"Manchmal haben wir die Batterie auch ausgebaut"

Im August 2010 starteten in Genf vier Teams mit Elektrofahrzeugen zum "Zero Race" rund um die Welt. Mit dabei: Sven Lehmann auf einem Serien-Elektroroller.

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Lehmann absolvierte zusammen mit seiner Partnerin Sandra Lust insgesamt 28.000 Kilometer. Die Strecke des "Zero Race" führte sie in 80 Tagesetappen unter anderem durch Russland, Kasachstan, China, die USA und Mexiko. Ein Notstromaggregat war nicht dabei – die Teams mussten ihre Akkus am öffentlichen Stromnetz laden. Im TR-Interview erzählt Solartechniker Sven Lehmann, im Hauptberuf Vorstand der PI Photovoltaik-Institut Berlin AG, von seinen Erlebnissen.

Technology Review: Wie sah für Sie ein typischer Reisetag aus?

Sven Lehmann: Am Vormittag sind wir meist etwa 250 Kilometer gefahren, dann gab es drei bis vier Stunden Ladezeit, und am Nachmittag noch einmal etwa 250 Kilometer Fahrt. Wenn man das jeden Tag machen muss, dazu noch auf schlechten Straßen, ist das schon eine extreme Belastung, weniger für die Technik als für einen selber. Man ist 16, 17, 18 Stunden unterwegs und ordnet alles den beiden Funktionen "Fahren" oder "Laden" unter. Und alles, was das Laden verzögert, bringt einen später ins Bett.

TR: Wie kamen Sie unterwegs an Strom?

Lehmann: Abends waren wir meist in Hotels. Die haben zwar schon vorher gewusst, dass wir Steckdosen brauchten, waren dann aber doch oft überfordert. Hin und wieder mussten Fahrzeuge deshalb zum Laden zu einer Feuer- oder Polizeistation gebracht werden. Manchmal haben wir unsere Batterien auch ausgebaut und mit aufs Hotelzimmer genommen.

TR: Und mittags?

Lehmann: Mittags mussten wir meist improvisieren. Wenn man die ganze Nacht Zeit hat zum Laden, kann man fast jede x-beliebige Steckdose nehmen. Aber wenn es schnell gehen soll, so in drei bis vier Stunden, braucht man eine entsprechend höhere Ladeleistung. Und wenn man dann gleich mit drei Fahrzeugen ankommt, sollte man sich verteilen, statt an einer Stelle zu laden, sonst fliegen irgendwelche Sicherungen raus. Was auch dazu geführt hat, dass wir vor allem in Kasachstan und in China weniger an normale Steckdosen gegangen sind, sondern fast immer direkt an die Stromverteiler und da dann entweder direkt an die Sicherung oder eventuell sogar davor.

TR: Klingt gruselig.

Lehmann: Da wir alle elektrotechnisch ausgebildet sind, wussten wir schon, was wir tun. Man kann natürlich nicht jede Leitung nehmen, sondern muss sie sich vorher genau anschauen. Wir mussten schon ein bisschen tiefer eindringen als nur den Stecker in die Steckdose zu stecken.

TR: Wie haben Sie solche Ladepunkte gefunden? Sind Sie einfach in einen Ort reingefahren und haben gefragt: Sagt mal, wo kriege ich hier denn 20 Ampere her?

Lehmann: In 80 Prozent der Situationen war es tatsächlich so. In abgelegeneren Orten kriegt man mit der Zeit ein Gespür dafür, wo ein bisschen mehr Energie gehandhabt wird, etwa in Betrieben, wo größere Maschinen stehen. Küchen sind in der Regel auch nicht schlecht, obwohl die einen nicht unbedingt ranlassen. Und dann hat man immer noch das Verständigungsproblem, in China ging das wirklich nur mit Händen und Füßen. Aber wenn man mit einem Stecker in der Hand ankommt, dann ist ja relativ klar, worum es geht.

TR: Wie haben die Leute reagiert?

Lehmann: Da gab es alle möglichen Facetten. Prinzipiell wurde uns viel Solidarität und Unterstützung entgegengebracht. Klar, es gibt oft eine gewisse Unsicherheit – zum Beispiel, wenn mal eine Sicherung rausfällt, weil man ja immer versucht, möglichst viel Ladeleistung rauszukitzeln. Aber dafür bekommt man Kontakt zu ganz vielen Menschen. Und während der drei, vier Stunden, an denen die Ladung läuft, hat man auch viel Zeit, sich zu unterhalten und auszutauschen. Das ist eine ganz spezielle Art des Reisens.

TR: Mussten Sie einen ganzen Koffer voller Adapter mitschleppen?

Lehmann: Ja. Wir haben zirka 30 Adapter unterwegs gebraucht, allein die Hälfte davon in den USA, weil da ja jedes Gerät irgendwie einen anderen Stecker hat. Und da haben wir uns auch wirklich nur an die Steckdosen anschließen dürfen, im Gegensatz zu den anderen Ländern, wo sie uns oft auch an die Verteiler gelassen haben. Da kann man ja auch mit einem einfachen abisolierten Kabel arbeiten.

TR: Was haben Sie für den Strom bezahlt?

Lehmann: Oft bekamen wir den Strom geschenkt. In den USA mussten wir aber auch schon einmal 30 Euro für eine Ladung zahlen. Zum Vergleich: Wenn ich mit 20 Cent pro Kilowattstunde rechne, haben wir auf der gesamten Weltumrundung nur für 300 Euro Strom verbraucht.

TR: Mit was für einem Roller waren Sie unterwegs?

Lehmann: Mit einem Vectrix VX-1 – ein Serienfahrzeug, das ursprünglich in den USA entwickelt wurde und inzwischen in Polen produziert wird. Dieses Fahrzeug hat standardmäßig 60 bis 80 Kilometer Reichweite. Das Reglement des Zero Race schreibt aber eine Reichweite von mindestens 250 Kilometern vor. Den eingebauten Nickel-Metall-Hydrid-Akku haben wir deshalb durch 90 Kilo Lithium-Ionen-Batterien ersetzt. Damit kamen wir schon auf eine Reichweite von 220 Kilometern.

Dann haben wir noch mal fast 150 Kilometer Reichweite bekommen durch 50 Kilo schwere Akkus, die wir hinter dem Soziussitz in einer Aluminiumkiste angebracht haben. Statt 3,7 Kilowattstunden wie das Serienmodell hatten wir fast 22. Das gesamte Fahrzeug haben wir mit Hilfe von ungefähr einem Dutzend Freunde und Verwandte in nur zweieinhalb Wochen umgerüstet. Als normalerweise doch eher bedachter Ingenieur würde ich so etwas in einem 6- bis 10-Monatsprojekt machen.

TR: Wie hat sich der Roller gehalten?

Lehmann: Das Fahrzeug ist wirklich sehr, sehr zuverlässig. Einmal hatten wir einen durch Wüstensand zugesetzten Lüfter und mussten den Motorcontroller wechseln, aber das waren eigentlich die einzigen Probleme mit dem Fahrzeug.

TR: Und die Akkus?

Lehmann: Wir hatten nicht die langlebigsten Akkus genommen, weil die nötige Energiedichte immer einen Kompromiss erfordert. Dennoch war die Erdumrundung nur ein Bruchteil von dem, was die eigentlich können sollten – also etwa 350.000 Kilometer. (grh)