Chatkontrolle: Einigung auf polnischen Kompromissvorschlag scheint unerreichbar

"Weiter entfernt als je zuvor" ist eine Mehrheit der EU-Staaten von dem Vorschlag der EU-Ratsspitze zur freiwilligen Chatkontrolle, geht aus einem Leak hervor.

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Europäisches Parlament

(Bild: Bild: PP Photos/Shutterstock.)

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Die polnische EU-Ratspräsidentschaft hat sich eine weitere Abfuhr eingehandelt bei ihrem Versuch, den jahrelangen Streit über den Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur massenhaften Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch zu beenden. Nachdem ihr Vorhaben, die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach Missbrauchsdarstellungen in eine dauerhafte Erlaubnis zu überführen, in der Arbeitsgruppe des Ministergremiums zur Strafverfolgung nicht weit kam, hob der Vorsitz die Initiative Ende April eine Stufe höher auf die Ebene der Referenten für Justiz und Inneres. Doch die wollten von dem Kompromissansatz gleich gar nichts wissen.

Die Vertreter der EU-Botschaften rieben sich "deutlich" an der Initiative, den alternativen Verordnungsentwurf aus Polen in ihren Kreisen überhaupt zur Sprache zu bringen. Das ist einem eigentlich als Verschlusssache eingestuften Protokoll der entsprechenden Sitzung der diplomatischen Repräsentanz der Bundesrepublik zu entnehmen, das Netzpolitik.org veröffentlicht hat. Die Referenten sind demnach eigentlich dafür zuständig, "bei im Wesentlichen geeinigten Texten letzte Probleme auszuräumen". Beim Dossier rund um die verpflichtende oder freiwillige Chatkontrolle bestehe aber nicht einmal ein Konsens "über die Grundausrichtung".

Kein einziger Artikel des polnischen Gesetzesentwurfs sei "abschließend besprochen", beklagen die Botschaftsvertreter. Eine Einigung der EU-Staaten in der ganzen Sache sei "weiter entfernt als jemals zuvor in den letzten Jahren". Den kompletten Vorschlag der Ratsspitze haben die Referenten daher auch gar nicht besprochen. Inhaltlich sei es nur um eine Zusammenlegung von zwei Artikeln gegangen, heißt es in dem Protokoll. Dazu habe es "nur wenige Wortmeldungen" gegeben.

Die Kommission will mit der von ihr präferierten Form der Chatkontrolle auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple mit iMessage, Signal und Threema dazu verdonnern können, Missbrauchsfotos und -videos in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. Polen will dagegen eine dauerhafte Erlaubnis für ein freiwilliges Scannen von Inhalten, wie es etwa Facebook, Google und Microsoft derzeit auf Basis der Interimsbestimmung praktizieren. Diese – auch nicht unumstrittene – Option billigte der EU-Gesetzgeber 2021 durch eine Ausnahme von der E-Privacy-Richtlinie. Diese Sonderregelung gilt nur noch bis Ende 2025.

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Die Referentenrunde drängt darauf, dass die Präsidentschaft das Verfahren sowie den Tenor des Textes wieder in Richtung des ebenfalls seit Jahren umstrittenen Kommissionspapiers verschiebt. Sonst verschwendeten alle Beteiligten nur "Zeit, Geld und Energie". Damit gilt es als so gut wie ausgeschlossen, dass die EU-Länder bei dem Dossier während des aktuellen, bis Ende Juni gehenden Vorsitzes noch entscheidende Fortschritte machen. Warschau sagte der Zusammenfassung zufolge zu, das weitere Format der Sitzungen zu überdenken. Über das künftige Vorgehen will die Präsidentschaft die anderen Regierungen in den kommenden Tagen informieren.

Irland etwa warb dem Sitzungsprotokoll zufolge dafür, dass für die weiteren Verhandlungen mit dem EU-Parlament ein starker Text nötig sei. Die Abgeordneten wollen die besonders umkämpften Aufdeckungsanordnungen allenfalls als Ultima Ratio zulassen. Dienste mit Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation sollen ihrer Linie zufolge ganz außen vor bleiben. Zugleich zeigte sich Dublin aber bereit, über eine Verlängerung der Interimsverordnung zu reden. Vertreter der Bundesregierung legten nach eigenen Angaben zusammen mit anderen Referenten etwa aus Italien und Ungarn einen Prüfvorbehalt ein und betonten, dass eine Regelungslücke vermieden werden müsse.

(nie)