Überraschendes Urteil: Unwirksame AGB sind nicht immer wettbewerbswidrig

Das Landgericht Paderborn kam in einem Urteil zu einer überraschenden Schlussfolgerung: Nach Auffassung der Richter ist eine fehlerhafte AGB-Klausel nicht automatisch auch ein abmahnfähiger Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht.

vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Das Landgericht Paderborn hat in einem Verfahren um zwei Online-Händler ein überraschendes Urteil gesprochen: So vertraten die Richter die Auffassung, dass fehlerhafte AGB-Klauseln nicht automatisch auch einen Wettbewerbsverstoß darstellen, der vom Wettbewerber abgemahnt werden kann. Damit widersprachen sie der bislang in solchen Fällen gängigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht (LG) Paderborn zwei äußerst streitlustige Online-Händler vor sich. So hatte der eine seinen Konkurrenten wegen angeblich ungültigen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) abgemahnt, wofür sich dieser prompt mit einer Gegenabmahnung revanchierte. Darin warf er seinem Gegner vor, er habe selbst eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung und fehlerhafte AGB ins Netz gestellt. So sei in der Widerrufsbelehrung zwar eine 40-Euro-Klausel enthalten, in den AGB aber nicht wie vorgeschrieben eine separate Vereinbarung über die Kosten der Rücksendung zu finden. Außerdem funktioniere der Link mit Hinweisen zu AGB und Widerrufsrecht nicht.

Nachdem sich der Betroffene geweigert hatte, eine entsprechende Unterlassungserklärung zu unterschreiben, wollte sein Gegner nun eine entsprechende einstweilige Verfügung vor Gericht erwirken. Dagegen wehrte sich der Betroffene mit der Begründung, die in der Abmahnung gerügten Punkte seien gar keine Wettbewerbsverstöße. Außerdem sei der Antrag des Gegners nur der Versuch, ihn wirtschaftlich zu ruinieren und aus dem Markt zu drängen und sei daher rechtsmißbräuchlich.

Tatsächlich folgte das LG Paderborn dieser Argumentation und wies den Verfügungsantrag als unzulässig zurück. Er diene vor allem dem Zweck, dem Konkurrenten möglichst viele Verfahrens- und Anwaltskosten aufzuerlegen. Da es sich um eine Gegenabmahnung handle, trete der Rechtsmissbrauch gar "offen zu Tage".

Auch die Verwendung der 40-Euro-Klausel innerhalb der Widerrufsbelehrung, ohne dass diese separat vertraglich vereinbart wurde, wurde wie Bagatelle behandelt - auch wenn das Gericht betonte, dass es sich ganz und gar nicht um eine handle. Verschiedene Oberlandesgerichte hatten solche Praktiken in anderen Fällen schon als klaren Wettbewerbsverstoß verurteilt. Für das LG Paderborn wog das "erkennbare Bemühen der Antragsgegnerin, sich durch die Wiederholung der Widerrufsbelehrung in ihren AGB gesetzeskonform zu verhalten" aber trotzdem schwerer.

Überraschend auch die Ansicht, dass es sich bei ungültigen AGB-Klauseln nicht automatisch auch um einen Wettbewerbsverstoß handeln müsse: "Bei dem § 307 ff. BGB handelt es sich ebenso wie bei den sonstigen Vorschriften des BGB, nach denen vertragliche Absprachen unwirksam sein können (...) um Bestimmungen, die darauf gerichtet sind, das individuelle Verhältnis der Vertragsparteien zu regeln. Nicht jede Verwendung einer nach den §§ 307 ff. BGB unwirksamen AGB-Klausel ist auch wettbewerbswidrig nach § 4 Nr. 11 UWG."

Begründet wurde diese Auffassung – vereinfacht ausgedrückt – damit, dass eine falsche oder unwirksame AGB-Klausel nur dann gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstoßen könne, wenn sie erkennbar nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern auch dem der Marktteilnehmer dienen solle. Dies sei beispielsweise bei Klauseln der Fall, die der Vertragsanbahnung dienen, aber nicht bei denen, die die Vertragsabwicklung behandeln. "Letzteres ist bei den vom Antragsteller beanstandeten AGB-Klauseln der Antragsgegnerin indes der Fall. Ein wettbewerbsrechtlich zu beanstandender Verstoß liegt deshalb in keinem Fall vor", so das Gericht (Urteil v. 22.07.2010, Az: 6 O 43/10)..

