Missbrauch beim Widerrufsrecht: Wie können Händler sich wehren?
Kunden machen immer häufiger von ihrem Widerrufrecht gebrauch und senden Waren zurück. Händler klagen über Missbrauch und finanzielle Einbußen. Rechtsanwalt Johannes Richard erklärt die aktuelle rechtliche Situation und die geringen Reaktionsmöglichkeiten der Händler.
Rechtsanwalt Johannes Richard
(Bild: J. Richard)
Das Widerrufsrecht bei Internetgeschäften, das es Verbrauchern erlaubt, Waren innerhalb der gesetzlichen Frist kostenfrei zurückzugeben, belastet Onlineshop-Betreiber nach Erkenntnissen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) erheblich. ITK-Anbieter sind dabei besonders oft betroffen: Bei Bestellungen von Unterhaltungselektronik machen die Kunden in 15,4 Prozent der Fälle von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch, bei EDV-Produkten sind es 15,1 Prozent. Hat der Kunde die Ware beschädigt, konnte der Händler Wertersatz verlangen, das ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof nicht mehr so einfach möglich. Heise Resale sprach mit Rechtsanwalt Johannes Richard über die aktuelle Rechtslage.
Sind die Kunden Ihrer Meinung nach selbstbewusster geworden oder fördert das Widerrufsrecht eine gewisse Ausleihmentalität?
Johannes Richard: "Nach meiner Einschätzung wäre der Online-Handel bei weitem nicht so erfolgreich, wenn Verbraucher nicht auch gesetzlich gut geschützt wären. Das Widerrufsrecht ist hier ein wichtiger Faktor – ermöglicht es diese gesetzliche Regelung dem Verbraucher in der Regel ohne Wenn und Aber das Produkt wieder zurückzugeben. Hierbei wird man insbesondere berücksichtigen müssen, dass es, anders als im Ladengeschäft, halt keine Möglichkeit gibt, sich die Ware vorher näher anzusehen oder diese auszuprobieren. Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Eine Ausleihmentalität beobachte ich zwar eher selten, gerade vor kurzem hat mir jedoch ein Mandant berichtet, dass er kurz vor der Fußball-WM viele Bierzapfanlagen verkauft hat, die – welch Zufall – nach der Fußball-WM wieder zurückgegeben wurden. Auch die Anprobe von Kleidung nach Hause zu verlegen, indem Kleidungsstücke in beispielsweise drei verschiedenen Größen bestellt werden und zwei dann wieder zurückgesandt werden, ist sicherlich nicht im Sinne des Händlers. Nach meiner Praxiserfahrung ist ein Missbrauch des Widerrufsrechtes jedoch eher selten."
Die meisten der zurückgeschickten Waren müssen neu verpackt werden, manche weisen Gebrauchsspuren auf, andere sind gar nicht mehr verwendbar, in jedem Fall sind zusätzliche Kosten die Folge. Unter welchen Voraussetzungen kann der Händler Wertersatz vom Kunden verlangen?
Johannes Richard: "Sie haben vollkommen Recht, dass zurückgeschickte Ware im besten Fall nur neu verpackt werden muss. Bei Gebrauchsspuren oder Hygieneartikeln kann es jedoch sogar so weit kommen, dass die Ware gar nicht mehr verkäuflich ist. So hat das OLG Köln erst vor kurzem ein Widerrufsrecht bei geöffneter Kosmetik angenommen. Hier kann der Händler die zurückgesandte Ware aus Hygienegründen eigentlich nur noch wegschmeißen.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 3.9.2009 die deutschen Regelungen zum Wertersatz im Falle des Widerrufes gekippt. Zusammengefasst gibt es keinen Wertersatz, wenn der Verbraucher die Ware "ausprobiert". Ausnahmen sind nur dann möglich, wenn der Verbraucher ungerechtfertigt bereichert ist, beispielsweise sich einen guten Anzug für eine Hochzeit bestellt, um diesen danach zurückzugeben. Dies wird in der Praxis jedoch kaum nachweisbar sein oder wenn die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt werden.
Wann diese Fälle gegeben sind, müsste durch die Rechtsprechung noch geklärt werden. Es gibt bisher nur wenige Urteile. So hat das Amtsgericht Berlin Mitte mit Urteil vom Januar 2010 Wertersatz für zulässig erkannt, als ein Produkt durch den Verbraucher erheblich beschädigt wurde."
Gibt es vielleicht andere juristische Hebel, die der Händler ansetzen kann, wenn er einen Missbrauch des Widerrufsrechts vermutet?
Johannes Richard: "Dies ist nach meiner Auffassung kaum möglich. Ein Missbrauch des Widerrufsrechts dürfte nur schwer nachweisbar sein, beispielsweise wenn ein Wettbewerber viel Ware bei einem Händler bestellt, um diese dann ganz bewusst wieder zurückzugeben. Auch Versuchen von Internethändlern, bei den wenigen Ausnahmen, die die gesetzliche Regelung vorsieht, damit ein Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, einen Widerruf zu verhindern, hat die Rechtsprechung oft einen Riegel vorgeschoben. Es ging los mit aus Standard-Bauteilen konfigurierten Computern über Kontaktlinsen wie auch benutzte Kosmetik oder angebrochene Getränkeflaschen. Bei all diesen Produkten hat die Rechtsprechung für den Verbraucher ein Widerrufsrecht als gegeben angesehen."
Somit hat ein Internethändler erhebliche Kosten im Falle des Widerrufs zu tragen?
Johannes Richard: "Auf jeden Fall. Hierbei muss man berücksichtigen, dass bei Verwendung einer Widerrufsbelehrung der Händler die Kosten der Rücksendung zu zahlen hat, wenn die zurückgesandte Ware einen Wert von mehr als 40 Euro hat. Es wird jedoch noch schlimmer: Der Europäische Gerichtshof hat am 15.04.2010 zum deutschen Widerrufsrecht des Weiteren entschieden, dass auch alle Hinsendekosten zu erstatten sind. Bedenkt man dann noch, dass der Händler nicht einmal einen Wertersatz geltend machen kann, sind dies Kosten, die in den Kaufpreis mit einkalkuliert werden sollten. Dies hat im Übrigen auch die Generalanwältin vor dem Europäischen Gerichtshof zu ihrem Plädoyer zum Thema "Wertersatz" im deutschen Recht erkannt und zynisch "den Weg über preispolitische Verhaltensweisen der Mischkalkulation, die einen prozentualen Rücklauf einbezieht", empfohlen. Mit anderen Worten: Alle Käufer müssen dafür bluten, wenn ein paar Verbraucher von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Ob dies noch im Sinne des Verbraucherschutzes ist, wage ich zu bezweifeln." (Marzena Sicking) / (map)