Aus für "Zensursula" und Websperren: "Das Problem an der Wurzel packen"

Provider, Bürgerrechtler und Vertreter von Missbrauchsopfern reagierten erleichtert auf den Beschluss, das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. FDP-Politiker betonten, es habe keinen Deal "Aus für Websperren" gegen "Vorratsdatenspeicherung" gegeben.

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Internetprovider, Bürgerrechtler und Vertreter von Missbrauchsopfern haben erleichtert auf den Beschluss der Spitzen der schwarz-gelben Koalition reagiert, das lange umkämpfte Zugangserschwerungsgesetz der Vorgängerregierung zu kippen und kinderpornografische Inhalte im Internet künftig ausschließlich löschen zu wollen. Die Erfolge des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco und die Ergebnisse des Bundeskriminalamts (BKA) in diesem Bereich hätten deutlich gemacht, dass der von FDP und CDU/CSU bereits in der Koalitionsvereinbarung umrissene Ansatz "Löschen statt Sperren" in der Praxis funktioniere, erklärte der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur). Es sei erfreulich, dass sich diese durch eigene Untersuchungen gestützte Position nun bei allen Fraktionen des Bundestags durchgesetzt habe.

Der AK Zensur sieht sich mit der Einigung in Berlin aber nicht arbeitslos geworden. So seien Websperren derzeit noch "bei der Novellierung des Glücksspiel-Staatsvertrags der Bundesländer im Gespräch". Auch auf EU-Ebene werde über entsprechende Blockaden diskutiert und im Rahmen internationaler Verträge wie dem Anti-Piraterie-Abkommen ACTA sei weiterhin der Einsatz gegen Zensur dringend nötig. Christian Bahls, Vorsitzender des Vereins Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGiS), zeigte sich ebenfalls erfreut, dass endlich auch die Union erkannt habe, "dass Sperren für die Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs im Internet untauglich sind". Jetzt müsse entschieden versucht werden, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen und den dafür nötigen Druck zur Verbesserung auch der internationalen Zusammenarbeit zu erhöhen.

Eco-Rechtsvorstand Oliver Süme freute sich, dass sich die "Erfolgsstrategie", das inkriminierte Material an der Quelle zu entfernen, durchgesetzt habe. Blockaden im Web schützten die Täter und schadeten den Opfern. "Der richtige Weg zur Bekämpfung dieser Verbrechen ist es, das Material zu löschen und gleichzeitig die Beweise für die Strafverfolgung zu sichern", betonte der Jurist. Auch Missbrauchsbilder im Ausland seien über den Hotline-Dachverband INHOPE immer besser aus dem Netz zu bekommen. Nach dem langen Streit um das richtige Verfahren sei es jetzt wichtig, "alle verfügbaren Kräfte schnell auf Täterverfolgung und Opferschutz zu konzentrieren". Ähnlich äußerte sich der Hightech-Verband Bitkom.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich vehement gegen das Zugangserschwerungsgesetz eingesetzt und bereits vor Kurzem dessen Aufhebung empfohlen hatte, bezeichnete "Sperrung im Internet" als "etwas, was berechtigt Ablehnung und Misstrauen hervorruft". Die FDP habe den Koalitionspartner davon überzeugt, sagte die Liberale im Bayerischen Rundfunk, dass das "Löschen verbotener Inhalte wie kinderpornografischer Abbildungen wirklich das richtige und effektive Mittel ist".

Der FDP-Netzpolitiker Manuel Höferlin betonte gegenüber heise online, dass die Liberalen das Ja der Union zum Aus für die Websperren nicht gegen eine Zustimmung der eigenen Fraktion zur Vorratsdatenspeicherung "getauscht" hätten. Die verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren, für die sich auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) unter der mit einem Big Brother Award prämierten Bezeichnung "Mindestspeicherdauer" stark macht, sei am gestrigen Dienstag kein Thema im Koalitionsausschuss gewesen. Die Liberalen stimmten aber der Einrichtung einer Visa-Warndatei zu.

Höferlin kündigte an, dass die Koalition nun ein Aufhebungsgesetz gegen die Bestimmungen zu Websperren initiieren werde. Gegen das Websperrengesetz läuft auch bereits eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Alle Oppositionsparteien plädieren bereits seit Längerem für die formale Einstellung des Zugangserschwerungsgesetzes, während die Koalition zunächst erst "Vollzugsdefizite" beim Löschen von Kinderpornografie beim BKA beseitigen wollte. Dazu sei mittlerweile nach langem Hin und Her eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Polizeibehörde und den beteiligten Meldestellen des eco und der Länder unterzeichnet worden. Bei dem "Harmonisierungspapier" gehe es vor allem darum, den behäbigen Dienstweg des BKA über die Einbindung der Provider-Hotlines zu beschleunigen.

Insgesamt hat sich laut Höferlin die "penetrante Haltung der Jungen in der FDP-Fraktion" in Sachen Websperren und der Kampf der Justizministerin ausgezahlt. Man werde nun genau beobachten, ob die Mechanismen und Maßnahmen zum Löschen von Missbrauchsbildern reichten oder der Gesetzgeber hier eventuell noch nachbessern müsse. Die aktuellen Veröffentlichungen des BKA zeigten, dass 93 Prozent der kinderpornografischen Angebote nach zwei und nach vier Wochen sogar 99 Prozent gelöscht werden könnten.

Innenminister Friedrich räumte ein, dass das Löschen besser als erwartet, funktioniere. Er verwies darauf, dass nach der vorläufigen Aussetzung der Websperren und einer Überprüfungsphase eine Entscheidung fällig gewesen sei. Es gehe nicht auf Dauer, dass ein Gesetz, das der Bundestag 2009 verabschiedet hat, einfach zum Teil nicht angewendet werde. Netzpolitische Beobachter wie Torsten Kleinz sprechen unterdessen von drei verpassten Jahren durch den Kampf gegen "Zensursula". In der Zeit, in der um die symbolischen Sperren gerungen wurde, sind ihrer Ansicht nach keine wissenschaftlichen Studien entstanden, die weiterhelfen könnten. Es gebe auch kaum neue Präventionsangebote für Pädophile. Dafür hätten viele Netzbürger unfreiwillig einen "Aufbaustudiengang Realpolitik" gemacht und viel über plumpe Lügen, Unverstand und Spitzfindigkeiten gelernt. (jk)