Ratlosigkeit zu IPv6

Die nächste Generation des Internet-Protokolls steht in den Startlöchern – und steht, und steht, und steht … Auf dem 52. Treffen der europäischen IP-Registry RIPE war das "Henne-Ei-Problem" bei IPv6 Thema.

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Von
  • Monika Ermert

Am 6. Juni endet der vor 10 Jahren gestartete 6Bone-Test, die dafür vergebenen IPv6-Adressen (3FFE) verlieren ihre Gültigkeit. Das Testende ist eine Reaktion darauf, dass die neue Internet-Protokollgeneration IPv6 und die zugehörigen Adressräume mittlerweile als vollständig produktiv einsetzbar gelten. Aber nach 10 Jahren und der Vergabe von 1056 IPv6-Adressblöcken durch die Regional Internet Registries (RIRs) bleibt die Frage offen, wie man den Markt und die Anwender von IPv6 überzeugen soll. "Die Technologie ist da, viele Hersteller haben nachgezogen, aber solange kein Kunde IPv6-Adressen nachfragt, treten wir auf der Stelle," sagt Gert Döring beim 52. Treffen der europäischen IP-Registry RIPE diese Woche in Istanbul. Der IPv6-Experte vom Münchner Provider Space.net, einem der ersten Anbieter von IPv6 in Deutschland, berichtete, dass 20 Space.net-Kunden derzeit mit IPv6-Verbindungen arbeiten, für die Space.net keinen anderen Preis verlangt als für dieselben Services über IPv4.

Außer eingebauten Sicherheitsfeatures bietet IPv6 vor allem dank seiner 128-Bit-Adressen wesentlich mehr Spielraum. Freie Adressen des derzeitigen IPv4 drohen knapp zu werden, da beispielsweise Asien momentan nur neun Prozent der 32-Bit-IPv4-Adressen belegt, aber die Hälfte der Erdbevölkerung ausmacht. Die 3,4 × 1038 IPv6-Adressen sollten allerdings für ein Weilchen ausreichen. Weitere Merkmale von IPv6 sind ein besseres Routing sowie Verbesserungen bei der Netzwerkadministration und dem mobilen Wireless-Betrieb.

"Ursprünglich hatten wir VoIP-Boxen als mögliche Treiber für IPv6-Adressen betrachtet, aber auch diese arbeiten inzwischen problemlos mit IPv4", sagt Döring, "nicht elegant, aber praktikabel." So bleibt das berühmt-berüchtigte Henne-Ei-Problem: Ohne Anwendungen keine Nachfrage, ohne Nachfrage kein Druck auf letzte Anbieter noch nicht IPv6-fähiger Hardware und Software. Laut den Erfahrungen bei Space.net (PDF-Datei), wo man IPv6 als "Teil der Kompetenzstrategie" (Döring) die Treue hält, unterstützen viele Applikationen IPv6 noch nicht. Andere machen den IPv6-Anwendern das Leben dadurch schwer, dass sie mit schwer auffindbaren Bugs daherkommen.

"Auch Vertreter des Internet Architecture Board haben hier in Istanbul gefragt, was getan werden kann, um IPv6 voranzubringen, aber eine gute Antwort darauf gab es nicht", meinte Döring. Angesichts der aktuellen Ratlosigkeit hält er es nicht für ausgeschlossen, dass mit dem Auslaufen des 6Bone-Tests ein paar IPv6-Adressen wieder vom Netz verschwinden, weil sie nicht auf den von RIRs vergebenen, offiziellen IPv6-Adressraum migrieren. Der Forscher, der das mal gemacht habe, sei vielleicht nicht mehr da, beschreibt Döring den Abgesang; die Partner, mit denen man IPv6-Datenverkehr getunnelt habe, schlössen dann die Verbindung, weil seit drei Monaten niemand mehr auf E-Mail reagiert habe. "Und am Ende zieht dann die Putzfrau noch den Stecker des Routers, und das wars."

So oder so ähnlich läßt sich laut Dörings Blick auf die globalen Routing-Tabellen (PDF-Datei) auch mindestens einer der "großen Abstürze" in der IPv6-Adresswelt der vergangenen Monate erklären. " Mitte Februar verschwanden plötzlich zwolf koreanische /48-Netze und zehn /32-Netze für drei Tage vom Netz. "Muss wohl ein koreanischer Feiertag gewesen sein", mutmaßt Döring.

Der Blick auf kürzlich neu vergebene Adressblöcke gibt den IPv6-Experten aber möglicherweise doch noch etwas Hoffnung. Eine rasant angewachsene IPv6-Adressnachfrage aus Taiwan lasse Bewegung von dort erhoffen. Zudem haben einige bislang nicht aktive Telekommunikationsanbieter nachgezogen, etwa die polnische Telekom. Weil auch IPv6-Befürworter ein bisschen Hoffnung brauchen, werden im Überblick über die globalen Routing-Tabellen die neu vergebenen Blöcke beobachtet. Versorgt haben sich im April 2006 erstmals der Vatikan und zum wiederholten Mal Vodafone. Gerade bei Mobilanbietern sahen IPv6-Experten in den vergangenen Jahren ein Motiv für den Umstieg, um eine großzügige Adressvergabe für IP-fähige Einzelgeräte zu ermöglichen. Allerdings zeigt Dörings Überblick über die Routing-Tabelle auch eine beträchtliche Diskrepanz zwischen zugeteilten und tatsächlich genutzten Adressen. Von 255 im Jahr 2004 zugeteilten Adressen haben 109 niemals das Licht des Netzes erblickt. Der Vorsicht militärischer Anwender sei dabei aber nur ein minimaler Bruchteil zuzuschreiben. Die anderen Adressblöcke schlummern offenbar in den Schubladen von Unternehmen, die von einer fernen IPv6-Zukunft träumen.

Für Grundlagen, Spezifikationen und weitere Berichte zu IPv6 siehe:

(Monika Ermert) / (jk)