Social-Media-Debatte auf der Learntec: "Sie haben den Algorithmus gefickt!"

Wie gehen Schulen mit der Smartphone- und Social-Media-Nutzung von Jugendlichen um, und sollte es ein Verbot geben? Das wurde auf der Learntec diskutiert.

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die Beteiligten des Panels befinden sich in einem regen Austausch, sind einander zugewandt, Elke Höferl spricht ins Mikrofon

Das Panel zum Thema "Digitaler Drahtseilakt – Umgang mit Social Media an Schulen" auf der Learntec 2025

(Bild: heise online/kbe)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Learntec ist eine Messe, die die digitale Bildungsbranche zusammenbringt. Lernmanagementsysteme, digitale Baukästen für Weiterbildungsangebote, Tools für die automatische Inhalteerstellung, adaptives Lernen mit KI für individuellere Lernwege. Das alles wird kondensiert innerhalb von drei Tagen in der Karlsruher Messe gezeigt. Allerdings passiert das nicht ohne kritische Betrachtungen. Die Messe bietet auch viele Panels und Kongress-Vorträge, die das, was in den Hallen kräftig beworben wird, in einigen Ausgestaltungen auch infrage stellt.

Unter anderem beschäftigte sich eines der Panel mit der Frage, wie an Schulen mit Social Media umgegangen werden sollte und ob ein Verbot für Jugendliche unter 16 Jahren – wie in Australien angestrebt – sinnvoll ist. Sowohl am Anfang als auch am Ende holte Moderatorin Julia Reinking, Geschäftsführerin des Friedrich-Verlag, ein Stimmungsbild zum Verbot ein. Nur wenige Anwesende waren für ein klares Verbot und die Tendenz dazu nahm mit den Beiträgen offenbar weiter ab. Der Großteil der Anwesenden zeigte sich aber ohnehin unentschieden. Genügend Anekdoten aus dem Schulalltag oder gesellschaftliche Beobachtungen hätten aber dazu verleiten können, ein Verbot stärker in Erwägung zu ziehen.

Julia Reinking
Julia Reinking, Geschäftsführerin Friedrich-Verlag

Julia Reinking, Geschäftsführerin des Friedrich-Verlag, moderierte das Panel und stieg mit Daten zur Smartphone- und Social-Media-Nutzung von Jugendlichen ein. Der Postbank Jugend-Digitalstudie von 2023 zufolge verbringen Jugendliche mehr als 36 Stunden pro Woche am Smartphone. Laut einer Studie der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Common Sense Media von 2023 erhalten 11- bis 17-Jährige mindestens 237 Benachrichtigungen pro Tag. Und eine Untersuchung der Krankenkasse DAK aus dem Jahr 2022 kam zu dem Ergebnis, dass 24,5 Prozent Social-Media-Apps und Messenger "riskant viel" nutzen.

So erzählte etwa Lehrkraft Florian Nuxoll, der als einziger Panelgast auch für ein mögliches Verbot die Hand hob, dass es Situationen an seiner Schule gegeben habe, die auch stärkere Maßnahmen erforderten – und das, obwohl es seit zehn Jahren ein Handynutzungsverbot an der Schule gibt. Schüler wurden etwa von einem Mitschüler in den Toiletten gefilmt, während sie ihre Notdurft verrichteten. Oder es wurde ein Gewaltvideo geteilt, zwar in guter Absicht – nämlich mit dem Hinweis, dass keine Gewalt angewendet werden solle, – aber einer völlig anderen Wirkung. Die Schule habe auf die Vorfälle offensiv reagiert, im Falle des Gewaltvideos auch mit dem Einbezug der Polizei. Diese sei in die Schule gekommen und habe das Video von jedem einzelnen Handy gelöscht und den Kindern und Jugendlichen auch gezeigt, dass so ein Video an verschiedenen Stellen im Smartphone gespeichert sein kann und auch der digitale Papierkorb richtig geleert werden muss. Nuxoll erklärte, dass manche Schulen vielleicht vor so einem Schritt zurückschrecken könnten, dieser aber wirklich Eindruck bei den Schülerinnen und Schülern hinterlassen habe. Sie hätten den Ernst der Lage eher verstanden.

