Die Debatte um Softwarepatente als Lackmus-Test für die Wissensgesellschaft

Für Kritiker sind Monopolansprüche auf Computerprogramme der Beweis einer Bankrotterklärung des Patentsystems, für ihre Befürworter geben sie kleinen Firmen Waffen gegen Konzerne in die Hand.

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Die Politik und die Ideologie des geistigen Eigentums lassen sich an der Debatte um Softwarepatente trefflich nachvollziehen. Dies zeigte sich am Montagnachmittag auf der Verbraucherschutzkonferenz im Rahmen des Trans Atlantic Consumer Dialogue (TACD) in Brüssel, die sich der Erörterung dieses noch wenig erforschten Themenfelds widmet. Kritiker stellten Monopolansprüche auf Computerprogramme dort als Beweis einer Bankrotterklärung des Patentsystems dar. Die Befürworter einer weiten Fassung gewerblicher Schutzrechte bezeichneten Softwarepatente dagegen als Waffen kleiner Firmen im Konkurrenzkampf mit Konzernen.

Eine gewisse "Schrillheit" habe in der Lobbyschlacht um die Softwarepatent-Richtlinie der EU die eigentlich wichtigen Dinge vernebelt, beklagte Jonathan Zuck, Direktor der Association for Competitive Technology (ACT). Ihn stört vor allem, dass die Auseinandersetzung häufig als Streit zwischen kleinen und großen Firmen dargestellt wurde. Auch im Mittelstand gebe es schließlich zahlreiche Befürworter eines breiten Patentschutzes für Computerprogramme. Man müsse aber unterscheiden zwischen kleinen Unternehmen, die wirklich innovative Software-Anwendungen hervorbringen, und solchen, die Software implementieren. Dazu seien die Medien oft "zu faul" gewesen, sodass sie die Schutzansprüche der ersten Gruppe ignoriert hätten. Seine Differenzierung hielt Zuck aber nicht lange durch, da er allgemein betonte, dass gewerbliche Schutzrechte den Kleinen in die Hände spielen würden. Dies hindere ihn aber nicht daran, auch mit Geld von Konzernen wie Microsoft oder Oracle Lobbying für Softwarepatente zu machen.

Gerade das US-Patentsystem leistet mit seiner Freigabe alles Menschengeschaffenen für den gewerblichen Rechtsschutz auch "Patent-Trollen" ohne eigene Produktionsabsichten Vorschub. Dies verheimlichte Bruce Lehman, langjähriger Berater der Clinton-Regierung in Fragen des geistigen Eigentums, unter Verweis auf den Fall NTP vs. den Blackberry-Hersteller RIM erst gar nicht. Generell seien meist Konzerne die Angeklagten in großen juristischen Patentfehden. Dies erfordere aber keine substanziellen Änderungen in den Softwarepatentgesetzen der USA, sondern allenfalls die Abmilderung der Möglichkeit zu Unterlassungsklagen. Wie man angesichts des Booms des Silicon Valley und der Schlagkraft der US-Softwareindustrie erkennen könne, habe die Möglichkeit der Patentierbarkeit von Programmcode und Geschäftsmodellen der Wirtschaft bislang nicht geschadet.

Für den grünen EU-Abgeordneten David Hammerstein zeigt die Geburt der Patent-Trolle dagegen, "dass das gegenwärtige Situation im Patentsystem nicht mehr aufrecht zu halten ist und mit Innovation und gesellschaftlichen Bedürfnissen nichts mehr zu tun hat". Die Softwarepatent-Debatte müsste daher "als Sprungbrett für eine viel größere Diskussion über die Wissensallmende dienen und mehr Offenheit in die gesamte Wirtschaft bringen". Keinen Zweifel, dass ein Umschwung bei der Einschätzung des geistigen Eigentums und dessen ständiger Ausweitung im Gange ist, hat auch Rufus Pollock vom Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII). Der Widerstand werde in ein paar Jahren die gleiche Größe haben wie heute die Umweltschutzbewegung.

Für problematisch beim bisherigen Lobbying gegen Softwarepatente erklärte Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, die Tatsache, dass viele Mittelständler trotz ihrer Ablehnung einer Ausweitung des Patentsystems in Europa die Arbeit etwa der Open-Source-Bewegung überlassen habe und so ein falsches Bild von der Gegnerschaft entstanden sei. Die beste Chance für den Mittelstand, mit den Großen zu konkurrieren, stellt seiner Ansicht nach nicht der Patentschutz, sondern die für neue Geschäftsmodelle offene Internetarchitektur dar.

Im Prinzip keine Probleme mit Softwarepatenten hat die liberale EU-Parlamentariern Sharon Bowles. Ihr ist es nur wichtig, dass "mathematische Formeln" nicht mit Monopolansprüchen belegt werden. Ein Problem des Systems sei es aber, gab die Patentanwältin zu, dass auch Konzerne mit großen Rechtsabteilung bei der Entwicklung neuer Lösungen selbst beim gründlichen Suchen in Patentdatenbanken Möglichkeiten zur Verletzung bereits bestehender Schutzansprüche nicht mehr ausschließen könnten. "Vergessen Sie das", erklärte sie den Zuhörern, "das kostet Sie mehr als die Beantragung eines eigenen Patents." Dies wäre generell der billigste Weg, um eine gute Patentrecherche zu erhalten. Bowles Tipp: "Werfen sie die Sachen den Prüfern zu." Das Patentwesen selbst müsse aber "voranschreiten".

Die zu Tage tretenden Kollateralschäden des gegenwärtigen Patentsystems zeigen für James Love vom Consumer Project on Technology dagegen, dass dessen Befürworter in religiösem Eifer befangen sind. Dass die EU sogar strafrechtliche Konsequenzen für Patentverletzer erwägt, spreche für den Zusammenbruch des Systems. Nicht weniger besorgt zeigte sich Love, dass die EU-Mitgliedsstaaten selbst bei einem akuten Ausbruch der Vogelgrippe beim Menschen keine Zwangslizenzen für die Herstellung von Bekämpfungsmitteln wie Tamiflu vergeben dürften. "Werden wir alle aus Liebe zum Patentsystem sterben?", lautete seine provokative Frage.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)