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Was war. Was wird.

Was kann das Jahr noch bringen? Es geht in die Geschichte ein als der Anfang vom Ende, sowohl einer mythisch überhöhten IT-Marke als auch einer als politisches Projekt gestarteten Regierung. Da hilft nur noch ein Drink -- für Hal Faber ganz ohne Wasser.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Kaum sind die Sätze in der Welt, gehen die Fragen los. Ich soll ein Handwerker sein? Das ist immerhin eine amüsante Idee. Doch auf alle Fragen gibt es immer eine einfache, eindeutige Antwort, die falsch ist. Die Wahrheit ist viel vertrackter. Sind wir nicht alle, um es mit Nietzsche zu sagen, hübsch lastbare Esel und Eselinnen mit einer holographisch-elektronischen Repräsentation? Ich bin -- zumindest für den Rückblick dieser Woche -- ein ehemaliger Superschattenminister, der jetzt das Haus der Täuschungen im fernen Atlantis leitet und nebenan, in Australien, ein bisschen mit Risikokapital spielt.

*** Ja, früher war das anders. Da leitete ich die "Mission Deutschland!", da hatte ich eine tolle Website, auf der richtig was los war und sich niemand um ein ordentliches Firstpost kümmerte. Ich schrieb Tagebuch und meine Leute die fetzigen Wahlslogans: "Unser Land ist gut für Erfolg." Leute schrieben sogar Gedichte! Feinziselierte empfindsame Betrachtungen, die die Prognosen des Heise-Hauspoeten Helpdesk locker in den Schatten stellen:

Deutschland,
Land der Dichter, Denker
und Komponisten.
Du hast Rainer Maria Rilke, Immanuel Kant
und Johann Sebastian Bach
hervorgebracht.
Du Land der blühenden Gärten
und sonnendurchfluteten Wälder.
Warum soll denn nicht
Jost Stollmann dein
Wirtschaftsminister sein?

Was war ich gerührt, als dieser Eintrag am 30.6.1998 in meinem Gästebuch erschien. Wie stand das Land hinter mir! Rilke, Kant, Bach und dann ich mit der Mehrwertsteuererhöhung auf 20 % und dem machbaren Erfolg an allen Ecken und Enden: "Wir nehmen uns vier Jahre vor, setzen uns Ziele und dann machen wir eine schöne Bewegung, die wirklich nach vorne geht." Was war für ein Leuchten um uns, in den blühenden Gärten, in denen ich mit SPD-Chef Oskar Lafontaine einig war, der für die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe warb, lange vor Peter Hartz. Wie war es lustig, mit Arbeitsminister Walter Riester ein Programm zu entwerfen, mit dem das Herumhängen im sozialen Netz durch einen Reichsarbeitsdienst ... ähem, ich meine natürlich die mit Econy gestartete Aktion "Neue Freiheit". Ja, ich war Prinz von Arkadien und Minister for Tomorrow, der Erste Anpacker im Staate, die "Große Kompassnadel von Schröder", ein "Mann wie ein Vitaminstoß". Tja, früher. Heute träume ich Träume.

*** Ich badete im Drachenblut, doch viel zu viele Datenblätter blieben an meinem Arsch kleben: Schröder wurde Kanzler, ich nicht Minister. "Der deutsche Bill Gates zieht zu seinem nächsten Erfolg", gratulierte mir der Middelhoff für die tolle Idee, mit der create.it services "Software-Dienstleistungen zur frühkindlichen und außerschulischen Förderung von Sozialkompetenz" zu entwickeln. Das war damals absolutes Neuland, ein super Geschäftsgebiet. Und heute? Microsofts neue Hausaufgabenhilfe "Lernen und Wissen 2006", hat ein "für Schüler optimiertes Benutzerinterface für Office-Anwendungen", das Hausaufgaben im Handumdrehen erledigt. Ja, drehen wir einmal die Hand um, in der 90 Euronen liegen müssen, damit es mit dem Anfixen richtig klappt: "Komplizierte Hausaufgaben und anspruchsvolle Projekte können im Handumdrehen durch zahlreiche Vorlagen, Tutorials, Werkzeuge und Inhalte bewältigt werden. Auch für Eltern liefert die Software viele Hilfen, mit denen sie ihre Kinder optimal bei den täglichen Hausaufgaben unterstützen können." Ja, das Leben ist WissensWert.

*** Als deutscher Bill Gates kann ich sehr gut verstehen, was den Gott des iPods antreibt. Die Nachricht zum Schwenk auf Intel donnerte schnurstracks auf den zweiten Platz der Heiseticker-Rekordliste. Nur die Meldung zum 11. September liegt vor diesem Kracher. Was musste ich damals strampeln, ehe Compunet (heute unter dem schwer PISA-verdächtigen Namen Computacenter bekannt) von General Electric gekauft wurde und ich den maroden Laden los war. So geht es auch dem Mann, der Chef der PDS werden will, der Pixar-Disney-Sony. Dazu muss man halt den Laden krumm legen, bis er von Intel gekauft werden kann. Da traf es sich bestens, dass die ach so ahnungslose IBM keine Lust mehr hatte, bei sinkenden Gewinnen das Schweinerennen um die neuesten Prozessoren mitzumachen. Die nächsten Computer sehen sowieso ganz anders aus, da können die Apple-Kisten einfach nicht mithalten.