Florian Nuxoll
Florian Nuxoll

Florian Nuxoll ist Lehrkraft, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen, Podcast-Host der "Doppelstunde" und engagiert sich bei der bundesweiten Initiative "Journalismus macht Schule".

Auch machte er klar, dass er zwar für das Verbot gestimmt habe, aber damit meinte, dass er eine stärkere Regulierung oder ein Verbot mit Einschränkungen befürwortet, da er sähe, dass Schüler "den sozialen Medien ausgeliefert" sind. Eine stärkere Regulierung sei nötig, da "wir sonst ein Problem beim Lernen und der Demokratie haben." Er verwies in diesem Zusammenhang auf die positiven Effekte des Handyverbots an seiner Schule. Schon vom ersten Moment an habe sich das Verhalten der Heranwachsenden verändert. Sie seien wieder mehr herumgelaufen und hätten mehr soziale Interaktionen und auch direkte Kommunikation gezeigt. Die Schülerinnen und Schüler umgingen dieses Verbot aber auch gerne bei Toilettengängen. Die heimliche Nutzung bestätige sich unter anderem dadurch, dass manche Schüler sehr schnell auf neue Einträge im Schulmanager antworten, obwohl sie eigentlich gerade im Unterricht sein sollten. In diesem Fall übte Nuxoll aber auch Selbstkritik. Ein mögliches Smartphone-Verbot während der Unterrichtszeit müsste eigentlich auch Lehrkräfte betreffen, da auch diese dem Sog ausgesetzt sein, immer wieder das Smartphone zu checken oder Informationen sofort zu teilen. Eine kritische Medienbildung in den Schulen sei auf jeden Fall unerlässlich, machte er klar, da es zuhause in der Regel keine Medienpädagogen gibt.

Die Rolle des Elternhauses wurde insbesondere von Elke Höfler, Assistenzprofessorin für Mediendidaktik und Sprachendidaktik an der Universität Graz, kritisch beleuchtet. Sie machte deutlich, dass Eltern eine kritische Medienbildung oft nicht leisten können, sondern sogar teilweise dazu beitragen, dass Kinder schon mit fünf Jahren Tablet-Nutzung in den Schulen ankommen. Dementsprechend müssten Lehrkräfte die "Rolemodels" sein, könnten das aber oft auch nicht leisten. Die Herausforderung sei groß, Kinder und Jugendliche genau in den Lebensphasen durch die Social-Media-Gefahren zu begleiten, wenn diese sich nach Vorbildern sehnen und auch welche bräuchten.

Elke Höfler
Elke Höfler

Elke Höfler ist Assistenzprofessorin für Mediendidaktik und Sprachendidaktik an der Universität Graz.

Aus Höflers Sicht ist die derzeitige Social-Media-Welt durch ihre Filterblasen-Effekte besonders kritisch zu sehen. Es fehle an Diversität in den Feeds, da die Algorithmen Kinder in Bubbles trieben – momentan beispielsweise auch wieder zu Beiträgen, die das Schönheitsideal der 90er, den sogenannten Heroin-Chic, bewerben. Außerdem vermittelten Beiträge unerreichbare Schönheitsideale durch Beauty-Filter. Die Auswirkungen der heutigen Social-Media-Nutzung unter den Heranwachsenden sei auch messbar: Die Motorik und der dadurch beeinflusste sprachliche Ausdruck werde schlechter. Zwar könne aufgrund des zahlreichen englischen Contents ein Großteil der Nutzenden gut Englisch, allerdings auch nur wieder in einer bestimmten Nische. Andere Sprachen würden zugleich vernachlässigt. Hinzu komme der soziale Druck, immer etwas posten zu müssen und Likes zu erhalten. Erfolge keine Reaktion, könne Heranwachsenden damit vermittelt werden, dass sie quasi "unsichtbar" sind. Das sei "im Rahmen der Identitätsbildung problematisch" und verführe auch zu Postings, die mehr Interaktionen schaffen. Dieses Problem sei aber nicht nur auf Heranwachsende beschränkt, sondern betreffe alle Social-Media-Nutzer.

