CFP 2006: Google, Microsoft und das China-Syndrom

Auf der Konferenz "Computers, Freedom & Privacy" in Washington stellten sich die beiden Unternehmen kritischen Fragen von Menschenrechtsgruppen.

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Von
  • Wolfgang Kleinwächter

Nachdem Ende vergangenen Jahres mehrere Fälle bekannt wurden, wonach in China tätige US-amerikanische Unternehmen personenbezogene Daten von Internet-Nutzern an chinesische Behörden weitergegeben hatten, die dann für die Betroffenen zu teilweise hohen Freiheitsstrafen führten, lud der US-Kongress im Februar 2006 die Unternehmen Microsoft, Cisco, Yahoo und Google zu einem Hearing ein. Kongressabgeordnete fuhren dort große Geschütze auf und forderten, demokratische Rechte und Freiheiten über wirtschaftliche Interessen zu stellen. Die Unternehmen argumentierten, dass sie bei ihren Geschäften in China an die nationale Rechtsordnung gebunden seien, andernfalls müssten sie sich aus China zurückziehen.

Auf der CFP 2006 in Washington wurde die Diskussion nun fortgesetzt. Zumindest zwei Mitglieder der "Viererbande" – Google mit Andrew McLaughlin und Microsoft mit Fred Tipson, beide "Senior Policy Councel" ihrer Unternehmen – stellten sich den kritischen Fragen von Eric Biel von Human Rights First und Sharon Hom, Executive Director von Human Rights in China, einer in New York angesiedelten Menschenrechtsgruppe, der beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) nach einer Intervention der chinesischen Regierung die Akkreditierung für den Tunis-Gipfel verweigert worden war.

Es gehe nicht darum, Märkte und Werte gegeneinander aufzurechnen oder auszuspielen. Man müsse vielmehr den Blick für die Realitäten verbinden mit einer mittel- oder gar langfristig angelegten Strategie, die mehr auf Evolution denn Revolution setzt, sagte McLaughlin zu Beginn. Eine einfache Schwarz-Weiß-Malerei helfe nicht weiter. Jedes Unternehmen der Welt müsse die nationale Rechtsordnung berücksichtigen, unter der es operiere. Das treffe auf chinesische Unternehmen in den USA zu und natürlich auch auf amerikanische Unternehmen in China. So wie Google respektiere, dass es in Deutschland Gesetze gegen Nazipropaganda, in Frankreich gegen Rassismus und in arabischen Ländern gegen Pornographie gibt, so müsse sich Google bei seinen Aktivitäten in China an die dortigen Gesetze halten, so McLaughlin weiter. Google informiere aber seine Nutzer darüber, dass die gefundenen Suchresultate nicht umfassend seien, sondern den nationalen Zensurbestimmungen entsprechen. Damit wisse zumindest der Nutzer von google.cn, dass er unter google.com möglicherweise andere Resultate finden würde.

Wichtig sei auch, dass sensitive personenbezogene Daten zum Beispiel zu E-Mail, Blogs oder Chats, nicht auf Google-Servern in China gespeichert würden. Die jeweilige Hoheitsgewalt eines Landes beschränke sich auf die im Lande selbst betriebenen Server. Insofern hätten globale Netzwerke wie Google oder Yahoo durchaus Möglichkeiten, die Herausgabe von Daten zu verweigern, sofern diese Daten nicht unter der Jurisdiktion des entsprechenden Landes aufbewahrt würden. Der Yahoo-Fall sei etwas anders gelagert, da Yahoo nur eine Minderheitsbeteiligung an yahoo.cn halte und das Tagesgeschäft dem chinesischen Partner überlasse, der als in China operierendes Unternehmen natürlich verpflichtet sei, schriftlichen Ersuchen von Strafverfolgungsbehörden Folge zu leisten. McLaughlin betonte die Wichtigkeit, darauf zu drängen, dass entsprechende Ersuchen von Behörden schriftlich vorgelegt werden und rechtsstaatlichen Prinzipien folgen müssten. Unternehmen sollten nicht auf Telefonanrufe oder mündliche Anfragen reagieren. Googles Erfahrungen hätten gezeigt, dass telefonische Anfragen oft im Sande verlaufen, weil lokale Parteifunktionäre, die Informationen abfragten, sich mitunter scheuten, ihr Ansinnen schriftlich zu dokumentieren.

