BKA-Chef drängt auf schnelle Umsetzung von Vorratsdatenspeicherung

BKA-Präsident Münch ist froh über den Plan von Schwarz-Rot zum anlasslosen Protokollieren. Der Eingriff in die Bürgerrechte sei extrem gering.

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Vorratsdatenspeicherung

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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CDU, CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die bereits wiederholt höchstgerichtlich gescheiterte Vorratsdatenspeicherung beschränkt auf IP-Adressen und Portnummern wieder einzuführen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, kann das kaum erwarten. "Wir warten sehnsüchtig darauf, dass das geltendes Recht wird", erklärte der Chefermittler im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau (FR). Als Grund gab er an: "Die IP-Adresse ist häufig der einzige Weg festzustellen, von welchem Gerät eine Straftat begangen wurde."

"Bei der sogenannten Kinderpornografie etwa, also der Abbildung von sexuellem Missbrauch, bekommt das BKA über 200.000 Hinweise im Jahr", führt Münch aus. Mehr als die Hälfte davon sei nach deutschem Recht strafrechtlich relevant. "Wir versuchen dann, bei diesen über 100.000 Hinweisen nachzuvollziehen", welcher Computer oder welches Mobilgerät verwendet worden seien. Mit der derzeitigen Frist von maximal sieben Tagen "können wir über die IP-Adresse gut 40 Prozent der Taten aufklären. Wir schaffen noch mal knapp 35 Prozent über weitere Daten – mit mehr Aufwand." Der Strafverfolger ist zuversichtlich: "Künftig werden wir hier deutlich erfolgreicher sein können."

Datenschutzbedenken hat der BKA-Chef nicht. Der Eingriff in die Bürgerrechte sei "extrem gering", behauptet er. Das BKA sammle die IP-Adressen nicht selbst, sondern frage diese im Bedarfsfall bei den Providern ab. Münch wirbt gegenüber der Politik schon seit Jahren insbesondere für eine "auf Kinderpornografie beschränkte Vorratsdatenspeicherung".

Zwischen CDU/CSU und SPD war bei einer Debatte im Bundestag zum anlasslosen Protokollieren von IP-Adressen bereits im Dezember letztlich nur noch umstritten, wie lange gespeichert werden soll. Der Bundesrat wirbt für eine einmonatige "Mindestspeicherung" der Internetkennungen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität. CDU und CSU legten mit einem eigenen Gesetzentwurf eine Schippe drauf: Sie drängten auf das dreimonatige anlassloslose Protokollieren von IP-Adressen nebst Portnummern sowie mehr Möglichkeiten zur Funkzellenabfrage alias Handy-Rasterfahndung.

Die SPD trägt diese Gangart in der Koalitionsvereinbarung nun mit. Während der Ampel-Zeit sah die Sache noch anders aus. Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) legte schon früh einen Gegenvorschlag für das Einfrieren von Verkehrsdaten im Verdachtsfall vor und hielt bis zum Schluss daran fest. Eigentlich einigte sich die Bundesregierung auf diesen Quick-Freeze-Ansatz, was vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aber nicht akzeptieren wollte. Die vorausgegangene große Koalition hatte mit ihren Gesetzesbeschlüssen zur Vorratsdatenspeicherung mehrfach eine Bauchlandung hingelegt.

Die Dreimonatsfrist sei zwar vergleichsweise kurz, gibt die Bundesdatenschutzbeauftragte Louise Specht-Riemenschneider zu bedenken. "Aber ich sehe dennoch Widersprüche zur nationalen und europäischen Rechtsprechung", hob sie gegenüber der FR hervor. Selbst das BKA gehe im Bereich der Missbrauchsdarstellungen davon aus, "dass die Erfolgsquote oberhalb einer Speicherverpflichtung von zwei bis drei Wochen nicht mehr signifikant ansteigt". Ein Gericht könnte sich an solchen Studien orientieren und zu dem Ergebnis kommen, dass ein absolut notwendiger Zeitraum jedenfalls nicht darüber hinausgehen dürfe.

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Grundsätzlichere Kritik übte Specht-Riemenschneiders Vorgänger Ulrich Kelber im Sommer im Interview mit heise online: Die Vorratsdatenspeicherung ist ihm zufolge "eine Variante der dauernden Überwachung. Ich muss damit rechnen, dass alles, was ich tue oder nicht tue, gespeichert wird und bewertet, ausgewertet in anderen Kontext gesetzt wird." Das erfolge unabhängig davon, ob jemand etwas Rechtswidriges getan habe. Es sei "mit einer freiheitlichen Demokratie nicht auf Dauer zu verbinden, wenn immer jemand über die Schulter schaut".

Auch eine auf IP-Adressen begrenzte, einschlägige Überwachungsmaßnahme schaffe "eine sehr große Möglichkeit der entsprechenden Profilbildung" und sei daher problematisch, warnte Kelber. Vor allem würden teils auch noch Zeiten gefordert, bei denen überhaupt der mögliche Erkenntnisgewinn nur äußerst minimal wäre. Prinzipiell hat der Europäische Gerichtshof wiederholt eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verworfen. Das allgemeine und unterschiedslose Aufbewahren von IP-Adressen kann neueren Urteilen der Luxemburger Richter zufolge aber "zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum" zulässig sein.

Der Chaos Computer Club (CCC) verlangte jüngst eine "Notbremse für den Überwachungskatalog im Koalitionsvertrag". Er sieht darin eine Massenüberwachung auf mehreren Ebenen inklusive Telekommunikationsdaten angelegt. Auch Bürgerrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte oder der SPD-nahe netzpolitische Verein D64 befürchten viel Schaden an den Grundfreiheiten durch Vorratsdatenspeicherung und automatisierte Big-Data-Analysen, für die sich Münch ebenfalls starkmacht.

(nie)