EU-Justizminister legen sich bei Telekommunikationsüberwachung nicht fest

Der EU-Rat will vor einem Votum zur Vorratsdatenspeicherung erst klären, für welche konkreten Zwecke die pauschale Überwachung nötig ist.

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Der EU-Rat will vor einem Votum zur Einführung einer Pflicht zur Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat klären, für welche konkreten Zwecke die heftig kritisierte pauschale Überwachung tatsächlich nötig ist. Zudem soll im Rahmen einer Arbeitsgruppe noch enger festgelegt werden, welche Ermittlungsbehörden in welchem Fall auf die Datenberge zugreifen dürfen. Auf dieses Vorgehen einigten sich die Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten bei ihrem Treffen in Brüssel am heutigen Donnerstag. Dort berieten sie nach einer Aufschiebung des Termins im November erstmals über einen künftigen Rahmenbeschluss, dessen unterschiedliche Entwürfe eine Speicherung sämtlicher bei der Abwicklung von Telekommunikationsdiensten anfallender Daten zwischen einem und drei Jahren vorsehen.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries berichtete am Rand des Treffens, dass eine "überwiegende Mehrheit" der Ratsmitglieder noch Bedenken gegenüber der Maßnahme in der ursprünglich insbesondere von Frankreich, Großbritannien, Irland und Schweden forcierten Form habe. Es müsse definiert sein, bei welcher Straftat die Daten abgefragt werden dürften. Zudem sollte die Regel einheitlich für alle Unternehmen gelten. Sie dürfe nicht etwa so angelegt sein, dass ein Zugriff sich nur auf Daten beziehe, die TK-Anbieter bereits etwa für die Abrechnung speichern. Schließlich müsse geklärt werden, so Zypries weiter, wie lange die Datenberge vorgehalten werden sollen. Wie vor der Beratung bereits angedeutet, hält Zypries überdies noch Fragen der Einhaltung der Grundrechte der Bürger und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme für offen.

Laut einer Erklärung des niederländischen Justizministers Jan Piet Hein Donner ist eine große Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten prinzipiell für die Einführung entsprechender Verpflichtungen. Die meisten EU-Länder würden auf der Sammlung weiter Datenbereiche bestehen, statt die Anforderungen auf Daten zu beschränken, die von den Firmen bereits für Geschäftszwecke gespeichert werden. Besonders sollen es die Justiz- und Innenminister auf die bei Internetprovidern anfallenden Informationen abgesehen haben, berichtet die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi). Die "Verkehrsdaten" könnten die Zugangsanbieter in diesem Fall aber nur bereitstellen, wenn sie ihren gesamten Netzwerkverkehr überwachen und filtern.

Auch Zypries zeigte sich erneut nicht gänzlich abgeneigt gegenüber der pauschalen Datenvorhaltung. Die SPD-Politikerin verwies darauf, dass die Attentäter der Bombenanschläge von Madrid mit Hilfe von Daten über Gespräche mit ihren Mobiltelefonen gefasst worden seien, und betonte: "Ich sage nicht, dass das nicht sinnvoll ist, wir müssen das aber genau definieren." Vorratsdaten kamen bei der Fahndung nach den Attentätern vom 11. März dieses Jahres allerdings nicht zum Einsatz: die genutzten Informationen waren von den Mobilfunkanbietern und Strafverfolgern "frisch" erfasst worden.

In der Wirtschaft überwiegt trotz der schwammigen Ansagen Zuversicht. So werten die Verbände BDI, Bitkom, eco und VATM zumindest die von der Bundesregierung geäußerte Ablehnung, Telefon- und Internetdaten über einen längeren Zeitraum und in größerem Umfang zu speichern, als "positives Signal für den Standort Deutschland und den Datenschutz". Parlamentarier sehen die Situation kritischer. So äußerte die FDP-Bundestagsabgeordnete Gisela Piltz im Nachklang an den gestrigen Antrag aller Fraktionen gegen eine Vorratsdatenspeicherung Bedenken, dass der "deutsche Datenschutz durch europäische Innen- und Justizminister untergraben wird". Das wahllose und verdachtsunabhängige Sammeln aller Gesprächsdaten von Anrufer und Angerufenem sowie aller Seitenabrufe im Internet sei nicht mit einem freiheitlichen Rechtsstaatsverständnis zu vereinbaren. Auch die liberale britische EU-Abgeordnete Sarah Ludford befürchtet, dass die Maßnahme letztlich ähnlich wie die Einführung biometrischer Merkmale in die Pässe "ohne ausreichende Prüfung der Kosten oder ihres tatsächlichen Beitrags zur Sicherheit" durchgedrückt wird. (Stefan Krempl) / (anw)