Peering: Verbraucherschützer machen gegen "Netzbremse" der Telekom mobil

"Die Telekom drosselt das Netz", beklagen die Macher einer neuen Kampagne. Das verstoße gegen die Netzneutralität. Eine offizielle Beschwerde soll bald folgen.

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Internetknoten beim DE-CIX in Frankfurt.

(Bild: DE-CIX)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Immer wieder monieren Kunden der Deutschen Telekom, dass manche Webseiten nicht laden, Audio- oder Videostreams holprig laufen oder sogar abbrechen. Software-Downloads? Gähnend langsam. Anspruchsvolles Online-Gaming: gar nicht dran zu denken. Online-Foren sind voll davon: Die Updates bei der Ersteinrichtung eines Windows-11-Laptops hätten fünf bis sechs Stunden gedauert, ist da etwa zu lesen. Die Eve-Online-Server stünden in England und oft müsste der Traffic dann in den Niederlanden durchs Netz, beklagt sich ein Gamer. Ein Nachverfolgen der Datenpakete habe gezeigt, dass die Telekom alles massiv verzögert habe.

Die Bürgerrechtsorganisation Epicenter.works, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und die Stanford-Professorin Barbara van Schewick wollen dagegen etwas tun und haben die Kampagne Netzbremse gestartet. Auf der Webseite schreiben sie: "Die Telekom schafft künstliche Engpässe an den Zugängen zum Telekom-Netz." Finanzstarke Dienste, die den Telekommunikationsriesen bezahlten, "kommen schnell durch und funktionieren super". Inhalteanbieter, die sich das nicht leisten könnten, "werden ausgebremst und laden oft langsam oder gar nicht".

Laut den Verbraucherschutz-Aktivisten bedeutet das: "Die Telekom entscheidet, welche Dienste wir problemlos nutzen können, und verletzt so die Netzneutralität." Sie planen daher eine Beschwerde bei der Bundesnetzagentur (BNetzA), die hierzulande über die Einhaltung der EU-Verordnung für ein offenes Internet wacht. Dafür suchen sie noch weitere Erfahrungsberichte von Kunden, relevante Messdaten oder Hinweise von Whistleblowern.

Hintergrund der Internetprobleme ist die Peering-Politik der Telekom – also bei der Zusammenschaltung der Telekom mit anderen Netzen und größeren Datenaustauschknoten. Ohne solche Zusammenschlüsse könnte ein Zugangsservice zum Internet gar nicht funktionieren. Würde man über einen Provider nur in dessen eigenem Netzwerk landen, wäre es gerade kein übergeordnetes Internet.

Die allgemein etablierte Peering-Praxis ist, dass ein Netzbetreiber mehr Kapazität schafft, wenn Staus auf der Datenautobahn drohen. Meist fließt dabei kein Geld, denn die ausgebaute Verbindung ist im Interesse aller Beteiligten. Aber einige sehr große Betreiber weichen von diesem Prinzip aus monetären Gründen ab.

Jeder aus der Branche wisse, dass man die Telekom "für Internetverkehr, den man über sie verschickt oder empfängt, bezahlen muss", monierte der niederländische Netzexperte Rudolf van der Berg schon vor Jahren. Der deutsche Ex-Monopolist biete dem größten Teil der Welt "vollgelaufene Netzknoten". Nur wer kostspielige spezielle Peering-Verträge mit dem Unternehmen abschließe, bekomme gute Konnektivität.

Die Netzbremse-Aktivisten werfen der Telekom auch vor, Verbindungen absichtlich zu verschlechtern, um dann kassieren zu können. Die Telekom sei der einzige deutsche Provider, der Endkunden und Online-Dienste zur Kasse bitte, also doppelt kassiere. Das widerspreche den Vorgaben für ein "neutrales, freies und schnelles Internet – für alle".

