Dänische Provider wehren sich gegen AllofMP3-Sperre

Die von der Musikindustrie gegen Tele2 erwirkte Sperrverfügung löse keine Probleme, sondern führe in Richtung Zensur, kritisiert der Verband der dänischen Telekommunikationsindustrien. Tele2 bereitet unterdessen eine Berufung gegen das Urteil vor.

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Das Urteil war eine Überraschung. Eine Richterin am Kopenhagener Stadtgericht hatte eine einstweilige Verfügung gegen den Provider Tele2 erlassen, nach der dieser seinen Kunden den Zugang zum umstrittenen russischen Online-Musikladen AllofMP3.com in Zukunft verwehren muss. Nicht nur Internet-Aktivisten und Branchenvertreter zeigten sich konsterniert, selbst die dänische Vertretung des internationalen Verbandes der Plattenindustrie (IFPI) war überrascht von der Leichtigkeit, mit der sie die gewünschte Verfügung erhalten hatte. Die Industrievertreter hatten offenbar mit einem schwierigen Verfahren gerechnet, doch entschied das Gericht ganz im Sinne der Musikbranche. Hinter vorgehaltener Hand munkeln mit dem Verfahren vertraute Insider, die Kammer sei womöglich mit den technischen Details des Falles nicht richtig vertraut gewesen.

Das Gericht stützt seine Entscheidung (PDF auf Dänisch, englische Übersetzung) auf einen Artikel des dänischen Urheberrechts, der eine nicht genehmigte temporäre oder permanente Reproduktion urheberrechtlich geschützten Materials verbietet. Das Gericht geht davon aus, dass AllofMP3-Betreiber Mediaservices nicht die nötigen Rechte für die Verbreitung geschützter Musik in Dänemark hat. In seiner Urteilsbegründung führt die Kammer darauf aufbauend aus, dass die Musikstücke während der Durchleitung der Datenpakete durch das Netzwerk des Providers für kurze Zeit als elektronische Signale in den Routern vorgehalten würden und damit als Kopie oder Teilkopie im Sinne des Urheberrechts zu gelten hätten. Den Einwand des Providers, die weniger als eine Millisekunde dauernde Speicherung der Daten in Netzwerk-Routern komme keiner Reproduktion im Sinne des Gesetzes gleich, ließ das Gericht nicht gelten. Tele2 wurde angewiesen, nicht weiter an der Verbreitung von Musikstücken der Website AllofMP3.com mitzuwirken und Kopien davon anzufertigen. Darüber hinaus soll der Provider seinen Kunden den Zugang zu der Domain und ihren Subdomains verwehren.

Tele2 hat inzwischen die geforderten Maßnahmen ergriffen, wird sich aber gegen das Urteil wehren. Die Berufung sei in Vorbereitung, teilte die Rechtsabteilung des Providers mit. Andere dänische Provider wie der Carrier TDC, CyberCity oder Telia Stofa werden den Ausgang des Verfahrens gespannt beobachten. Die IFPI sieht die Zugangsanbieter in der "moralischen Verantwortung", der Verfügung ebenfalls nachzukommen. Bisher haben sich die dänischen ISPs allerdings nicht bewegt und können dabei auf die Rückendeckung ihres Verbandes zählen. Für die Branche steht nach diesem "falschen Urteil", wie es ein Insider nennt, zu viel auf dem Spiel. Sollte der Sieg der Musikindustrie Bestand haben, käme das einem Dammbruch gleich, fürchten Branchenvertreter. Die IFPI hätte mit dem Urteil ein Rechtsmittel an der Hand, bei den dänischen Zugangsanbietern die Sperrung zahlreicher unliebsamer Web-Seiten anzumahnen. Die Russen zeigen sich solidarisch: "Wir bedauern, dass Tele2 jetzt in einer extrem belastenden Situation ist", erklärte ein Sprecher für Mediaservices. Das Vorgehen der Musikindustrie sei Teil einer breit angelegten Kampagne gegen Mediaservices. Er bezeichnete die Bemühungen, AllofMP3.com zu schaden, als fehlgerichtet: "So wie wir das sehen, hat die IFPI ein Problem mit dem russischen Urheberrecht und sie sollte ihre Bedenken bei der russischen Regierung vorbringen."

