Vom Snowden-Schock zur Grundrechtsverteidigung: Zehn Jahre GFF
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte begann ihr Engagement vor allem als Reaktion auf die Überwachungsenthüllungen von Edward Snowden. Inzwischen ist sie mehr.
(Bild: heise online)
Zum zehnten Jubiläum der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) blickten vor allem Juristen auf die Erfolge strategischer Klagen zurück – und diskutierten, wie Digitalisierung, Datenschutz und Grundrechte in Zukunft verteidigt werden können. Die Menschenrechtsexpertin Maria Scharlau zog auf der Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen eine Bilanz der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF): "Wir haben in den letzten zehn Jahren 104 Verfahren geführt, davon 45 Verfassungsbeschwerden. In drei von vier Fällen haben wir gewonnen". Eine beachtliche Quote, meint Scharlau, da es dabei immer um Grundsatzfragen und häufig um die Verfassungswidrigkeit ganzer Gesetze geht.
Ein Auslöser für die Arbeit der GFF bildeten die Enthüllungen von Edward Snowden im Jahr 2013. Sie zeigten erstmals in vollem Umfang, wie amerikanische und britische Geheimdienste digitale Kommunikation massenhaft erfassten – oft auch unter Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes. Doch konkrete Konsequenzen blieben zunächst aus. Die Snowden-Affäre führte letztlich dazu, dass die GFF kurz darauf eine der wichtigsten strategischen Klagen anstieß: die Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz.
Gegründet von einer Gruppe um Ulf Buermeyer – der zum Jubiläum angekündigt hat, die GFF zu verlassen – ist die Gesellschaft inzwischen zu einer Organisation mit über 30 hauptamtlichen Mitarbeitenden gewachsen. Anfangs lag der Fokus stark auf Klagen gegen Überwachungsgesetze, heute auf den Rechten von Geflüchteten, Demonstrationsfreiheit, Diskriminierungsschutz im Arbeitsleben – und auch auf Konflikten mit großen Digitalkonzernen. Die Herausforderungen sind laut Scharlau nicht kleiner, sondern größer geworden. Zunehmend würden Demokratie und Grundrechte in Frage gestellt. Sie bezeichnete es als wichtiger denn je, die Verfassung und die Menschenrechte konsequent zu verteidigen. Auf der Jubiläumsfeier hat heise online unter anderem mit Malte Spitz gesprochen – er ist Mitgründer und Generalsekretär der GFF.
(Bild: GFF)
Herr Spitz, die GFF gibt es inzwischen seit zehn Jahren. Wie hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit entwickelt?
Von Beginn an hatten wir starke digitale Schwerpunkte, etwa bei der Auslandsüberwachung des BND. In den ersten Jahren kamen dann weitere Themenfelder hinzu. Heute konzentrieren wir uns auf drei Hauptbereiche: erstens klassische Grundrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit, zweitens digitale Fragen wie staatliche Überwachung oder den Einfluss großer Digitalplattformen, und drittens soziale Teilhabe und gleiche Rechte. Besonders spannend sind dabei die Schnittstellen, etwa beim Ausländerzentralregister: Es betrifft beispielsweise Geflüchtete, ist aber zugleich eine riesige Datenbank mit vielen Datenschutzproblemen.
Sie haben gerade Pressefreiheit und Informationsrechte angesprochen. Die CDU forderte Anfang des Jahres die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Welche Rolle spielt das Thema für Sie?
Zur Pressefreiheit haben wir zahlreiche laufende Verfahren. Wir merken, wie diese unter Druck steht, und die Entwicklungen in den USA beweisen eindrücklich, wie schnell es gehen kann. Eine freie Presse ist essenziell für eine funktionierende Demokratie. Informations- und Auskunftsrechte begleiten uns regelmäßig in unseren Verfahren. Mit "FragDenStaat" gibt es hier einen langjährigen Partner, der dort seinen Schwerpunkt hat und fachlich stark aufgestellt ist. Unser Anspruch ist es, gute Arbeit anderer nicht zu duplizieren, sondern wenn dann Lücken zu füllen oder strategisch zu ergänzen.
Ein weiteres Beispiel für Kooperationen ist Ihre Zusammenarbeit mit dem CCC. Wie läuft so etwas ab?