"Die erhobenen Vorwürfe sind falsch und zeugen von rechtlichem und technischem Unverständnis", hält die Telekom dagegen. Man verletze weder die Netzneutralität, noch werde der Netzzugang für die eigenen Kunden verschlechtert. Vielmehr gewinne der Konzern sämtliche Netztests und sei erst jüngst wieder – zum 17. Mal in Folge – als "Anbieter des besten Internets ausgezeichnet" worden.

Thomas Lohninger von Epicenter.works will sich damit nicht abspeisen lassen. "Das Problem ist großflächig und schon seit Jahren bekannt", betont er gegenüber heise online. Telekom-Kunden litten unter der künstlichen Bandbreitenverknappung und würden in ihrer Wahlfreiheit verletzt.

"Die Details werden wir in unserem Schriftsatz an die BNetzA darlegen, der in den nächsten Wochen eingereicht wird", kündigte Lohninger an. "Wir werden uns dann auch noch detailliert zu Wort melden." Die Telekom reagiere auf Kritik gerne mit Unterstellungen: "Als wir 2017 ihr Stream-On-Angebot kritisierten, wurde uns auch vorgeworfen, wir würden uns nicht auskennen. Der EuGH hat uns damals Recht gegeben."

Thomas King, Technikvorstand beim weltweit größten Internetknotenpunkt De-CIX in Frankfurt, bestätigt Herausforderungen beim Peering, ohne die Telekom beim Namen zu nennen: "Wir beobachten derzeit eine Tendenz, bei der große Marktteilnehmer ihre dominante Position zunehmend nutzen, um nicht nur ihr Internetzugangsgeschäft für Privat- und Geschäftskunden, sondern auch die Netzzusammenschaltung mit oft kleineren Netzen zu monetarisieren."

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Dies führe dazu, dass ehemals kostenfreies Peering zwischen verschiedenen Netzbetreibern und etwa Content Delivery Networks (CDN) oder Internet Service Providern (ISP) kostenpflichtig werde. Nicht alle CDNs oder ISPs könnten und wollten sich diese Art des "Paid Peerings" leisten. Diese Entwicklung beeinträchtige die Internetqualität insbesondere für private Nutzer.

"Um eine hohe Qualität für Privatkunden sicherzustellen, bleibt Free Public Peering unerlässlich", betont King. Der Markt für Zusammenschaltungen reguliere sich aber grundsätzlich selbst, was zumindest bisher sehr gut funktioniert habe. Der Insider unterstreicht: "Wir bei DE-CIX stehen für ein freies Internet und befürworten daher grundsätzlich so wenig Eingriffe durch übergeordnete Instanzen wie möglich."

Frederic Ufer, Geschäftsführer des Branchenverbands VATM, in dem sich Wettbewerber des Marktführers zusammengeschlossen haben, begrüßte, "dass im Rahmen der Kampagne 'netzbremse.de' ein detaillierter Blick auf das Vorgehen der Telekom geworfen wird. Auch von VATM-Mitgliedsunternehmen werden Beschwerden an uns herangetragen." Man werde daher die weitere Entwicklung intensiv beobachten.

Der Breitbandverband Breko verwies darauf, dass die Telekom sich auf EU-Ebene für eine Datenmaut einsetze. Falls eine solche Kostenbeteiligung der großen Tech-Konzerne am Netzausbau doch noch eingeführt würde, müsste diese – etwa über einen Fonds – "allen Unternehmen zugutekommen, die in moderne Netze investieren".

Jürgen Bering von der GFF führte jüngst auf einer Konferenz des Chaos Computer Clubs (CCC) aus, den Kampagnenmachern lägen bereits über 100 individuelle Nutzerbeschwerden zu dem Thema vor. In der EU sei das Recht für Endnutzer, unabhängig von Ursprung oder Ziel Informationen aus dem Internet zu beziehen, gesetzlich mit der Netzneutralität verankert. Die Regulierungsbehörde brauche "vielleicht einen kleinen Anstoß".

(vbr)