Softwarepatente: Niedersachsens Ministerpräsident stellt sich hinter den EU-Rat

Christian Wulff hat sich in einem Schreiben an EU-Abgeordnete gegen eine Eingrenzung des Patentschutzes ausgesprochen; unter anderem mittelständische Unternehmen starteten derweil die Initiative "Patentfrei sichert IT-Arbeitsplätze".

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Der heftige Streit um die EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" macht auch vor der Landespolitik nicht mehr halt. So hat der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff vor kurzem in einem Schreiben an EU-Abgeordnete, das heise online vorliegt, Stellung bezogen. Der CDU-Politiker spricht sich darin vehement für den nur mit einer Tour de Force formell verabschiedeten Vorschlag des EU-Rates aus. " Die Landesregierung unterstützt die im gemeinsamen Standpunkt dargelegte Position vorbehaltslos", betont Wulff in dem Brief. Gleichzeitig spricht er sich gegen die "Bestrebungen im Europäischen Parlament" aus, "die Regelungen aufzuweichen". Die EU-Abgeordneten hatten in 1. Lesung Prinzipien vertreten, welche das Ministergremium später nahezu ins Gegenteil umkehrte. Absicht der Volksvertreter war es, Trivialpatenten einen Riegel vorzuschieben. Zahlreiche Änderungsanträge für die Anfang Juli angesetzte 2. Lesung greifen die ursprüngliche Parlamentslinie wieder auf.

Wulff bittet die Abgeordneten aber, "sich für eine unveränderte Übernahme des gemeinsamen Standpunktes einzusetzen." Der Rat "will nichts radikal Neues einführen. Im Gegenteil: Er will Bestehendes harmonisieren und damit Verfahren, die sich in den einzelnen EU-Ländern etabliert und bewährt haben, besser aufeinander abstimmen", begründet der Landesvater seinen Vorstoß. "Die Entwicklung zentraler Zukunftstechnologien ist heute nicht mehr ohne softwaregestützte technische Lösungen möglich", erläutert Wulff weiter. In einzelnen Bereichen würden die Aufwendungen in diesem Bereich mehr als 60 Prozent der Gesamtentwicklungskosten betragen. Eine Einschränkung des Patentschutzes hätte daher "makroökonomisch noch nicht absehbare Folgen".

Beim Ausmalen des drohenden Szenarios geht der Ministerpräsident anscheinend davon aus, dass mit der Parlamentsvorlage überhaupt keine Erfindungen mehr geschützt werden könnten, wenn diese auch nur entfernt von Programmcode gestützt werden. So schreibt er etwa, hierzulande seien im Jahr 2000 etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer in Branchen wie "Maschinenbau, Elektrotechnik, Fahrzeug- und Flugzeugbau" tätig gewesen, "die unmittelbar auf Softwareanwendungen beruhen". Die Wertschöpfung im reinen Softwarebereich habe sich bei 300.000 Beschäftigten auf 25 Milliarden Euro belaufen. "Sollte der Patenschutz fallen", sorgt sich Wulff um den Industriestandort Niedersachsen, "würde dies beispielsweise für das Unternehmen Sennheiser einen Umsatzverlust von rund 100 Millionen Euro und den Abbau von 500 bis 600 Arbeitsplätze bedeuten."

Auf Anfrage von heise online reagierten Unternehmer aus dem niedersächsischen Mittelstand erstaunt auf die Position ihres Ministerpräsidenten. So vertritt beispielsweise Johannes Loxen, Chef der Göttinger Firma SerNet und beim Linux-Verband Beauftragter des Vorstandes bei Patent-Fragen, die Haltung, dass durch den Parlamentsentwurf jetzige Rechteinhaber in ihrer Wirtschaftskraft keineswegs beeinträchtigt würden. Der Entwurf des EU-Rates sieht laut Loxen dagegen "eine entscheidende Ausweitung" der Patentpraxis vor. Diesem Ansinnen würden sich nicht nur alle Fraktionen des Bundestages, sondern auch andere europäische Länderparlamente verweigern. Kritik übt der Linux-Verband auch an einem Schreiben von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, in dem sich die SPD-Politikerin ebenfalls prinzipiell für das Ratspapier ausspricht. Er betrachtet mit Sorge, wie Zypries auch den Runden Tisch zu Softwarepatenten in ihrem Haus "einseitig instrumentalisiert" und sich insbesondere beim Brennpunkt Interoperabilität auf das "völlig ungeeignete" Mittel der Zwangslizenzierung zurückziehe.

Bei Dirk Hillbrecht, dem Koordinator der niedersächsischen Unternehmerinitiative gegen Softwarepatente, löst die Initiative Wulffs ebenfalls Stirnrunzeln aus: "Die Landesregierung kann sich nicht tiefergehend mit der Materie beschäftigt haben", lautet seine Erklärung. "Sonst hätte es den Briefautoren klar werden müssen, dass der 'Gemeinsame Standpunkt' des EU-Rats eine Rechtsunsicherheit schafft, die viel mehr Arbeitsplätze gefährdet, als der im Schreiben fälschlicherweise postulierte 'Wegfall des Patentschutzes'." Haftungsrisiken (PDF-Datei) und die Gefahr von Trivialpatentklagen, denen Softwareentwickler bei der Annahme des Ratspapiers ausgesetzt wären, könnten schnell "einen Großteil der mittelständischen IT-Wirtschaft vernichten".

Derlei Ängste hat die auch in mehreren anderen Bundesländern aktive Unternehmerbewegung gegen Softwarepatentierung jetzt dazu veranlasst, gemeinsam mit dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) und dem Berufsverband Selbständige in der Informatik (BVSI) die Aufklärungskampagne "Patentfrei sichert IT-Arbeitsplätze" zu starten. Die Plattform soll "auf die Bedrohung zehntausender Arbeitsplätze in Deutschland und der EU durch Softwarepatente aufmerksam" machen. Die Sorgen drehen sich auch um die erwartete Möglichkeit, innovative Kleinfirmen künftig leichter mit unfairen Mitteln aus dem Markt zu werfen. Oliver Lorenz von der Berliner Firma EMCITA beklagt ferner, dass die Zukunft des IT-Mittelstands in Brüssel mit dem Ratspapier aufs Spiel gesetzt und die Interessen der Branche nicht gehört würden. Dabei seien im engeren IT-Bereich in Deutschland weitaus mehr Menschen bei kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigt als bei den wenigen Großunternehmen.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)