40 Jahre: Fehler gebiert Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

Das Bundesverfassungsgericht sorgte 1983 mit dem Grundrecht auf freie Entscheidung über die Preisgabe persönlicher Daten für einen nachhallenden Paukenschlag.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 54 Kommentare lesen
Graffiti auf Berliner Mauer vor Brandenburger Tor

(Bild: bundestag.de (py/akg))

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das vielbeschworene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sollte es in dieser breiten Dimension eigentlich gar nicht geben. Dies verriet Gerhard Robbers am Freitag bei einem Symposium zur Feier des 40. Geburtstags des Volkszählungsurteils. Dem Staatsrechtler zufolge ist die Sache mit dem "Grundrecht" schlicht ein Fehler: Der im Manuskript zunächst stets verwendete Begriff sei vor der Urteilsausfertigung überall auf "Recht" geändert worden. Nur im Absatz 189 sei das vergessen worden.

Robbers, der damals als Wissenschaftlicher Mitarbeiter Ernst Benda, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, zur Seite stand, sprach von einem Korrekturversagen. In der Sache mache der Unterschied zwar "nicht viel aus, aber schon ein bisschen". Das eigentliche Grundrecht sei die in Artikel 2 des Grundgesetzes verankerte freie Entfaltung der Persönlichkeit, erläuterte Dieter Grimm, der von 1987 bis 1999 Richter im Ersten Senat des Verfassungsgerichts war. Dieses sei "Quelle immer neuer Konkretisierungen, die aufgrund immer neuer Gefahrenlagen eintreten". Bei der informationellen Selbstbestimmung handele es sich auch um eine solche Fortschreibung. Streng genommen bestehe damit also "kein neues Grundrecht, aber ein neuer Anwendungsbereich für das bestehende". Für Nicht-Juristen sei das aber "nicht leicht nachvollziehbar".

Die für 1983 geplante, letztlich aber erst 1987 in abgespeckter Form durchgeführte Volkszählung habe unglaubliche Erregung in der Bevölkerung hervorgerufen, erinnert sich Grimm an die Umstände des Grundsatzurteils. Dass der Staat Auskünfte etwa über Wohnsituation, Erwerbsleben, Ausbildung und benutzte Verkehrsmittel haben wollte, sei von vielen als Einstieg in den totalitären Überwachungsstaat gewertet worden. Es habe Aufrufe und Anleitungen zum Boykott sowie zahlreiche Verfassungsbeschwerden gegeben, was man "bis ins Urteil hinein spüren" könne.

40 Jahre informationelle Selbstbestimmung (von links: Gerhard Robbers, Gisela Wild, Niko Härting, Dieter Grimm)

(Bild: Autor)

Ursprünglich sollte das Urteil erst 1984 verkündet werden, weiß die Zeitzeugin Gisela Wild, die als Hamburger Anwältin eine der ersten Verfassungsbeschwerden gegen die Volkszählung einreichte. "Aber Benda schied am 31.12.1983 aus" und habe in seiner Amtszeit als Vorsitzender noch eine Marke setzen wollen. Auf die Beschwerde habe das Gericht offenbar schon gewartet und bereits wenige Tagen später einschlägige Anfragen an andere Gremien gestellt. Dazu gekommen sei eine große Presseberichterstattung. Diese habe zu Hunderten Anfragen für andere Anträge geführt, sodass sie und ihr Team eine Musterverfassungsbeschwerde ausgearbeitet und zur Verfügung gestellt hätten. So sei es zu einer Flut von Eingaben gekommen, die alle gleich aussahen.

"Was machen wir denn nun", fragte Benda daraufhin laut Robbers in die Runde. Die ganze Sache habe damit auf der Kippe gestanden. Letztlich habe sich das Gericht aber - auch angesichts der aufgeheizten Stimmung mit Aufruhr und Demonstrationen in den Straßen - dazu entschieden, "dass es in den Senat geht". Der Beschluss habe durchaus mit das Ziel gehabt, "befriedend zu wirken". Die Frage "wie kommen wir an in der Öffentlichkeit" habe sich dagegen nicht gestellt.