Dass AllofMP3.com durchaus ein kontroverses Thema ist, weiß auch der dänische Verband der Telekommunikationsanbieter. Trotzdem will die Organisation die weiteren Bemühungen von Tele2 gegen das Urteil unterstützen. "Das Gericht löst keine Probleme, sondern verursacht eine Reihe von Nebeneffekten und begibt sich auf die rutschige Straße in Richtung Zensur", erklärte Ib Tolstrup, der Direktor des Verbandes Telekommunikationsindustrien. Netzbetreiber sollten nicht für Inhalte verantwortlich und damit zum nationalen Gatekeeper gemacht werden.

Das sieht auch der Sprecher der dänischen "Piratgruppen", Sebastian Gjerding, so: "Es ist fundamental wichtig, dass die ISPs nur den Zugang liefern, nicht auch Inhalte überwachen". Sollten solche Urteile Schule machen, würde der Internet-Zugang durch nationale Sonderwege reglementiert. China fällt dem Aktivisten dazu als Beispiel ein. "Das Urteil bedroht die freie Kommunikation. Es schafft ein nach dem chinesischen Modell kontrolliertes Internet, in dem Behörden überwachen, zu welchen Informationen die Bürger Zugang haben und unerwünschte Inhalte sperren". Allerdings weiß Gjerding auch, dass die von Tele2 ergriffenen und von der IFPI in der Klage vorgeschlagenen Maßnahmen vergleichsweise leicht zu umgehen sind. "Es ist nur eine einfache DNS-Blockade. Kein Problem, das zu umgehen". Wer damit doch Schwierigkeiten habe, finde auf der Seite von Piratgruppen entsprechende Hinweise.

Das Urteil ist der vorläufige Höhepunkt des weltweiten Feldzugs der Musikindustrie gegen illegal kopierte Musik im Allgemeinen und gegen den russischen Anbieter im Besonderen. Die Interessenvertreter schaffen es so, das Thema weiter zu forcieren. Der Musikladen spielt nun sogar in den Gesprächen über den Beitritt Russlands zur World Trade Organisation (WTO) eine Rolle. Doch AllofMP3 behauptet standfest, ein nach nationalem Recht legal operierendes Unternehmen zu sein und Urheberrechtsabgaben über die russische Verwertungsgesellschaft ROMS abzuführen. Die IFPI hält stets dagegen, davon keinen Cent zu sehen und beharrt auf der Illegalität des ganzen Unterfangens. In London haben britische Industrievertreter erreicht, dass sie vor einem englischen Gericht gegen das Unternehmen prozessieren dürfen, eine entsprechende Klage steht bisher noch aus. Tiefer dürfte dagegen die von IFPIs Lobbyarbeit nicht unbeeinflusste Entscheidung der Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard getroffen haben, nicht länger Zahlungen für AllofMP3 abzuwickeln.

Auch hierzulande hatte die Musikindustrie im vergangenen Jahr eine einstweilige Verfügung gegen AllofMP3 erwirkt, mit allerdings wenig direkten Folgen für den russischen Anbieter. Stattdessen gilt die Verfügung als Hebel gegen "Unterstützer" hierzulande, die den Aktivitäten von AllofMP3.com mit Links, Anleitungen oder Empfehlungen Vorschub leisten. Aber auch die deutsche Musikindustrie beobachtet das Geschehen in Dänemark mit Interesse. Konkrete Pläne in dieser Richtung habe der deutsche Arm der IFPI hierzulande allerdings nicht, wie ein Sprecher mitteilte. Möglicherweise ist das auch nicht so einfach, wie die Erfahrung der GEMA aus dem Jahr 2005 zeigt. Die deutsche Rechteverwertungsgesellschaft hatte im Sommer vergangenen Jahres 42 deutsche Provider anwaltlich aufgefordert, den Zugang zu Filesharing-Portalen zu sperren. Die Zugangsanbieter zogen es vor, sich nicht zu rühren und es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Doch die angedrohten Klagen blieben aus. Offiziell heißt es bei der GEMA, man sei mit den Providern noch im Dialog. Von diesen können sich einige allerdings nur vage an Gespräche erinnern.

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