"Nur eine Art Aufwärmen"

Die Organisation Wikileaks wird zurzeit als Wahrheitsverkünder gefeiert. Szenekenner John Young spricht über seine Erfahrungen mit den Internet-Aktivisten.

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Von
  • Gordon Bolduan
Inhaltsverzeichnis

Die Organisation Wikileaks wird zurzeit als Wahrheitsverkünder gefeiert. Szenekenner John Young spricht über seine Erfahrungen mit den Internet-Aktivisten.

Mit der Veröffentlichung von US-amerikanischen Depeschen hat Wikileaks Weltruhm erlangt. Zuvor hat aber bereits die Plattform Cryptome im gleichen Metier für Furore gesorgt. Sie machte unter anderem unzensierte Fotos von im Irak-Krieg getöteten US-Soldaten online verfügbar und enttarnte mutmaßliche Spione des englischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Technology Review sprach mit dem Gründer von Cryptome, John Young, 74 Jahre alt und eigentlich Architekt von Beruf, über das Geschäft mit Geheim-Unterlagen, Julian Assange, die Anfänge und die Zukunft von Wikileaks.

Technology Review: Herr Young, kann man Ihre Webseite mit der von Wikileaks vergleichen?

John Young: Überhaupt nicht. Der größte Unterschied ist, dass wir nichts für Geld tun. Wikileaks ist eine Geschäftsorganisation, die vorgibt, eine gemeinnützige Organisation zu sein.

TR: Dennoch sind Sie selber mal ein Teil der früheren Wikileaks-Gruppe gewesen? Wie lange?

Young: Bevor Wikileaks öffentlich bekannt wurde, fragte man mich, ob ich die Webseite auf meinen Namen registrieren könnte. Sie brauchten jemanden mit einem realen Namen und Adresse, da sie nicht identifizierbar sein wollten. Also stimmte ich zu, da ich ähnliches schon für eine Reihe von anderen Leuten getan hatte. Ich wusste nicht viel darüber, aber es klang gut. Dann wurde ich noch auf eine private Mailingliste gesetzt, auf der man die Gründung der Organisation diskutierte. Dieser folgte ich einige Wochen.

TR: Danach trennten sich Ihre Wege. Warum?

Young: Ich war gegen die Vorgabe, fünf Millionen Dollar an Fördergeldern innerhalb von sechs Monaten aufzutreiben. Ich sagte, das sei lächerlich und lasse die Organisation entweder wie Deppen aussehen oder wie das Werkzeug jemandes, der über eine ganze Menge Geld verfüge. Da sie aber daran festhielten, wollte ich nicht mehr mitmachen. Ich wollte nicht Teil einer an Geld orientierten Organisation sein.

TR: Wie groß ist Ihre Gruppe?

Young: Das sind nur zwei Leute. Diejenigen, die das Material bekommen und es auf die Webseite stellen, es aber nicht bewerten, authentifizieren oder überprüfen. Wir veröffentlichen lediglich Dokumente. Das ist leicht zu bewerkstelligen. Openleaks wird wahrscheinlich etwas Ähnliches tun.

Hinter dieser Webseite stehen diejenigen, die sich von Wikileaks losgesagt haben. Auch sie werden sich lediglich auf das Weiterleiten von Informationen beschränken. Das ist ein Ansatz, der immer mehr angenommen wird: Man braucht nicht den Wert der Information aufzublähen. Wir lassen den Leser selbst entscheiden, ob etwas wahr, erfunden oder eine Falle von Regierungsagenten ist.

TR: Waren Sie überrascht, dass Wikileaks in den Besitz von 250.000 diplomatischen Depeschen kommen konnte?

Young: Nein.

TR: Warum nicht?

Young: Weil es im Internet keine Sicherheit gibt. Alles was hochgeladen wird, kann von technisch versierten Menschen auch gefunden und heruntergeladen werden.

TR: Sind Hacker wichtiger als Informanten?

