Was war. Was wird.
Terror-Woche in Deutschland, der Innenminister ist beliebt wie nie. Die Piraten nehmen Kurs nach Backbord, andere müssen hinter schwedische Gardinen. So richtig Partystimmung mag bei Hal Faber nicht aufkommen: Jetzt wird's persönlich.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Das war also die Woche, in der der Terror Deutschland erschütterte und unser Innenminister zum beliebtesten Politiker Deutschlands wurde, von einer Gloriole der Gewerkschaft geprägt, die sich nach der Vorratsdatenspeicherung sehnt. Muss man wirklich den Rechtsstaat abschalten, um ihn zu erhalten, fragt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, die seinen Vorschlag zu einem "Megaprojekt der Befreiung von Angst" hinter die Paywall steckte. Brauchen wir also die Datenspeicherung in großem Stil, den intimen Umgang mit angenehmen Körperscannern, die Überwachung von Skype-Telefonaten und den Einsatz der Bundeswehr im Inland? Brauchen wir nicht besser Schnitzel zwischen den Beinen, die Aufkleber der Aktion "Ich bin verdächtig!" gegen die miesen Tricks der Ausländer, die unsere christlich-jüdische Tradition bedrohen? Wie kann da noch Partystimmung aufkommen, gar von Parties berichtet werden, wenn die Pressefreiheit ein bisschen gewürgt wird? Die nächste Terror-Woche wird es zeigen.
*** Achja, die Presse. Mit einem Blogger-Sandkasten, der tatkräftigen Hilfe anonymer Mobber, dem schadenfrohen Grienen der Blogosphäre samt reichlich hämischer Kommentare wurde der Verlegererbe Konstantin Neven duMont, auch bekannt als Konstantin Mustermann, vom Verlag getrennt. In allen Blättern schlägt der Qualitätsjournalismus zu und bringt lange Portraits des Abgetrennten. Dazu gibt es seltsame Vergleiche mit Nordkorea, das gerade nicht mit Steinchen schmeißt. Wobei die Idee mit dem Sandkasten nicht einmal schlecht ist: Da ist das wunderbar liebevoll gemachte World of Tanks aus Russland, mit stimmungsvollen Karten. Auch für Pazifisten empfehlenswert, weil sie sich die Gegend angucken können. World of Tanks ist eigentlich bestens geeignet, den Kriegswütigen einen Sandkasten zu bieten wie die Sandboxen für schlechte Software. Jaja, naive Vorstellung, genauso naiv wie die nordkoreanischen Dramen in der kaputten Verlegerwelt.
*** Was überhaupt Kultur ist und wem sie gehört, wird dieser Tage schwer diskutiert. Etwa mit einem 12-Punkte-Papier zum geistigen Eigentum, das von unserem Kulturstaatsminister vorgestellt wurde. Es macht den Verlegern große Zugeständnisse und möchte die Provider stärker in die Haftung nehmen. Das entspricht einer gewissen Logik: Wer das Recht auf die Privatkopie für nicht existent erklärt, hat mit der Pflicht, sich seines Verstandes zu bedienen, ein großes Problem. Wie die ständig "Stoffzettel" kopierenden und verteilenden Schulen den "Respekt vor Urhebern" vermitteln sollen, harrt auch noch der Erklärung. Wie wäre es mit einem 1-Euro-Erklärbär neben dem Kopierer, der die umstrittene Fotokopier-Abgabe erläutert?
*** An dieser Stelle wird es persönlich. Die Piraten segeln auf Backbord-Kurs in Richtung Linkspartei. Das sind die, die mit der Expropriation der Exproriateure liebäugeln und dem Volke das wiedergeben wollen, was sich andere angeeignet haben. Wie der verlinkte Otto Bauer erkannte, kann diese Expropriation nicht mit einer brutalen Konfiskation durchgeführt werden, sondern besser durch die Steuer und andere Abgaben. Solche Denke ficht unsere Piraten nicht an, sie halten es lieber mit Enteignungen und wollen mir meine Rechte an meinen Texten nach zehn Jahren wegnehmen. Diese kleine Wochenschau, die sich Gedanken über den Klassenkampf macht, wäre beispielsweise ein gemeinfreier Fall aus Piratensicht, während ich als Journalist, der samt Familie von den Veröffentlichungen leben muss, von einer schlichten Gemeinheit rede. In Zahlen: Im heute existierenden Urheberrechtssystem mit Verwertungsgesellschaften wie VG Wort und Pro Litteris bekomme ich pro Jahr rund 8000 Euro ausgeschüttet, davon rund 1300 Euro für Texte, die älter als zehn Jahre sind. Kurzum: Die radikale Kürzung des Urheberrechtes ist nicht in meinem Interesse. Daran ändert auch die Schwarz-Weiß-Malerei der Linkspartei nicht, die allen Ernstes nur die Lage der Autoren betrachtet, und Blümchen pflückend vom Veröffentlichen ohne Verlag schwärmt.
