Die Woche: In den Fuß geschossen

FUD – fear, uncertainty, doubt – bezeichnet die Strategie, allzu erfolgreiche Produkte von Konkurrenten ein Gespinst aus Gerüchten und Halbwahrheiten einzuweben, um Zweifel an der Tauglichkeit des Produkts zu wecken.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich
Inhaltsverzeichnis

Man kann zum Beispiel rechtliche Risiken beim Einsatz des Konkurrenzprodukts andeuten, Zweifel an der Zuverlässigkeit des Lieferanten wecken oder tendenziöse Studien publizieren – und hoffen, dass bei den potenziellen Kunden ein vager Eindruck in Richtung "lieber die Finger davon lassen" zurückbleibt.

Dass ein Unternehmen FUD um seine eigenen Produkte streut, ist allerdings eine echte Neuerung. Oracle praktiziert dies derzeit mit Bravour. Die Klage gegen Google wegen der Java Virtual Machine Dalvik in Android dürfte vor allem eines bewirken: Unsicherheit um Java. Die Zukunft von Solaris ist nach der Quasi-Beerdigung von OpenSolaris auch nicht wirklich sicherer geworden. Und beides zusammen weckt Zweifel, was aus anderen Produkten und Open-Source-Projekten werden mag, die mit Sun zu Oracle gekommen sind.

Dass Google in der Klage von Oracle einen Angriff auf Open-Source-Java sieht – geschenkt: Darum geht es überhaupt nicht. Die Klage bezieht sich ja auf die Java-Version für Mobilgeräte JavaME, und die hat Sun eben gerade nicht als Open Source freigegeben.

Was die Klage aber sehr deutlich zeigt: Oracle möchte mit Java Geld verdienen. Darin war Sun nie besonders gut: Zwar hat das Unternehmen eine Menge Ressourcen in die Java-Entwicklung gesteckt, aber nur wenig damit verdient – im wesentlichen durch die Lizenzgebühren für JavaME, die die Hersteller von Smartphones mit Blackberry OS, Windows Mobile, Symbian etc. bezahlt haben.

An Java als wichtigster Plattform für die Softwareentwicklung im Unternehmen (Java Enterprise Edition) hat Sun nie direkt verdient: Jeder kann Entwicklungsumgebungen, Frameworks und Java Application Server auf den Markt bringen, ohne Lizenzgebühren zahlen zu müssen – entsprechend groß ist die Auswahl an Produkten, sowohl kommerziellen als auch Open Source. Für das Unternehmen, dem Java "gehört", dessen Ingenieure maßgeblich die Entwicklung der Sprache vorantreiben und das viel Geld in die Entwicklung eines Marktes steckt, in dem dann die Konkurrenz gut verdient, muss das ziemlich ärgerlich sein.

Nicht auszuschließen also, dass Oracle auch nach einem Weg sucht, an Java EE zu verdienen. Ob das eine gute Perspektive für Unternehmen ist, die auf Java für die Produkt-Entwicklung oder für geschäftskritische Anwendungen setzen, ist eine andere Frage.

Nachdem Oracle die OpenSolaris-Community lange im Unklaren gelassen hatte und auch nicht auf den groß angekündigten Start des OpenSolaris-Forks Illumos reagierte, gab es vor Kurzem ein erstes Statement zur Zukunft von Solaris; am Wochenende sind dann weitere Details durchgesickert. OpenSolaris kommt in den Ausführungen nicht vor, wohl aber bei Oracle entwickelter proprietärer Code, ein exklusives System für Oracle-Kunden und große SPARC-Maschinen.

Als Sun vor einigen Jahren große Teile von Solaris offenlegte, spekulierte Sun-CEO Jonathan Schwartz darauf, mit Solaris die Erfolgsstory von Linux zu wiederholen: Als Open Source sollte sich OpenSolaris möglichst weit verbreiten. Mit einer großen Entwickler-und Anwender-Community würde sich dann schnell ein Ökosystem rund um das Betriebssystem bilden, in dem auch der Solaris-Erfinder seine Nische findet – ähnlich wie wie im Linux-Universum Unternehmen wie Red Hat auch gutes Geld verdienen. Hat bloß nicht funktioniert: OpenSolaris ist ein Exot geblieben.

Oracle zieht die Konsequenz daraus und macht eine Rolle rückwärts: Zukünftig soll es Solaris nur noch für Oracle-Kunden geben, als exklusive Dreingabe zu Speicher-Hardware und Datenbank-Servern. Bloß: Genau das war ja viele Jahre das Geschäftsmodell von Sun, bis nach dem Platzen der Dotcom-Blase die Geschäfte mit Solaris-Servern immer schlechter liefen – es gab ja durchaus Gründe, warum Sun seine Kronjuwelen als Open Source freigegeben hat. Was Oracle da besser machen will, hat das Unternehmen noch nicht gesagt.

Die Klage gegen Google wie das Ende von OpenSolaris zeigen, wo die Prioritäten bei Oracle liegen. Der Datenbankriese für viel Geld eine defizitäre Sun übernommen – dass man sich nun Gedanken macht, wie das investierte Geld wieder reinkommt, und dabei auch originelle Wege geht, sollte daher niemanden überraschen. Es ist anzunehmen, dass man die gesamte übernommene Sun-Technologie auf Wirtschaftlichkeit prüfen und nach zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten suchen wird.

Ausgerechnet Simon Phipps, ehemaliger Open-Source-Chef bei Sun, hat Projekte wie Java und OpenSolaris bereits abgeschrieben, als er vor kurzem konstatierte, dass kommerzielle Open Source – im Sinne von Open-Source-Software, die von einem Unternehmen hergestellt wird – keine Zukunft hat. Phipps bezeichnet die Idee, Unternehmen könnten ihre Software als Open Source besser an den Kunden bringen und damit mehr Geld verdienen, als Open-Source-Blase – und die sei mittlerweile geplatzt.

Oracle, so scheint es, setzt diesen Gedanken konsequent um. Fragt sich natürlich, was das für die anderen Open-Source-Projekte wie MySQL, NetBeans, OpenOffice oder VirtualBox heißt, die ebenfalls mit Sun zu Oracle gekommen sind – und für den Rest des Sun-Portfolios. Angst, Unsicherheit und Zweifel – das betrifft nicht nur Java und OpenSolaris. (odi)