Young: Nein. Insider spielen die meisten Informationen zu. Ganz besonders die Mitglieder von Regierungsorganisationen. Niemand verrät mehr als Regierung, das Militär und die CIA.

TR: Hat Sie denn der Staub überrascht, den die veröffentlichten Depeschen aufwirbelten?

Young: Nein. Seit zwei oder drei Jahren versuchte Wikileaks bereits die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und hatte kein Glück. Sie versuchten, das Material anzureichern, sie versuchten es zu verkaufen, sie versuchten eine ganze Menge, hatten aber nie Erfolg. Das Hubschrauber-Video, die Kriegstagebücher und die diplomatischen Depeschen waren daher Geschenke Gottes.

Sofort starteten sie mit den Vorbereitungen, es an die Medien zu verkaufen. Sie waren verzweifelt und hatten nach eigenen Aussagen nicht mal mehr genug Geld, um ihre Webseite zu betreiben. Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Vielleicht war es auch nur ein Weg, um die Veröffentlichungen noch mehr, wie eine Bombe, einschlagen zu lassen.

TR: Profitieren nur die Medien und die Öffentlichkeit von Wikileaks?

Young: Wir alle wissen, dass Regierungen und Wettbewerber Informationen aus eigenen Gründen verraten, um die Öffentlichkeit hinter das Licht zu führen oder um Wettbewerber anzugreifen. Diese Techniken sind allseits bekannt in Spionage-Kreisen. Und diese Organisationen nutzen auch Wikileaks für ihre Zwecke.

TR: Woher wollen Sie das wissen?

Young: Dadurch, dass wir Cryptome betreiben. Ich habe in den Jahren einiges gelernt.

TR: Beispielsweise indem Sie sich mit der englischen Regierung angelegten und Namen mutmaßlicher Spione veröffentlichten. Wie kommen Sie mit dem Druck klar, der von Regierungen ausgeübt wird?

Young: Es existiert kein Druck. Es gab auch keine Drohungen, lediglich Besuche von FBI-Agenten und Telefonanrufe.

TR: Wikileaks behauptet, dass FBI-Agenten Mitglieder schikaniert hätten?

Young: Schon, aber Wikileaks gibt darüber keine Details preis. Die Mitglieder untermauern nicht ihre Anschuldigungen, sondern äußern sie öffentlich und verfolgen ihre Wirkung. Haben sie Erfolg, bleiben sie dran, klappt es nicht, lassen sie ihre Geschichten fallen und gehen zu einer neuen über. Dieses ganze Gerede über Spione ist doch fast schon lustig. Typen benutzen das, um Frauen in Kneipen aufzureißen.

TR: Sie sind gegenüber Wikileaks immer sehr kritisch. Warum?

Young: Als wir noch bei den Cypherpunks waren, war das eine typische Verhaltensweise. Kontinuierliche Kritik sollte helfen, sich zu verbessern. Wie Soldaten, die sich vor einer Schlacht schinden. Auf diese Weise wollten wir verhindern, zu eitel und zu angeberisch zu werden.

TR: Sie wollen Wikileaks mit Ihrer Kritik also stärken und nicht schwächen?

Young: Genau. Zum Beispiel habe ich auf dieser privaten Mailingliste alle Dinge angegeben, für die man die Mitglieder verantwortlich machen würde. All diese Anschwärz-Techniken, diese Anschuldigungen, diese persönlichen Angriffe. All das, was wir schon von Cryptome kannten. Dazu gehören auch sexuelle Anschuldigungen und diesbezüglich gibt es noch viel schlimmere Sachen.

TR: Wollen Sie an dieser Stelle einen Kommentar zu Julian Assange abgeben?

Young: Er ist ein sehr guter Unterhalter. Mit sehr guter Stimme. Ein hübscher Kerl, der durch sein Verhalten sehr verführerisch sein kann. Er hat dieses Charisma entwickelt, um Leute dazu zu bringen, für ihn umsonst zu arbeiten und ihm Geld zu geben. Er ist ein sehr effektiver Promoter seines Geschäfts.