Technikfolgenabschätzer: Großer Reformbedarf für Durchbruch bei Telemedizin
Um telemedizinische Ansätze regulär einsetzen zu können, müssen laut einer Studie Gesetze, Verträge, Vergütungskataloge und Kontrollverfahren angepasst werden.
(Bild: Dragon Images/Shutterstock)
Die Telemedizin hat während der Corona-Pandemie nur kurzzeitig einen Schub erhalten. Der medizinischen Versorgung von Patienten aus der Distanz mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien wird seit Jahren erhebliches Potenzial zugesprochen. Sie soll helfen, Wege- und Wartezeiten zu senken, Zustandsverschlechterungen früher zu erkennen, Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, fachliche Expertisen umfassender bereitzustellen sowie Leistungen effizienter zu erbringen. Der verstärkte Einsatz telemedizinischer Anwendungen (TMA) sei auch angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels nötig, erklärt das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestags (TAB). Trotzdem stoße der Ansatz hierzulande noch auf zahlreiche Hürden.
Telemedizin finde "nur langsam Eingang in die reguläre medizinische Versorgung", heißt es in der jetzt veröffentlichten Studie. Das deute darauf hin, "dass normative, organisatorische, technische, personelle oder soziale Barrieren" die Verbreitung der Technik begrenzten. Möglich sei auch, "dass die gesundheitssystemischen Hoffnungen und Erwartungen zu groß sind und die Potenziale der Telemedizin" überschätzt würden. Fest stehe: "In Deutschland werden seit etlichen Jahren vielfältige telemedizinische Modellvorhaben durchgeführt." Dafür gebe es auch einen speziellen Innovationsfonds. Die Überführung von Pilotprojekten in die Regelversorgung gestalte sich aber schwierig.
Die Forscher fordern Reformen, um Telekonsultationen, -monitoring oder Videosprechstunden regulär einsetzen und abrechnen zu können. So müssten Gesetze, Richtlinien, Verträge, Vergütungskataloge sowie Zertifizierungsverfahren für technische Komponenten entwickelt, angepasst und fortgeschrieben werden. Derzeit gebe es keine einheitlichen Wege in reguläre Versorgungsstrukturen, "auch weil der ambulante und der stationäre Bereich, die Notfallrettung, Rehabilitation und Pflege eigenständig reguliert, organisiert und finanziert werden". Nur in der ambulanten Versorgung könnten aufgrund der hochgradigen Aufschlüsselung einzelne neue telemedizinische Leistungen vergütet werden.
Knackpunkte IT-Ausrüstung und Netze
Auch die Aufnahme telemedizinischer Leistungspositionen in die Abrechnungsbasis halten die Autoren für keinen Garant für einen Durchbruch. Alle Beteiligten müssten Anwendungsbarrieren abbauen, um die Akzeptanz der Technik bei medizinischen Behandlungen zu fördern. Allerdings benötigen TMA "eine zuverlässige und leistungsstarke Internetverfügbarkeit". Gerade ländliche Regionen, wo die Hoffnungen auf eine Versorgungsverbesserung am größten sei, litten aber häufig unter einer schwachen Netzabdeckung, beklagen die Wissenschaftler.
Ärzte und Patienten brauchen laut der Studie "zumindest eine gewisse IT-Grundausstattung" sowie entsprechende Anwendungskompetenzen. Sicherheitstechnische Anforderungen, die der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen, seien zwar im Bundesmantelvertrag definiert, Zertifizierungsverfahren etabliert und Listen mit geprüften Diensten verfügbar. Dennoch "sind bei der Digitalisierung vielfältiger Prozesse und der Verbesserung der Interoperabilität unterschiedlicher IT-Komponenten auch in Zukunft erhebliche Anstrengungen nötig".
Schweiz als Pionierland
Dies gilt den Experten zufolge auch für Prozesse, bei denen medizinisch relevante Daten erhoben, übermittelt und analysiert werden, um die Situation aus der Distanz genauer zu erfassen, Befunde zu erstellen und erforderliche Behandlungsschritte zu veranlassen. Dafür genutzte Geräte und Software seien im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung als Medizinprodukte zu zertifizieren. Dazu müssten Hersteller deren Sicherheit und Leistungsfähigkeit nachweisen und diese auch während der Anwendung prüfen. Einige Medizinprodukte wie CT/MRT-Geräte dürften nur in medizinischen Einrichtungen von geschulten Fachkräften eingesetzt werden.
Die Schweiz etwa sei gerade bei Telekonsultationen schon weiter, ist dem Bericht zu entnehmen: Bei der Firma Medgate betreuten 320 Mitarbeiter in Videosprechstunden rund eine Million Patienten pro Jahr.
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Hierzulande schienen virtuelle Gespräche lediglich bei Psychotherapeuten in der Breite angekommen zu sein. Sonst würden die etablierten Strukturen beibehalten und allenfalls um digitale Komponenten ergänzt. Es gelte daher auch, TMA schon in der Aus- und Weiterbildung zu verankern, spezifische Unterstützungsangebote für Leistungserbringer zu schaffen und gemeinsame Plattformen mit zuverlässigen Diensten einzurichten. Mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege wollte der Bundestag eigentlich schon 2021 der Telemedizin auf die Sprünge helfen.
(wpl)