gewohnt geschickt im Auftritt, ließ Sahra Wagenknecht einfach offen, wer die kaufen sollte. Verbrauchsarme, kleine Autos werden vielfach gefordert, nur gekauft wurden sie in den zurückliegenden Jahren immer weniger. Das Kaufverhalten, in Deutschland dominiert von gewerblichen Zulassungen, zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Unverändert ist der Verbrauch bei der Entscheidung für ein bestimmtes Modell meist nachrangig. Wagenknecht argumentiert inhaltlich, dass Deutschland den Vorsprung bei Verbrennungsmotoren nicht einfach aufgeben dürfe. Den mag es geben, doch was wird der mittelfristig noch wert sein?

Auf dem Automarkt insgesamt ist die hierzulande in einigen Teilen noch immer diskutierte Wende bei der Fahrenergie mittelfristig ohnehin durch. In China werden es 2024 schlussendlich rund 27 Millionen Neuzulassungen insgesamt, also inklusive aller Antriebsarten, geworden sein, in der gesamten EU nicht einmal die Hälfte. Elektroautos boomen im Reich der Mitte, und auch wenn die dortige Regierung eine Technologieoffenheit medial transportiert, spielen die absehbaren Alternativen zum batterieelektrischen Antrieb praktisch keine Rolle. Überkapazitäten der chinesischen Autoindustrie zwingen zum verstärkten Export, was alle Verantwortlichen in EU und Konzernen umtreibt. Ob eine verschärfte Gangart bei Zöllen eine nachhaltige Antwort auf das ist, was dort kommen könnte? Zweifel daran sind wohl erlaubt.

China vorn? Nun ja, der markante Ora 07 zeigte im Test bei Ladeleistung, Infotainment und Raumnutzung erhebliche Schwächen.

(Bild: Pillau)

Sehenden Auges in schweres Fahrwasser steuerte 2024 die Volkswagen-Marke VW Pkw. Ein großes Sparpaket, Ende 2023 nahezu unter Ausschluss der öffentlichen Aufmerksamkeit beschlossen, habe sich als zu zahm kalkuliert erwiesen, befanden die Spitzen des Konzerns. Sie traten Ende August mit einer herben Ansage ins Rampenlicht: Lohnkürzungen und Werksschließungen seien in Deutschland nicht mehr ausgeschlossen. Das wurde von der Belegschaft vollkommen korrekt als Kampfansage interpretiert. Nach zähem Ringen gab es kurz vor Weihnachten noch eine Einigung im Tarifstreit. Doch das dürfte nicht mehr als eine vorübergehende Pause gewesen sein, die sich als trügerische Ruhe erweisen könnte. VW kämpft mit Überkapazitäten, und ohne Schmerzen werden sie nicht abzubauen sein.