Die Spuren führen nach Moskau: Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek enttarnt
Journalisten haben den flüchtigen Wirecard-Manager Marsalek und sein Handy in Moskau aufgespürt. Der 45-Jährige arbeite für den russischen Geheimdienst FSB.
Jan Marsalek in seinen Wirecard-Tagen.
(Bild: Wirecard)
Journalisten von Spiegel, ZDF und weiteren internationalen Medien wie The Insider und Der Standard haben den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek in Moskau aufgespürt. Der 45-Jährige, der seit der Insolvenz des einstigen Dax-Konzerns 2020 international gesucht wird, lebt demnach in der russischen Hauptstadt und arbeitet mutmaßlich für den russischen Geheimdienst FSB. Dass der gebürtige Österreicher in Russland nach der spektakulären Pleite des skandalumwitterten Finanzdienstleisters untergetaucht sein soll, wurde seit spätestens seit 2020 vermutet.
Die Recherchen, die unter anderem auf geleakten Handy-Standortdaten basieren, zeichnen ein detailliertes Bild von Marsaleks Tagesablauf. Sein Handy wurde zwischen Januar und November 2024 über 300-mal in der Nähe der Moskauer FSB-Zentrale geortet. Die Fotos, die die Journalisten einsehen konnten und teils veröffentlichten, zeigen den Verdächtigen mit Bart unter anderem in Anzug und Schlips auf dem Weg dorthin.
Die Aufnahmen belegen, dass sich Marsalek regelmäßig in Moskau aufhält und dabei wenig zu verbergen hat. Zu sehen ist er etwa beim Einkaufsbummel und beim Fahren auf einem E-Scooter. Letzteres führte im April 2024 sogar zu einer Verwaltungsstrafe von acht Euro, da er sich offenbar nicht immer an die Verkehrsregeln hielt. Das geht aus behördlichen Daten hervor. Auch ein gesuchter Betrüger kann demnach im Alltag mal unvorsichtig sein.
Geleakte Standortdaten ausgewertet
Der Fall demonstriert, wie aufschlussreich eine Handynummer bei der Fahndung sein kann. Durch die Analyse von geleakten Standortdaten gelang es dem Rechercheteam, ein umfassendes Bewegungsprofil von Marsalek zu erstellen. Jede Nutzung des Telefons erzeugte einen Datenpunkt – versehen mit Zeitstempel und dem Standort des jeweiligen Funkmasts. Die Auswertung dieser Informationen in Form von Tabellen und Karten deckte präzise die Wege und Aufenthaltsorte des Telefonnutzers auf.
Marsalek nutzt laut den Berichten mehrere Tarnidentitäten, darunter den Namen Alexander Michaelowitsch Nelidow, unter dem er auch einen russischen Pass besitzt. Mit diesem Alias reiste er offenbar mehrfach auf die Krim, in die Ostukraine und in das russisch besetzte Mariupol. Ein Foto zeigt ihn sogar in Militärkleidung mit dem russischen Kriegssymbol "Z" als Kämpfer für Putin. Die Pressevertreter konnten mindestens fünf lange Zugfahrten identifizieren. Eine weitere Identität lautet Alexandre Schmidt, ausgestellt auf einen belgischen Pass. Schon zweimal soll Marsalek auch die Ausweisdokumente russischer Priester übernommen haben.
Über den Alias Nelidow stießen die Journalisten auch auf einen zugehörigen Telegram-Account. Ihr Versuch, über den Messenger-Dienst Kontakt aufzunehmen und nach Marsalek zu fragen, endete abrupt. Die einzige Antwort war eine knappe russische Nachricht: "Sie haben sich verwählt." Als die Reporter später erneut nachfragten, diesmal mit Bezug auf zwei Journalisten, die Marsalek für den russischen Geheimdienst FSB ausspioniert haben soll, kam lediglich die vage Bemerkung: "Sehr interessante Gestalten." Jegliche weiteren Kontaktversuche blieben erfolglos.
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Eine mysteriöse Gefährtin
Marsalek wird den Berichten zufolge häufig in Begleitung der 41-jährigen Übersetzerin Tatiana Spiridonova gesehen. Sie soll ihn bei seinen geheimdienstlichen Aktivitäten unterstützen. Spiridonova ist in einer pro-russischen Organisation aktiv, die Experten als Deckmantel für Geheimdienstaktivitäten betrachten.
Die Ergebnisse zeigen: Der Fall Marsalek stellt die deutschen Behörden vor große Herausforderungen. Obwohl der Generalbundesanwalt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit ermittelt, sind die Ermittlungsmethoden begrenzt, da sich Marsalek außerhalb der Reichweite der deutschen Justiz befindet. Die russischen Behörden geben offiziell an, nichts über seinen Aufenthaltsort zu wissen, obwohl die Recherche klare Beweise für seine Präsenz und Tätigkeit in Moskau liefert.
Ermittler kommen an ihre Grenzen
Klassische Ermittlungsmethoden wie Telekommunikationsüberwachung oder Observationen von Angehörigen greifen bei Marsalek nicht, berichtet der Spiegel. Die Kooperation zwischen Polizei und Geheimdiensten gestalte sich ebenfalls schwierig. Ein bayerischer Ermittler berichtete dem Rechercheteam vertraulich von geringem Interesse der Dienste an dem gesamten Fall.
Marsalek, der seit dem Jahr 2000 bei Wirecard tätig war und 2010 in den Vorstand aufstieg, steht im Zentrum eines der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue und weitere schwere Finanzdelikte, die vor allem im Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit für das Asien-Geschäft stehen. Der wegen Betrugs angeklagte frühere Vorstandschef Markus Braun steht parallel seit Jahren vor einer Strafkammer des Landgerichts München. Er will von den Vorgängen bei Wirecard keine Kenntnisse gehabt haben.
(dahe)