Kooperationen sind Kern unserer Arbeit. Wir bringen die rechtliche Kompetenz für strategische Klagen mit. Andere Organisationen haben dagegen tiefere Expertise in spezifischen Themenfeldern – beim CCC etwa die technische Dimension oder bei NGOs im Bereich Migration die Alltagsnähe zu den Menschen. Im Austausch sprechen wir dann über Kläger*innen, Kommunikation und Strategie. Im Bündnis F5, das wir mit vier Partnerorganisationen wie AlgorithmWatch, der Open Knowledge Foundation, Reporter ohne Grenzen und Wikimedia Deutschland als GFF aufgebaut haben, stimmen wir uns intensiv zu digitalpolitischen Fragen ab, um diese gemeinsam zu bearbeiten.
Haben Sie manchmal den Eindruck, dass andere Akteure passiv bleiben, weil sie denken: "Die GFF macht das schon"?
Untätigkeit würde ich es nicht nennen. Aber es stimmt, dass viele Ideen an uns herangetragen werden – nach dem Motto: "Das müsste man doch anfechten, habt ihr das auch gesehen?" So bekommen wir viele spannende Impulse. Unser Anspruch ist ja auch, eine Art "Rechtsschutzversicherung fürs Grundgesetz" zu sein: da zu sein, wenn umfassende Grundrechtseingriffe stattfinden.
Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte um den Einsatz von Palantir-Software für polizeiliche Datenauswertung.
Wir führen mehrere Verfahren zu diesem Thema – erste waren auch bereits erfolgreich – und beobachten die Entwicklung auf Bundesebene kritisch. Wichtig ist: Wir können nicht abstrakt im Vorfeld klagen, sondern erst, wenn ein Eingriff absehbar oder eingetreten ist.
Sie stehen auch im Austausch mit Datenschutzbehörden?
Ja, selbstverständlich. Wir sind regelmäßig im Gespräch mit den Aufsichtsbehörden, schon weil wir selbst auch Beschwerden einreichen. Strategische Klagen sind ein Instrument, in unserem Werkzeugkasten gibt es aber verschiedene juristische Instrumente, manchmal beginnt der Weg mit einer Beschwerde bei einer Aufsicht. Der Austausch ist für uns also sehr wichtig, auch um Rückmeldungen zu unserer Arbeit zu erhalten oder wo sich Dinge hinentwickeln.
Blicken Sie schon auf Zukunftsthemen, zum Beispiel im Gesundheitswesen?
Absolut. Wir haben dazu bereits seit Jahren ein Verfahren laufen, das hoffentlich zu einer Grundsatzentscheidung führt. Die Sensibilität von Gesundheitsdaten und breite Betroffenheit macht das Thema besonders wichtig.
Die GFF finanziert sich über Spenden. Gibt es typische Anlässe, bei denen die Unterstützung besonders stark ist?
Nach medialer Aufmerksamkeit für Verfahren oder auch Erfolge merken wir einen Anstieg. Insgesamt sind wir aber noch stark auf Förderungen von Stiftungen angewiesen, staatliche Förderungen nehmen wir nicht an. Damit unsere Arbeit wirklich gesichert ist, brauchen wir deutlich mehr Fördermitglieder, die uns langfristig unterstützen und ermöglichen, unabhängiger planen zu können. Wir reden über aufwendige Klageverfahren, die sich über Jahre ziehen und eine hohe juristische Fachexpertise benötigen. Denn ohne die finanzielle Unterstützung von vielen Menschen können wir unsere Arbeit nicht machen.
Werden Sie auch angefeindet?
Ja, das kommt vor – zuletzt etwa im Zusammenhang mit unserem Gutachten zur AfD oder bei Verfahren zu Migration oder Gleichheitsthemen. Es gibt Mails oder auch Attacken in sozialen Medien, wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß wie bei manchen anderen Organisationen oder Einzelpersonen. Wir sind ja zum Glück juristisch gut aufgestellt, um damit umgehen zu können. Leider beobachten wir, dass solche Angriffe generell zunehmen und in der Zivilgesellschaft Verunsicherung schaffen.