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Trotzdem sprach sich Höfler gegen ein generelles Verbot von Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren aus. Sie stimmte den anwesenden Schülerinnen zu, die erklärten, dass ein Verbot eher dazu führe, dass Jugendliche das Verbot umgehen würden. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit könnten sie dann noch mehr Gefahren ausgesetzt sein. Der begleitete, kritische Umgang sei sinnvoller. Höfler betonte allerdings mehrfach, dass die Medienbildung in den Schulen eigentlich schon zu spät ansetze: "Wenn die Kinder in die Schule kommen, haben sie bereits eine gewisse Sucht, haben ein Leben mit Smartphones und Social Media über ihre Eltern bereits vorgelebt bekommen, welches Schulen nur korrigieren können." Zudem sei es bedeutsam, dass sich Eltern eher gegen Handyverbote sträuben als die Kinder selbst. Eltern wollten Kinder während des Schultags weiterhin erreichen können. Und sie habe auch schon erlebt, dass Eltern das Kasperle-Theater aus inhaltlichen Gründen verbieten, die Social-Media-Nutzung aber nicht. Die Einschätzung der Social-Media-Aktivitäten des eigenen Nachwuchses gelinge aber auch nur, wenn der Wissensstand gut genug sei. Unzählige Jugendliche verfügten etwa über zwei Instagram-Accounts: einen seriösen Lese-Account und einen Fake-Account, der auch für sogenannten Dark Content, Stalking, Mobbing und Co eingesetzt werden kann.

Sowohl für Eltern als auch für Kinder und Jugendliche könne man über einen Social-Media-Führerschein diskutieren, beantwortete Höferl eine entsprechende Frage Reinkings. Wichtiger sei aber, dass Anbieter einen besseren Schutz implementieren. Algorithmen sollten besser beeinflussbar werden. Auf diese Strategie setzt derzeit das Vereinigte Königreich mit neuen Jugendmedienschutz-Regeln. Nuxoll erwiderte, dass auch ein Social-Media-Führerschein für Eltern oder entsprechende Schulungen vermutlich wieder nur die erreichen würden, die ohnehin sensibilisiert sind. Spannender sei die Frage: "Wie erreiche ich die Eltern, denen es egal ist?" Auch aus diesem Grund sprach er sich erneut für mehr Regulierung aus; eine nutzerseitige Algorithmen-Steuerung und Inhaltssperren. Das könne auch die Verbotsfrage beenden. Höferl warnte hier aber auch vor Allheilmittel-Glauben. Schon jetzt umgingen findige Nutzerinnen und Nutzer Inhaltssperren und Beschränkungen durch veränderte Termini in Beschreibungen und Hashtags. So könne man den Algorithmus austricksen.

Moderatorin Reinking schloss in der Diskussion die Frage an, welche Verantwortung nicht nur bei den einzelnen Lehrkräften, sondern dem Gesamtsystem Schule liege. Sowohl Höferl als auch Nuxoll verwiesen auf fehlende Strukturen und Angebote. Höferl erklärte auch, dass zu dem Thema zu wenig geforscht und dann auch evidenzbasiert gehandelt werde. Nuxoll sieht fehlende Kapazitäten im Schulalltag und auch Konflikte im Curriculum. In Baden-Württemberg werde zwar ab dem kommenden Schuljahr das Fach Informatik und Medienbildung eingeführt, dafür müssten aber wieder andere Fächer Federn lassen. Im Curriculum müsse es aber Platz für eine digitale Grundbildung geben, schloss Höferl an. Einerseits müsse es um eine grundlegende Technikerklärung gehen, wie etwa bestimmte Systeme und Programme/Apps funktionieren, andererseits müsse es geleitete Reflektionen über die eigene Mediennutzung und Medienbiographie geben.