*** Mit Schröder wäre das wirklich was Feines gewesen. Ich hätte ein Tagebuch führen können, wie es Gates damals hatte. Nun ist die neue Wissensgesellschaft da, und sie sieht etwas anders aus, als man sich das damals vorgestellt hat. Vor allem ist wirklich jeder im Netz und beschäftigt sich lieber mit seinem Blog als mit seinem Land. Selbst der Heilige Stuhl hat Probleme mit der IT-Infrastruktur und hat sich für Sun Microsystems entschieden, für das Methadon-Programm der IT, die offenbar ein einziger großer Suchtfall ist. Fehlt Irgendetwas?

*** Nein, ich führe kein Tagebuch, ich mache mir ein paar nur Notizen über den Stand der Welt und der IT-Branche. Ich bin nun ein alter, weinender Mann, der die verschuppte Politik, das Ende von Rot-Grün nicht mehr mit ansehen kann. Vom tollen Slogan "Unser Land ist gut für Erfolg" ist nur das letzte Wort übrig geblieben. Den anderen Slogan haben Angela "Wille zur Wahrheit" Merkel und ihre schwarzen Reiter übernommen: "Lassen Sie uns machen" hört sich aber längst nicht mehr so gut an wie anno 1998. Ich lese keine Tagebücher mehr. Das letzte Tagebuch war dasjenige, das heute vor 63 Jahren als Geburtstagsgeschenk in die Welt kam und gefüllt wurde. Das war natürlich eine Pflichtlektüre für den Sohn höherer Ministerialbeamten.

Was wird.

Aus den Niederlanden kommen gute Nachrichten. Die Hacker dürfen ihr Freilufttreffen "What the Hack" durchführen, dessen Programm Konturen annimmt. Die sachliche Aufklärung um das Reizwort Hacker scheint zu wirken: Es sind Menschen, die sich ihres Verstandes bedienen, um die Grenzen und Risiken der verschiedensten Technologien auszuloten. Das Gegenstück sind Computereindringlinge, die den Verstand verloren haben. In der Öffentlichkeit bildet sich so das Bild der durchgeknallten Hacker, die mit Däniken nach den digitalen Spuren der Außerirdischen fahnden. 1998, als ich als Anti-Henkel den "Polit-Alien im Dienste des Kanzlerkandidaten" gab, begann der Prozess gegen Kevin Mitnick. Heute ist dieses "Monstrum" wieder ein Mensch und mirnicks, dirnicks sogar ein respektierter Sicherheitsberater. So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen.

Bei Schröder mitzumachen, wurde mir damals wie ein Verbrechen angelastet. Dieses unsere Deutschland liebt es halt kleinkariert, was heute wohl nanokariert heißen muss. Besonders die Vergleiche mit dem Piraten Francis Drake ärgerten wirklich. Der wechselte 1577 in den gehobenen Staatsdienst und brachte es bis zum Mitglied des Parlaments. Ich bin mit meiner Alithia ein stolzer Segler und größerer Meilensammler als Drake, doch kein Pirat. Bei Compunet war die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft verboten, doch ausgeräubert wurden meine Mitarbeiter nicht. Von den vielen Ideen, die wir damals hatten, das Land gut für den Erfolg zu machen, gehörte die Neuordnung des verkorksten gängelnden Gesundheitssystems und der Altersversorgung. Davon ist etwas übrig geblieben, was heute elektronische Gesundheitskarte heißt. Jeder Einzelne kann frei bestimmen, welche Daten über ihn auf der Karte gespeichert werden und welche Daten wegfallen. Doch fallen sie wirklich weg? Wieder einmal ist die Diskussion darüber aufgeflammt, wer wo welche Daten speichert. Nun soll die Qualität im Vordergrund stehen. Quälen wir uns weiter: am Donnerstag versucht sich das CAST-Forum an einer Standortbestimmung der IT-Prozesse, die mit der elektronischen Gesundheitskarte verbunden sind.

Gesundheit? Ach was, bei der Gesundheitspolitik schütte ich mir schon lange kein Wasser mehr in meine Drinks; erheben wir also gemeinsam das Glas auf eine Regierung, der ich nicht helfen konnte, und der inzwischen wohl nicht mehr zu helfen ist. Obwohl: Die Aussichten auf eine Zeit, in der ein Paul "Unterschichten" Nolte wenn schon nicht den Hausphilosophen der Berliner, dann doch wenigstens der Merkelschen Republik abgeben dürfte, und in der die gesamte Sozial- und Bildungspolitik sich auch offiziell vom Ideal des mündigen Bürgers als autonomen Subjekt verabschiedet hat, fördern nur allzu sehr den Wunsch nicht nach einem Drink, sondern nach einem Plätzchen a million miles away. Den hat Rory Gallagher, der es gar in Hals Musikliste schaffte, nun seit 10 Jahren, aber ganz anders, als man es ihm wünschte und als wir uns dieses Plätzchen weit, weit weg vorstellen. Erheben wir also trotzdem das Glas, aber nicht auf die Berliner, nicht auf die Merkelsche und auch nicht auf die Schrödersche Republik, sondern auf den besten weißen Bluesrockgitarristen aller Zeiten, der am kommenden Dienstag vor 10 Jahren bei dem Bemühen starb, mit einer neuen Leber vor dem Zutodesaufen gerettet zu werden. Ja, auch wir brauchen mehr als nur eine neue Leber ... (Hal Faber) / (jk)