Diplomatie zum Informationsweltgipfel: Dichtung und Wahrheit

Den "Ausbau der Menschenrechte, besonders im Hinblick auf den freien Empfang von Informationen", hat die EU-Kommission zur Priorität nach dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft erklärt. Nicht alle Beobachter wollen der Botschaft so recht glauben.

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Von
  • Monika Ermert

Den "Ausbau der Menschenrechte, insbesondere im Hinblick auf den freien Empfang von Informationen und den Zugang zu ihnen", hat die EU-Kommission zur ersten Priorität im Nachfolgeprozess zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) erklärt. Man spreche sich deshalb für die Fortführung der internationalen Gespräche aus, um die Internet-Verwaltung zu verbessern, und zwar mittels der beiden in Tunis im vergangenen November neu geschaffenen "Verfahren", dem "Internet-Verwaltungsforum" (Internet Governance Forum, IGF) und dem "Mechanismus der verstärkten Zusammenarbeit, an dem sich alle Regierungen auf der Basis der Gleichberechtigung beteiligen werden". Eine Mitteilung der Kommission (PDF-Datei) unterstreicht für den Folgeprozess auch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Medienkommissarin Viviane Reding unterstrich in einer Mitteilung die Vorreiterrolle der EU beim freien Informationszugang. "Auf dem Weltgipfel in Tunis vom vergangenen Jahr haben wir einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht auf dem Weg zu einem globalen Konsens, dem zufolge die alltägliche Verwaltung des Internet ohne die Einmischung irgendeiner Regierung erfolgen muss", erklärte Reding. Das müsse nun realisiert werden. "Eingriffe in die Basisarchitektur des Internet sind nicht mehr zu rechtfertigen, es sei denn auf der Grundlage allgemein akzeptierter ordnungspolitischer Grundsätze."

Unmittelbar vor dem offiziellen Start des zweiten UN-Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis Ende vergangenen Jahres hatten sich nach einem Verhandlungsmarathon Vertreter internationaler Regierungen auf ein neues "Internet Governance Forum" geeinigt: Es soll künftig Fragen der Politik im Netz und der Steuerung für das Internet diskutieren. Damit wurde ein heftiger Streit zwischen Entwicklungsländern, EU und den USA um die Macht im Internet und die Internationalisierung der Internet-Verwaltung vorerst beigelegt – wenn auch mit einem eher formelhaften Kompromiss, der an der momentanen Oberaufsicht der US-Regierung über die Internet-Regulierungs- und Verwaltungsgremien wenig ändert. Die neue Erklärung sei ein Friedensangebot an die US-Seite, interpretierte nun Internet-Governance-Experte und Telepolis-Autor Wolfgang Kleinwächter das EU-Papier. Man mache damit klar, dass die Anstrengungen um ein neues, gleichberechtigtes Kooperationsmodell, auf das man allerdings nicht verzichten wolle, der Freiheit und Stabilität des Netzes untergeordnet sei, lautet Kleinwächters Deutung der neuen Papiere, zu denen auch ein Memo zum WSIS-Folgeprozess gehört. "Mit der Position sollen die Irritationen ausgeräumt werden, zu denen es während der Verhandlungen im transatlantischen Verhältnis kam", meint Kleinwächter zur neu entdeckten Gemeinsamkeit in Fragen der Verwaltung und Kontrolle des Internet.

Redings Ansage, dass es im Tagesgeschäft der Netzverwalter auch ohne Regierungen gehe, beurteilt Kleinwächter positiv. Allerdings hat sich auch die EU neben der US-Regierung erst kürzlich massiv in die Vergabe der Rotlicht-Domain .xxx eingeschaltet. Die Grenzen dessen, was Tagesgeschäft ist, dürften daher unterschiedliche beurteilt werden. Gleichzeitig erwarten Experten, dass die USA allen Forderungen zum Trotz ihren Einfluss auf die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und vor allem die für die DNS-Rootzone zuständige IANA nicht komplett aufgeben werden. Zur "verstärkten Zusammenarbeit" aller Regierungen merkt die Kommission in ihrer Mitteilung an: "Die Vereinigten Staaten scheinen den Konsens von Tunis enger auszulegen als die EU."

Ein wenig verwundert meldete sich angesichts der hehren Zielsetzungen der Kommission auch Andre Rebentisch zu Wort, beim Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) unter anderem für die Medienarbeit zuständig: "Das hört sich alles ganz erfreulich an", kommentiert Rebentisch die Positionsbestimmung. "Aber wir müssen mal abwarten, ob diese neuen Töne sich auch durchsetzen können." Nicht so ganz zum Bekenntnis zur Informationsfreiheit passen will nämlich eine lange Liste inhaltlicher Verbote in der neuen Fernsehrichtlinie (PDF-Datei), die künftig auch für Netzinhalte von Bedeutung wird, betont Rebentisch. Neben dem Verbot rassistischer, sexistischer oder diskriminierender Inhalte warnt der Artikel 3g auch vor Inhalten, die religiöse oder politische Überzeugungen verletzen oder Vorurteile gegenüber dem Umweltschutz befördern.

Auch Kleinwächter sieht durchaus eine gewisse Scheinheiligkeit in der Politik der EU, wenn sie sich einerseits als Vorreiter des freien Internet feiert, andererseits aber für die Rundum-Überwachungsmöglichkeit ihrer Bürger per Vorratsdatenspeicherung sorgt. Auch in der Telekommmunkationsregulierung könnte die Union durchaus für mehr wirtschaftliche Chancengleichheit zwischen großen Telekommunikations- und Internetanbietern anderseits sorgen. (Monika Ermert) / (jk)