Blick in die USA
Zu den aktuellen Entwicklungen in den USA erklärte der US-Bürgerrechtler Ben Wizner von der American Civil Liberties Union (ACLU) in seiner Rede, seit 2017 mit seiner Organisation bereits über 80 Klagen gegen die Politik von Donald Trump geführt zu haben. In etwa drei Vierteln der Fälle mit Erfolg. Zwar seien viele politische Maßnahmen blockiert worden, aber Wizner mahnte zur Nüchternheit: Das Recht ist und kann laut Wizner kein Ersatz für die Politik sein. Juristische Verfahren könnten autoritäres Handeln bremsen, aber nicht vollständig verhindern. Sie seien Instrumente der Verlangsamung und Korrektur – ähnlich, wie es auch Gabriele Britz betonte, die von 2011 bis 2023 Richterin am Bundesverfassungsgericht war. Autoritärer Machtmissbrauch müsse frühzeitig juristisch und zivilgesellschaftlich angegangen werden.
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Informationelle Selbstbestimmung
Britz machte deutlich, dass Grundrechte sich stetig fortentwickeln würden: "Bei jeder Senatsentscheidung verändern sich Grundrechte ein Stück weiter." Insbesondere Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung seien massiv gestärkt worden. Britz verwies auf weitere Urteile zu sicherheitsrelevanten Gesetzen wie dem Bundeskriminalamtsgesetz (BKA-Gesetz), dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz sowie Regelungen zur Online-Durchsuchung. In diesen Entscheidungen prüfte das Gericht insbesondere, ob die jeweiligen staatlichen Maßnahmen mit dem Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nach Artikel 10 GG sowie der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 GG vereinbar sind.
So erklärte das Bundesverfassungsgericht zentrale Abschnitte des BKA-Gesetzes sowie verschiedene Überwachungsmaßnahmen des Bayerischen Verfassungsschutzes für verfassungswidrig, sofern diese die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, auf das Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht ausreichend berücksichtigen und schützen. Gleichzeitig betonte sie die Grenzen: Recht und Prozesse vor Gericht könnten "bestimmte Entwicklungen bestenfalls verlangsamen und Hürden aufbauen, aber [...] nicht aufhalten" Viele kleine Eingriffe, die für sich genommen unbedenklich erscheinen, könnten zusammengenommen eine Grundrechtsverletzung darstellen.
Das Verfassungsgericht habe laut Saskia Esken, die ebenfalls an der Diskussion teilnahm, Begriffe wie die Überwachungsgesamtrechnung in den Raum gestellt. Die stünden zunächst nicht in der Verfassung, seien aber ein Erfolg des Verfassungsgerichts. Karlsruhe bezeichnete sie als notwendiges Korrektiv. Die Auseinandersetzungen sind seit Jahren immer wieder dieselben, so Esken, nämlich die Balance von Freiheit und Sicherheit.
Von "Orchideenthemen" zu Grundsatzfragen
Wie Verfahren laufen, erklärte GFF-Jurist Bijan Moini. "Wir entscheiden ja selbst nichts, wir können auch den Rahmen nicht ändern. Wir bereiten Verfahren so auf, dass ein Gericht möglicherweise zu einem Urteil kommt, das die Grundrechte stärkt und natürlich diesen Rahmen auch ausgestaltet und informiert bleibt." Die GFF ermögliche eigentlich nur, dass zur Geltung kommen kann, was im Grundgesetz steht, und führe Verfahren für Menschen, die nicht die Mittel oder gar nicht das Wissen haben, selbst zu klagen. Er erinnerte auch daran, wie sich die Arbeit verändert habe: "Früher haben wir uns mit Orchideenthemen wie dem elektronischen Anwaltspostfach beschäftigt – im Nachhinein fast ein Luxus". Heute gehe es um fundamentale Fragen zu Themen wie Menschenwürde, den Rechten von Geflüchteten und Massenüberwachung. Eine Sorge von Moini ist beispielsweise, dass die Politik Rechtsbrüche oder Grundrechtsverletzungen in Kauf nehme.
"Meine Sorge ist gar nicht so sehr, dass Politik übergriffig gegenüber dem Recht wird, sondern meine Sorge ist, dass Politik [...] zu schnell auf Populismuszüge aufspringt. Das finde ich unerträglich [...], dass Politik sich nicht wirklich an die Sache macht", kritisierte Britz. Sie wolle Menschen in der Politik sehen, "die für eine Sache stehen und für eine Sache streiten und sich nicht in irgendwelchen strategischen Zankereien verlieren". Sie wünsche sich mehr Ernsthaftigkeit, Vertrauen in sachliche Argumente – und weniger Populismus.
(mack)