Sharon Hom gab sich mit McLaughlins Vier-Punkte-Strategie jedoch nicht zufrieden: Diese Strategie würde nur funktionieren, wenn es in China eine unabhängige Justiz gäbe. Solange China ein Ein-Parteien-Staat mit einer kommunistischen Partei an der Spitze ist, liefe die von Google verfolgte Strategie ins Leere.

Fred Tipson von Microsoft warnte vor einem naiven Herangehen an das komplizierte Problem. Die Zeit des "Wilden Westens" im Internet sei weltweit vorbei. Es gehe nicht darum, ob im Internet reguliert würde oder nicht, sondern um das vernünftige Maß an Regulierung unter transparenten und möglichst demokratischen Bedingungen. Was die US-Regierung in den letzten Jahren praktiziert und an neuer Gesetzgebung verabschiedet hat – von der Telefon- und Internetüberwachung bis zur Verlängerung des Patriot Act – würde von vielen Regierungen als ein Art Freibrief empfunden, ähnliche Gesetze in ihren Ländern zu verabschieden, die insgesamt die Freiheit des Internet unterminieren. Notwendig sei, dass sich ein multilateraler Prozess entwickele, der Regierungen daran hindere, den Weg einer exzessiven Regulierung weiter zu beschreiten und sich stattdessen auf das notwendige und vertretbare Maß zu beschränken. Es sei besser, China in einen solchen Prozess hineinzuziehen, als es von außen permanent unter Druck zu setzen.

Lance Cottrell, Präsident von Anonymizer Inc., sprang indirekt McLaughlin und Tipson zur Seite, indem er darauf verwies, dass eine Gesamtsicht der chinesischen Szene viel bunter sei als angenommen. Es gebe zwar tausende Cyberpolizisten, aber "keine große chinesische Firewall". Das Land sei alles andere als ein Monolith und die jungen Leute der neuen Generation wüssten sehr wohl, wie sie etwa mit Anonymisierungs-Software umzugehen hätten. Es bestünden dutzende Möglichkeiten, Restriktionen zu umgehen, ohne sich in große Gefahr zu begeben. Er kenne hunderte von Chinesen, die mittlerweile wüssten, wie sie ohne ihre Meinung zu verbiegen im Netz operieren könnten: Das ganze sei ein bisschen auch ein Katz-und-Maus-Spiel. Im übrigen würden die allgemeinen Zensurbestimmungen von Stadt zu Stadt ganz unterschiedlich implementiert. Was in Schanghai oft zugänglich sei, werde in der Provinz geblockt. Vieles hänge am lokalen Parteifunktionär, der mitunter wegen Übertreibung auch schon mal Schwierigkeiten mit seinem übergeordneten Bezirkssekretär bekommen könne.

McLaughlin wies noch auf einen anderen Punkt hin. Zunehmend würden wirtschaftliche Eigeninteressen eine nicht unerhebliche Rolle in einem möglichen fortschreitenden Liberalisierungsprozess spielen. Wenn ein chinesisches Unternehmen an die New Yorker Börse gehen wolle und feststelle, dass eingeschränkter Zugang zum Internet in der Unternehmensumgebung schlecht für den Börsenwert sei, werde es einem wachsenden Druck von innen ausgesetzt. McLaughlin bekam dabei Schützenhilfe von einem chinesischen Studenten der American University in Washington, der im Publikum saß und darauf verwies, dass es eine wachsende Zahl von Intellektuellen der "neuen Generation" gebe, die sich schon lang nicht mehr den Mund verbieten ließen. Einen offenen Brief von führenden Journalisten in chinesischen Medien gegen Beschränkungen der Meinungsfreiheit zum Beispiel hätte es vor Jahren nicht gegeben. Man solle sich also im Westen etwas gedulden und nicht vergessen, dass China eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen habe und radikale Systemänderungen nicht unerhebliche Risiken in sich trügen.

Siehe dazu auch:

Zur CFP 2005:

(Wolfgang Kleinwächter) / (se)