Einig waren sich Nuxoll und Höferl darin, dass es gute und regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte brauche. Eigentlich müsse jede Lehrkraft wissen, in welcher Medienwelt Schüler unterwegs sind, das Angebot sei aber so groß und unterschiedlich, dass der Wissensstand schnell veraltet sei. Im Gespräch wurde etwa ein Social-Media-Crash-Kurs vorgeschlagen, der einmal pro Jahr stattfindet und die aktuellen Trends erklärt. Sind die #TradWifes und #SkinnyTok noch Thema oder ist das schon Schnee von gestern? Das Thema Social Media und dessen Trends komplett auszublenden, stelle auch in sich eine Gefahr dar, sagte Nuxoll, der eine entsprechende Anekdote beisteuerte: Als am 2. Juni 2024 ein 29-jähriger Polizist in Mannheim durch einen Messerangriff getötet wurde, informierten sich viele seiner Schülerinnen und Schüler über die sozialen Netzwerke zu dem Thema – sahen dort auch das Tatvideo. Da dieses in der Tagesschau nicht gezeigt wurde, stießen sie auch auf Verschwörungstheorien zu unterdrückter Berichterstattung der sogenannten "Staatsmedien". Genauer erklären zu können, warum Redaktionen sich bei manchen Medieninhalten für eine Nichtveröffentlichung entscheiden und es auch Narrative in demokratiezersetzenden Strömungen dazu gibt, sei wichtig gewesen. So habe man auch Fehlschlüssen entgegenwirken können. Diese Arbeit sei allerdings extrem anspruchsvoll, da Lehrkräfte hierfür richtig in den Themen drin sein müssten.

Dass dies in der Lehrerschaft sehr unterschiedlich ausgeprägt sei, bestätigten die am Panel teilnehmenden Schülerinnen Joya und Malena. Der Umgang mit Technik und Social Media sei je nach Lehrkraft sehr unterschiedlich. Malena erzählte, dass manche nicht einmal wüssten wofür bestimmte Plattformen da sind. Sie erklärten auch Algorithmen falsch. Das betreffe – dem Klischee entsprechend – viele ältere Lehrkräfte. Joya erlebe ein Spektrum von Handyverteufelung bis aktiver Nutzung, auch am bestehenden Nutzungsverbot der Schule vorbei.

Die Schülerinnen bestätigten, dass es unter Gleichaltrigen einen Druck gibt, Social Media "erfolgreich" zu nutzen und auch Strategien besprochen würden, wie Postings mehr Likes erhalten. Beide gaben an, zu den passiven Nutzerinnen zu gehören, die selbst nichts posten, aber das Online-Leben der anderen verfolgen. Auch seien ihre Feeds nach eigenem Empfinden diverser als bei Mitschülern, das sei aber sehr abhängig von Interessen und Interaktionen. Zu beobachten sei an ihrer Schule – die Mädchen besuchen die gleiche Klasse – dass das dort aktive Handyverbot im Gebäude dazu führt, dass manche bei Schlechtwetter trotzdem in der Pause rausgehen, um ihr Handy zu checken. Nachdem eine neue Regelung für Toilettengänge eingeführt wurde – Schüler müssen ihr Handy nun bei der Lehrkraft abgeben, wenn sie zum Klo wollen – haben diese im Unterricht stark nachgelassen. Verlassen Lehrkräfte den Raum, werde auch schnell geschaut, was auf dem Smartphone los ist.

Statt mehr Verbote einzuführen, wünschen sich die Schülerinnen mehr Aufklärung und Kompetenzentwicklung. Im Unterricht sollte beispielsweise thematisiert werden, welche Quellen im Internet glaubwürdig sind und welche nicht und wie man das erkennen kann. So etwas solle aber auch für Youtubevideos oder Instagram erklärt werden. Außerdem wünschen sie sich mehr Informationen darüber, wie sie mit Apps besser lernen können.

Was die aktive Auseinandersetzung mit Social Media in der Schule unter anderem bewirken kann, zeigte ein weiterer Einblick, den Lehrkraft Nuxoll gab. Für den Unterricht sollten Schülerinnen und Schüler einen Beitrag der Tagesschau suchen. Das veränderte sogleich die Algorithmen der Accounts. Diese Veränderungen wussten die Jugendlichen zwar im Anschluss wieder zurückzudrehen, allerdings veranlasste die Erfahrung einen Schüler zu einer recht deutlichen Aussage: "Herr Nuxoll, Sie haben den Algorithmus gefickt!"

(kbe)