*** Gehen wir doch einmal genau zehn Jahre zurück in die Zeit. Wie war das noch, als die Betrügereien von Biodata ans Tageslicht kamen? Das war immerhin keine gewöhnliche Klitsche der Bobos, sondern ein edles Unternehmen, das auf einer Burg residierte und sich einen Philosophen leistete, wie es ein anderer, zehn Jahre alter Artikel beschreibt. Da spricht der Philosoph wie Ludwig Marcuse vom Glück: "Und ich bin hier der einzige Angestellte, der die Entwicklung moralisch beurteilen darf. Aus dem Enthusiasmus der letzten Jahre soll in dieser tollen Belegschaft kein Zynismus werden. Hinter jedem Engagement im Job steht der Wunsch nach einem gelingenden Leben."
*** Ganz anders klingt diese Beschreibung: "Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muss ihm seine Arbeit verhasst sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für sich selbst fühlt, die in ihr liegen." Das ist von Friedrich Engels, gewissermaßen ein Ständchen zu seinem Geburtstag. Natürlich ist das veraltet und vor allem viel zu einfach geschrieben im Zeitalter der Ich-AG. Denn die Arbeit heute wird auf Soziologisch eine Realfiktion genannt, "ein höchst wirkmächtiges Als-ob, das einen Prozess kontinuierlicher Modifikation in Gang setzt und in Gang hält, bewegt von dem Wunsch, kommunikativ anschlussfähig zu bleiben, und getrieben von der Angst, ohne diese Anpassungsleistung aus der sich über Marktmechanismen assoziierenden gesellschaftlichen Ordnung herauszufallen." Alles klar im Oberholz? Die Passage stammt aus diesem schlauen Buch, das zu diesem schlauen Buch (PDF-Datei) geführt hat. All die Mythopoeten, die die Mythen der New Economy besingen oder aus gleichem Motiv heraus verdammen, könnten hier nachlesen, das die sinnstiftende Erzählung aus der Zeit der ver-rückten Ökonomie, die die Grenzen der Wirtschaftlichkeit sprengte, nichts anderes ist, als den Hamstern von heute im Rad neuen Schwung zu geben. Sonst droht die unerträgliche Lameness 2.0 sich wirklich noch im "ganzen" Internet auszubreiten.
Was wird.
Wenn schon zehn Jahre reichen, um aus dem Gestrampel der Bobos einen Mythos zu machen, was wird erst mit 100 Jahren passieren? Am 30.11.1910 wurde die Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH gegründet, mit der die moderne Datenverarbeitung in Deutschland begann. Ein Jubiläum, dass der Mutter IBM nicht recht in den Krams passt, weil nächstes Jahr groß gefeiert werden soll. Behelfen wir uns passend zum deutschen Baby mit dem Spot über das Daten-Baby, komplett mit den Schauspieler-Interviews.
Metaphorisch gesehen ist auch der neue Personalausweis noch ein ein kleines Baby, das weiterhin brav darauf wartet, mit einer Äpp gepäppelt zu werden. Unter der Woche wurde mitten im größten Terror die kleine Umfrage des Bundesinnenministeriums beendet, in der neugierige Bürger vorab definierte Fragen stellen durften. Drei Fragen machten das Rennen, darunter eine zum Rufnamen, die aus Absurdistan gesendet wurde, weil auch der alte Ausweis nicht anders funktionierte. Aber halt, am 1. Dezember wird ein Türchen geöffnet und unser Bundesinnenminister wird die mit Spannung erwarteten Antworten präsentieren. Wer "Warum die Abweichung zwischen den Standards xHD und xÖV?" gefragt hatte, geht leer aus, ebenso wie viele Deutsche, die im Adressenteil Hausnummern mit Schrägstrichen wie 42/1 angegeben haben: das / fungiert in etlichen Kommunen als Trennzeichen des Datensatzes.
Manchmal wird auch das niedlichste Baby einfach zu heiß gewickelt. Das müssen in diesem Fall die Strategen von Wikileaks erfahren, die mit der Veröffentlichung von Diplomaten-Depeschen eine neue Weltgeschichte schreiben wollen. Die Kladde mit der Leseanleitung für diese neue Geschichte wurde vom Spiegel aus Versehen vorab veröffentlicht. Besonders hübsch die Vermutung, dass Diplomaten und Politiker die Wahrheit aussprechen könnten – oder eben doppelt gemoppelte Intrigen spinnen. Auch die Erwähnung der Sina-Boxen des deutschen diplomatischen Netzes amüsiert: es wird als "ähnliches System" beschrieben. Dabei ist die Verschlüsselung irrelevant: Leaks werden von Menschen in den Netzen produziert, nicht von den Kryptoknackern. (vbr)