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Was war. Was wird.

"Flüsternd schrie er etwas irgendeinem Bild entgegen, einer Vision - er schrie zweimal, nicht lauter als sein Atmen: 'Das Grauen! Das Grauen!'" Aber nein: Hal Faber beschäftigt sich nur am Rande mit "Killerspielen".

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es sah aus, als habe eine belebte, aus altem Elfenbein geschnitzte Darstellung des Todes ihre Hand drohend gegen eine reglose Menschenmenge erhoben, die aus dunkler und glänzender Bronze gegossen war. Ich sah, wie er den Mund weit öffnete – er sah wie ein gieriger Dämon aus, als wolle er alle Luft, alle Erde und alle Menschen vor sich verschlingen." Heute vor 149 Jahren wurde Joseph Conrad geboren, einer der größten Schriftsteller in englischer Sprache – über den in Deutschland gerne kompletter Mist aufgehäuft wird. Willkommen in dem ungenauen Wochenrückblick mit den unpassenden Jubiläen, und doch ... "Es war, als sei ein Schleier zerrissen. Ich sah düsteren Stolz, erbarmungslose Gewalt, feigen Schrecken auf diesem Gesicht aus Elfenbein, tiefe und hoffnungslose Verzweiflung. Lebte er sein Leben nochmals, jeden einzelnen Wunsch, jede Versuchung und alle Hingabe, während jenes höchsten Augenblicks vollkommenen Wissens? Flüsternd schrie er etwas irgendeinem Bild entgegen, einer Vision – er schrie zweimal, nicht lauter als sein Atmen: 'Das Grauen! Das Grauen!'"

*** Viele kennen Conrad nur als Vorlage für Coppolas Apocalypse Now, den Film, in dem sich die Doors und Richard Wagner die Hand reichen, in dem ein neues Bild des Soldatischen vermittelt wird, eine neoliberale Kriegsidentität, die sich in Amokläufen entladen kann, in Auslandseinsätzen im Kampf aller um etwas. Unsere Gesellschaft ist ein Kampfzusammenhang geworden, in dem das neue deutsche Fräuleinwunder mit weit gespreizten Beinen im Satinhemdchen für Strategiespiele wie Medal of Honor Heroes wirbt. Ein Kampfzusammenhang, in dem die noch braun getünchten Führergestalten des Web 2.0 in Kampfbombern unterwegs sind. Eine heimlich militarisierte Gesellschaft, in der die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006 an den SASPF-Programmierer Florian Pfaff kein nachrichtenwertes Thema ist. Lieber hetzt man gegen "Killerspiele" und verkauft den Schund gleich umme Ecke. Leben wir schon in Costaguana?

*** Lehnen wir uns darum in diesen unseren Zeiten großer Bedrohungen in unserem Sessel zurück und freuen uns über das Terrorbekämpfungs-Ergänzungsgesetz und die Antiterror-Datei der neoliberalen Politik-Krieger, die konstitutiv für das Abendland denken, wenn sie uns im Krieg gegen das böse Morgenland die Freiheit einschränken. Natürlich bedroht dergleichen die Bürgerrechte nicht, weil ein Geheimdienst keine Zwangsmittel gegen die Bürger in der Hand hat, schreibt die taz. Die derweil über freudsche Versprechungsleistungen bei den Zwangsüberstellungen berichtet. Bei uns werden alle Zweifel ausgeflogen.

*** In den USA hat Scott Dilbert überzeugend dargelegt, dass Bill Gates einen guten Präsidenten abgibt – wenn man eine Mischung aus Mutter Teresa, Carl Sagan, Warren Buffet und Darth Vader als Präsidenten haben will. Ich persönlich würde eine andere Mischung bevorzugen. Außerdem möchte ich wirklich nicht Michael Greve als Bundeskanzler haben, auch wenn dann schön animierte Grafiken die deutsche Politik beleben würden. Dann schon lieber Lars Hinrichs als Kanzler, dessen Firma satte 319.000 Euro Gewinn machte. Mit OpenBC, das nächste Woche an der Börse klotzt, verfügt er einfach über einen Talentpool sondergleichen, schnell die BRD 2.0 aufzubauen. Wie verkündete Hinrichs auf dem Digital Bambi Day im Januar? "Ich habe 15 Jahre meiner 29 Jahre im Netz gelebt und wünsche, dass das jeder tut. Da gibt es keine Risiken, die man nicht beherrschen lernen kann."

