Justizministerin: "Chatkontrolle in einem Rechtsstaat tabu" 

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) bekräftigt ihr "Nein" zur Chatkontrolle. Die Bundesregierung hat noch keine gemeinsame Linie gefunden.

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Bundesjustizministerin Stefanie Hubig mit einem Aktenordner unter dem Arm auf dem Weg zu einer Sitzung.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) auf dem Weg zu einer Kabinettssitzung.

(Bild: EUS-Nachrichten/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Nach Unionsfraktionschef Jens Spahn hat sich nun auch die Bundesjustizministerin klar gegen die EU-Pläne für eine Massenüberwachung gestellt. "Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein. Private Kommunikation darf nie unter Generalverdacht stehen", sagte Stefanie Hubig (SPD) am Mittwoch in Berlin. "Der Staat darf Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen."

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Die geplante sogenannte "Allgemeine Ausrichtung" zur CSA-Verordnung wurde von der Tagesordnung des Rats der Justiz- und Innenminister für kommenden Montag gestrichen. Das haben mit dem Vorgang vertraute EU-Beamte am Mittwochabend heise online bestätigt. Um eine gemeinsame Position der Mitgliedstaaten zur umstrittenen Überwachung zu erreichen, soll der dänische Ratsvorsitz "auf technischer Ebene", also auf Ebene der Beamten statt der Minister, an einer Lösung arbeiten. Die notwendige qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten ist nach den Ereignissen der beiden vergangenen Tage in Berlin unmöglich geworden. Der nächste reguläre Termin für die Innen- und Justizminister wäre der 8./9. Dezember 2025.

"Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen", betonte die Justizministerin. "Wir müssen beim Kampf gegen Kinderpornografie auch auf EU-Ebene vorankommen. Dafür setze ich mich ein. Aber auch die schlimmsten Verbrechen rechtfertigen keine Preisgabe elementarer Bürgerrechte. Darauf habe ich in den Abstimmungen der Bundesregierung seit Monaten beharrt. Und dabei wird es bleiben."

Trotz der klaren Worte von Spahn und Hubig will sich die Bundesregierung noch nicht zu einer Position bekennen – und verweist auf weiteren Abstimmungsbedarf. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums betonte, dass es keine Einigung innerhalb der Bundesregierung gebe. Bisher lehnte Deutschland die EU-Pläne strikt ab.

Damit wird immer wahrscheinlicher, dass die für kommende Woche geplante Abstimmung im EU-Rat verschoben wird. Zur Stunde tagt in Brüssel der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (AStV, auch als Coreper bekannt), um die Ratssitzung am 14. Oktober vorzubereiten. Dabei geht es auch um die Chatkontrolle.

Wenn die Vertreter keine Einigung erzielen, dürfte das Thema auf Wiedervorlage gehen. Auch im Bundesinnenministerium rechnet man damit, dass eine Entscheidung frühestens in der Ratssitzung Mitte Dezember fällt. Bereits vor einem Jahr ist die Chatkontrolle im Rat gescheitert, damals unter anderem am Widerstand Deutschlands.

Aus Sicht der Bundesregierung seien noch technische Fragen zu klären, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin und bedauerte, die Debatte habe eine "Schlagseite" bekommen. Anlasslose Chatkontrolle sei stets ein Tabu gewesen. "Es geht uns um die Prävention und die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Kindern und nicht um Chatkontrolle."

Auch die EU-Kommission weist die Kritik an dem Vorhaben zurück. Es sei "keine allgemeine Überwachung" der Online-Kommunikation vorgesehen, teilte ein Sprecher der Kommission mit.

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Tatsächlich sieht der seit 2022 heftig umstrittene Plan der EU vor, mit Anwendungen auf den Endgeräten der Nutzer auf Inhalte der Messenger zuzugreifen, bevor diese verschlüsselt werden (Client Side Scanning). Dabei sollen Bilder, Video und URLs automatisch auf Material mit Kindesmissbrauch überprüft werden. Textnachrichten seien ausgenommen.

Kritiker sehen darin grundrechtswidrige Massenüberwachung. Die Betreiber von verschlüsselten Messenger-Plattformen lehnen das Vorhaben ebenfalls ab. Signal-Chefin Meredith Whitaker kündigte an, den Messenger vom europäischen Markt zurückzuziehen, sollte die Politik "unsere Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien untergraben".

Datenschützer kritisieren die Maßnahme als massiven Eingriff in die Privatsphäre. "Die Chatkontrolle hilft nicht, das zweifellos zu unterstützende Ziel der Bekämpfung von Kinderpornografie zu erreichen", meint die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider. "Die Auswirkungen auf uns alle und unsere private Kommunikation hingegen sind massiv und daher kaum zu rechtfertigen."

(vbr)