Münchner Aussetzung der Linux-Migration sorgt für Unruhe [Update]

Die überraschende Entscheidung der bayerischen Landeshauptstadt stößt auf zwiespältige Reaktionen, zeigt aber, wie groß die allgemeine Verunsicherung durch Softwarepatente geworden ist.

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Die überraschende Entscheidung des Amts für Informations- und Datenverarbeitung (Afid) der Stadt München, ihr weit beachtetes Projekt LiMux aufgrund theoretischer Patentgefährdungen des Linux-Desktops zunächst teilweise zu unterbrechen, hat zwiespältige Reaktionen ausgelöst. In der Landes- und Bundespolitik sowie in der Wirtschaft wird das Vorankommen des ehrgeizigen Vorhabens zur kompletten Umstellung auf freie Software mit Argusaugen beobachtet. Das Stottern in der bayerischen Landeshauptstadt, das auf Anträgen der grünen Stadtratsfraktion beruht, sorgt daher auch in Berlin für Unruhe.

Für "albern" hält beispielsweise Jörg Tauss, forschungs- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, den Ausruf des vorübergehenden Stopps in München. Die Stadt sollte sich diesen Schritt noch einmal reiflich überlegen, da er wenig hilfreich für das Fortkommen der ambitionierten Linux-Migration sei. Für Tauss zeigt die Verfügung aber auch, "dass entgegen der Meinung des Bundesjustizministeriums die Softwarepatentvorhaben des EU-Rates zu einer großen Verunsicherung geführt haben." Die Bundesregierung müsse ihre Befürwortung der vom Rat vorgeschlagenen Version der Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" daher "möglichst rasch überarbeiten und ein klares Votum gegen Softwarepatente nach Brüssel schicken".

Die Frage der Erweiterung der Patentierbarkeit im Softwarebereich ist laut Tauss längst keine Angelegenheit mehr, die allein "für interne Glasperlenspiele von Rechtspuristen und Patentanwälten taugt". Sie sei vielmehr zu einem zentralen Aspekt der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der mittelständisch geprägten deutschen und europäischen Softwareindustrie geworden, wandte sich der SPD-Politiker im Gespräch mit heise online auch gegen das Unterfangen des Branchenverbands Bitkom, eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zu der heftig umkämpften Thematik zu torpedieren. Mittelstands-, standort- und innovationspolitische Fragestellungen sollten in der Debatte eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen wie Fragen rechtlicher Begrifflichkeiten oder die patentrechtlichen Erwägungen von Großbetrieben. Bis heute sei trotz mehrfacher Aufforderung keine unter diesen Gesichtspunkten überzeugende Begründung für die Patentierbarkeit von Software vorgelegt worden.

In der CDU-Bundestagsfraktion wachsen derweil die -- allerdings noch nicht wirklich ernst gemeinten -- Sorgen, ob bald etwa die Server im Parlament abgestellt werden müssen. Denn auch für die Backend-Computerinfrastruktur des Bundestags ist eine Linux-Migration in Arbeit. Von einer ähnlichen Debatte wie in München ist Tauss in der Verwaltung des Bundestags allerdings nichts bekannt. "Eventuell hat die aber auch mehr Erfahrung als eine kommunale Behörde", meint der SPD-Abgeordnete süffisant.

In der Münchner SPD-Stadtratsfraktion gilt das Vorpreschen der Grünen ebenfalls als übertrieben. Eine konkrete Gefährdung für LiMux sieht Christian Amlong, Mitglied in der IT-Kommission des Stadtrats, höchstens in dem Maß, in dem sämtliche Anwender von Linux -- oder auch proprietären Entwicklungen -- potenziell von Patentstreitigkeiten betroffen sein könnten. Er befürchtet durch den "Sturm im Wasserglas" eher negative Auswirkungen auf das Gesamtprojekt, das sowohl von der SPD, als auch von den Grünen nach wie vor ohne Abstriche gewollt sei. "Das ganze Tamtam ist doch nur Wasser auf den Mühlen der Microsoft-Anhänger", konstatiert Amlong. Der SPD-Politiker hofft, dass nach der Prüfung in spätestens zwei Wochen mit der Migration wieder alles rund läuft und sich Berlin für eine Patentpolitik entscheidet, die der Linux-Migration auch vieler Bundesbehörden keine Steine in den Weg legt.

Florian Müller, Berater der Open-Source-Firma MySQL, begrüßt dagegen indirekt die Zuspitzung in der bayerischen Landeshauptstadt: "Es ist besser, wenn durch die Situation in München das Problem jetzt von mehr Leuten verstanden wird, denn noch kann man in der EU etwas dagegen tun." Andernfalls würde "eine katastrophale Gesetzgebung in Stein gemeißelt", an der im Nachhinein niemand schuld sein wolle. Das Machwerk des EU-Rats ist für den Lobbyisten eine reine "Genosse-der-Bosse-Politik", von der "einige wenige profitieren und die meisten einen Schaden haben". Würde sie sich durchsetzen, würden Konzerne "ihre Software vorzugsweise in Indien programmieren und in München patentieren lassen". Für Müller ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Konkurrenten der Open-Source-Welt ihre großen Softwarepatentportfolios als "Verbotsschilder" gegen freie Software einsetzen. Bis dahin würden "sicherheitshalber neue Technologiebereiche gleich einmal mit zahllosen Patenten vermint."

Im Münchner Afid will man die Bestimmung zum Ausschreibungsstopp indessen nicht überbewertet wissen. Auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude erklärte mittlerweile, die Stadt München werde an ihrem Linux-Projekt weiter festhalten. Auch bei den Stadtverwaltungen von Augsburg und Nürnberg bestehe Interesse an der Münchner Open-Source-Lösung. "Auf keinem Fall liegt das gesamte Projekt auf Eis", betonte Florian Schießl, Mitarbeiter beim LiMuX-Projekt, gegenüber heise online. Es gehe nur um den "Basis-Client". Bevor man dort fortschreiten könne, müsse zunächst die Anfrage der Grünen beantwortet und klar sein, "was uns alles erwartet". Im Laufe des heutigen Mittwochs seien noch einige Besprechungen zu dem Thema in der Verwaltung angesetzt. "Das ganze Direktorium ist damit beschäftigt", erläuterte Schießl, um möglichst rasch wieder zum Projektplan zurückkehren zu können. Ob sich die Stadt eventuell auch für eine Art Linux-Patentabsicherung entscheidet, wie sie etwa die US-Firma Open Source Risk Management momentan lautstark propagiert, sei völlig offen.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)