*** Wobei ich überhaupt bekennen muss, dass ich gerade ein Problem mit Visionären habe. Gerade ist iWoz erschienen, ein überraschend schlechtes Buch vom großen Wozniak, der einfach alles erfunden hat außer der Maus, die er mit keinem Wort erwähnt. Der – siehe den Kasten "Ich und die UdSSR" – ganz allein den Sozialismus mit seinen Rockkonzerten zum Zusammenbruch brachte. Offenbar hat niemand dem aufgeplusterten Ego und seiner Mitautorin Gina Smith ("Wie ich mit Larry Ellison den Network Internet Computer erfand") beibringen können, dass manche Mythen besser Mythen bleiben. So aber haben wir iWoz bekommen, mit dem besonders großen I. Demnächst als Präsident.

*** Bekanntlich haben wir eine Justizministerin, die sich zusammen mit Microsoft für den Schutz des geistigen Eigentums stark macht. Erster Preisträger im Wettbewerb Die Idee ist zweifelsohne der Architekt Meinhard von Gerkan, der in dieser Woche dem Urheberrecht zu einem glanzvollen Erfolg verhalt, auch wenn der Sturkopfchef der Deutschen Bahn in die nächste Instanz ziehen will. So wird der Berliner Hauptbahnhof noch eine Weile mit dem Makel "Oben hui, unten pfui" existieren müssen, wie wir mit den Verspätungen der Bahn. Schließlich ist jetzt wirklich der Herbst da, mit diesen gefährlichen Blättern auf den Schienen. Was einem Mehdorn im Auge ist, wird schnell zum Geschwür. So bekommen wir bei der Warterei nicht die Reichsbahn-Ausstellung von Beate Klarsfeld geboten, sondern eine mit dem Material des DB Museums in Nürnberg. Sie soll zeigen, wie das damals war, als die Juden ihre Reichscard bekamen, zu 100% von Deutschen ermäßigt.

*** Ich mag übrigens Coppola. Zu dieser Jahreszeit das von ihm produzierte "Junky's Christmas" mit William Burroughs als Sprecher zu sehen, gehört zu den besseren Chanukka-Bräuchen, auch wenn Burroughs als Sprecher eine Fehlbesetzung ist wie Woz als Autor. Was macht ein aus dem Gefängnis entlassener Junkie? Was macht ein zu 9 Monaten Haft auf Bewährung verurteilter Anwalt, bei dem seine "äußerst herablassende Art, seine völlige Uneinsichtigkeit und sein fehlendes Unrechtsbewusstsein" strafverschärfend wirkten? Wo ist der Kick, sich aus der urgemütlichen Realität zu katapultieren, in einen schönen Raum, der nur für die Explorer von echtem Schrot und Korn geöffnet wird? Auch die Aufmerksamkeitsökonomie hat ihre Opfer, am langen Schwanz der Hoffnung.

Was wird.

Bleiben wir doch einfach im Gericht, auf hoher See. Morgen starten im idyllischen Kassel eine ganze Serie von Verhandlungen zu einer Prozesslawine, bei der selbst SCO die Scheckbücher schlackern dürften. Im wirklich einzigartigen TransiDoc-Verfahren geht es um die Sicherheit von digitalen Dokumenten. Stellen wir uns einmal vor, nicht in der norddeutschen Tiefebene zu wohnen, sondern ein Schloss zu kaufen, das einstmals der Affinger Adel bewohnte. Der Kaufvertrag wird mit einer digitalen Signatur in einem Word-Dokument unterschrieben. Doch dann fordert ein findiger Rechtsanwalt mit Verweis auf eine PDF-Datei Kauflizenzgebühren in ungeahnter Höhe. Wie solch ein Prozess ausgehen kann, soll in Kassel geklärt werden.

Es ist noch ein bisschen hin, doch der IT-Gipfel von Bundeskanzler Greve, äh, uhm, Bundeskanzlerin Merkel schlägt bereits hohe Wellen, wie das IT-üblich ist. Man könnte jetzt die Größe des Planschbecken berechnen, in dem all dies passiert, doch ich weise leidenschaftslos nur auf SAP-Chef Henning Kagermann hin, der zum Kaffeekränzchen ganze Leuchttürme heranschleppt. Es ist natürlich nicht so, dass eGovernement nur mit SAP-Software geschmiert läuft. Wir müssen uns nur fokussieren und das auch bei den Universitäten tun, denen langsam die die InformatikerInnen ausgehen, dann klappt das schon. "In Amerika ist Informationstechnologie groß geworden, weil das Verteidigungsministerium investiert hat." Los Ballermannlos, anyone? Uh, öh, röchel: Fast hätte ich ihn vergessen, den offenen Brief der Bürger an die Kanzlerin, doch bitte beim Gipfel nicht den Zipfel zu vergessen. Welchselbiger nicht immer ein long tail ist. "Das Grauen! Das Grauen!" – aber selbst das ist heutzutage äußerst banal. (Hal Faber) / (jk)