Temu, Shein & Co.: EU-Kommission will Billigimporte besser prüfen

Mit einem Werkzeugkasten verschiedener Maßnahmen will die Kommission unter Ursula von der Leyen Temu, AliExpress, Shein und Amazons Marketplace zu Leibe rücken.

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Henna Virkkunen, Maroš Šefčovič und Michael McGrath am Mittwoch in Brüssel.

Henna Virkkunen, Maroš Šefčovič und Michael McGrath am Mittwoch in Brüssel.

(Bild: EU-Kommission/Christophe Licoppe)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die Online-Shoppinglust der Europäer kennt kaum Grenzen und bringt neue Probleme mit sich. Das ruft jetzt die EU-Kommission auf den Plan, die der Paketflut mit einem neuen Maßnahmenpaket Einhalt gebieten will. Das dürfte die Preise auf einigen Marktplätzen erhöhen.

12 Millionen Pakete kommen jeden Tag in die EU, berichtet Kommissionsvizepräsidentin Henna Virkkunen am Mittwoch in Brüssel bei der Vorstellung der "Toolbox" (Werkzeugkiste), wie die EU-Bürokratie ihre gebündelten Maßnahmen nennt. Im vergangenen Jahr seien 4,6 Milliarden Billigsendungen aus Drittländern in die EU geschickt worden, was 97 Prozent der Direktimporte entspricht, ergänzte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič .

Viele dieser Pakte enthalten laut Kommission nicht standardkonforme Produkte und dürften hier nicht verkauft werden. Das reiche von Gefahren wie Elektroschocks und Erstickungsgefahr über Markenrechtsverletzungen bis hin zu fehlenden oder unzureichenden Verbraucherinformationen. "Bis zu 96 Prozent der auf diesen Plattformen angebotenen Produkte erfüllen nicht die Vorschriften", sagt der neue Justiz- und Verbraucherschutzkommissar Michael McGrath.

Doch die schiere Menge der Sendungen überfordert das System von Zoll- und Marktüberwachungsbehörden. Die sollen eigentlich regelwidrige Produkte herausfiltern. Deshalb will die EU-Kommission nun weitere Maßnahmen ergreifen und sieht ausdrücklich auch die Mitgliedstaaten in der Pflicht, die für die Durchführung von Zollmaßnahmen und die Marktüberwachung zuständig sind.

Die EU-Vorschriften zum Verbraucherschutz würden geprüft und wo immer nötig angepasst, um Verbraucherverträge auch bei Anbietern fernab der EU wirksam zu machen, sagte McGrath. Wer sich an die Regeln halte, habe von den Plänen der EU-Kommission nichts zu befürchten. Das EU-Verbraucherrecht sei das vielleicht stärkste der Welt, aber es müsse eben auch durchgesetzt werden.

Doch viele neue Werkzeuge hatte die Kommission am Mittwoch auch nicht in der Kiste. Das liegt auch daran, dass bereits einiges auf dem Weg ist. Seit der vergangenen EU-Legislaturperiode wird über die Zollreform beraten, die aber noch in den Verhandlungen der Mitgliedstaaten und des Parlaments steckt. Damit dürfte die 150-Euro-Freigrenze fallen, bis zu der nur die Einfuhrumsatzsteuer, aber keine Zölle fällig werden. Doch bislang gibt es hier keine Einigung.

Die EU-Kommission ergänzt die bisherigen Vorschläge heute aber um eine "Anregung": Um die mit stärkeren Kontrollmaßnahmen verbundenen Kosten zu stemmen, legt sie den Verhandlern nahe, eine Gebühr für die Überprüfungen durch Zoll und Marktüberwachungsbehörden einzuführen. Diese könnte entweder von den Händlern oder von den Plattformen erhoben werden. Die Kommission hat bei Gesetzen nur das erste Vorschlagsrecht, Parlament und Rat sind anschließend für die konkrete Ausgestaltung der Normen zuständig.

Zustimmung zu der Idee signalisierte die Vorsitzende des EU-Binnenmarktausschusses Anna Cavazzini (Grüne): Eine kleine Bearbeitungsgebühr für jede der Millionen täglichen Warensendungen sei ein guter Weg, um die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren. Bessere Kooperation der Behörden und eine schärfere Durchsetzung des EU-Rechts seien dringend nötig, sagt die liberale Europaabgeordnete Jeanette Baljeu. Plattformen wie Temu und Shein müssten für die Produkte verantwortlich gemacht werden, die sie auf den Markt bringen.

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Für die Bundesregierung zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angetan von der Initiative der EU-Kommission. Die enthalte "viele der von der Bundesregierung identifizierten Maßnahmen und macht wichtige weitere Vorschläge. Die Regierung hatte zuvor einen eigenen "E-Commerce-Aktionsplan" vorgelegt, der in weiten Teilen auf Zuständigkeiten der EU-Ebene abzielte.

"Anbieter wie Temu und Shein dürfen nicht länger ungeschoren mit Regelbrüchen davonkommen", sagt Stefan Tromp vom Handelsverband des Einzelhandels (HDE) und warnt zugleich davor, dass die Kommission über das Ziel hinausschießen und mehr Bürokratie schaffen könnte. Zusätzliche Regeln will auch der Digitalverband Bitkom vermeiden. Die Abschaffung der Zollfreigrenze und die Durchsetzung bestehender Regeln müsse vorerst ausreichen, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Als "vertane Chance" bezeichnet Stefanie Grunert vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) die Initiative der EU-Kommission. Zwar sei es richtig, die bestehenden Regeln konsequenter anzuwenden. "Bisher werden Anbieter nicht daran gehindert, unsichere Produkte über Online-Marktplätze zu verkaufen." Die Plattformen müssten dafür sorgen, dass unsichere Produkte über sie gar nicht erst angeboten würden.

Am Dienstag hatte eine Änderung der US-Zollpraxis ebenfalls vor allem chinesische Anbieter vor Probleme gestellt. Seitdem berichten US-Medien darüber, dass Sendungen und Container, die auf dem Weg waren, bei der Einfuhr abgewiesen oder gar nicht erst transportiert würden. Die jetzt wirksam gewordenen Änderungen gehen noch auf Initiativen der Biden-Administration zurück. Dass dies parallel zum Vorstoß der EU-Kommission passiert, sei allerdings reiner Zufall, hieß es dazu heute aus Brüssel: "Eine solche Koordination mit unseren amerikanischen Partnern hätten wir gerne", gab Handelskommissar Šefčovič lachend zu Protokoll.

(vbr)