Erfahrene Juristen wie Thomas Feil, Fachanwalt für IT-Recht aus Hannover, werten das Urteil durchaus als "Überraschung". Denn bislang war bei solchen Verstößen nicht ausschlaggebend, ob dem Abmahner ein Schaden entstanden ist oder hätte entstehen können, sondern vielmehr, ob der Abgemahnte gegen das UWG verstoßen hat oder nicht. "Bei einer rechtswidrigen AGB-Klausel ist es nicht notwendig, dass tatsächlich ein Schaden entstanden sein muss. Beispielsweise können auch Gerichtsstandsklauseln abgemahnt werden, die in der Praxis, so unsere Erfahrung, keinen Schaden beim Verbraucher verursachen", erklärt Thomas Feil. Es gibt Kanzleien, die sich darauf spezialisiert haben, AGB-Klauseln abzumahnen. Hier kann jede Allgemeine Geschäftsbedingung betroffen sein, die rechtswidrig ist. Ob und wie bedeutsam die Klausel im tatsächlichen Rechtsverhältnis und in der Abwicklung der Verträge ist, war bisher unbedeutsam.

Eine Sensation ist das Urteil aber trotzdem nicht, eine Signalwirkung für andere AGB-Fälle ist unwahrscheinlich. Eher ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des Landgerichts Paderborn in der nächsten Instanz kassiert wird. Zumal das zuständige Oberlandesgericht Hamm in solchen Fragen schon öfter eine andere Rechtsauffassung hatte, als die Paderborner Kollegen. Rechtsanwalt Thomas Feil: "Das Landgericht Paderborn hat sich bereits in früheren Zeiten schon mit „ungewöhnlichen“ Rechtsauffassungen und Entscheidungen einen Namen gemacht. Allerdings sind auch diese Entscheidungen vom Oberlandesgericht Hamm kassiert worden." Auch diverse Urteile des OLG Frankurt am Main, des OLG Celle und des Kammergerichts Berlin lassen eine andere Tendenz als die in Paderborn erkennen.

In Anbetracht dieser stabilen Rechtsprechung werde der Unterlegene also mit einem sehr geringen Risiko in die Berufung gehen können, erklärt Thomas Feil. "Dort ist zu erwarten, dass das Oberlandesgericht Hamm seine bisherige Rechtsprechung aufrecht erhält und die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben wird". Langfristig hat das Landgericht Paderborn dem Sieger in erster Instanz mit seiner Entscheidung wohl eher einen Bärendienst erwiesen: "Durch das Berufungsverfahren entstehen immense zusätzliche Kosten für den Sieger in der ersten Instanz. Der Betroffene kann sich gegen die Berufung nicht „wehren“ und wird damit durch die Entscheidung des Landgerichts Paderborn in ein hohes Kostenrisiko getrieben. Daher sind aus unserer Sicht solche Entscheidungen, die auf den ersten Blick positiv aussehen, für den, der in der ersten. Instanz gewonnen hat, langfristig sehr negativ und teuer."

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass dieses Urteil angesichts der bisherigen Rechtsprechung als interessanter "Ausreißer" gewertet werden kann, von dem aber wohl keine Leitwirkung auf andere Gerichte ausgehen wird. "Aus unserer Sicht ist nach wie vor eine AGB-Klausel, die rechtswidrig ist, auch ein Wettbewerbsverstoß und damit abmahnfähig", so Rechtsanwalt Thomas Feil. "Wir werden bei unserer rechtlichen Beratung auf diese Entscheidung zwar verweisen, aber deutlich machen, dass wir diesbezüglich nicht mit einer Änderung der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte rechnen."

Weitere Informationen zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) finden sie in der FAQ auf heise resale . ()