Product Placement als "Fitnessprogramm" für's TV

Das EU-Parlament zeigte sich bei seiner Debatte zur Novelle der EU-Fernsehrichtlinie gespalten über die vorgelegten Änderungsanträge zur Liberalisierung der Werbung in audiovisuellen Mediendiensten.

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Das EU-Parlament zeigte sich bei seiner Debatte zur 1. Lesung der Novelle der EU-Fernsehrichtlinie am heutigen Dienstag in Straßburg gespalten über die vorgelegten Änderungsanträge zur Liberalisierung der Werbung in audiovisuellen Mediendiensten. Es solle nicht mehr Reklame, aber eine größere Flexibilität für kommerzielle Anpreisungen im TV geben, betonte Berichterstatterin Ruth Hieronymi. Die CDU-Politikerin räumte aber ein, dass sie Möglichkeiten zur Freigabe der Produktplatzierung in ihren Empfehlungen für die morgige Abstimmung "zustimmen musste". Sie habe sich aber bemüht, weitgehend "rechtssichere Verhältnisse" bei Product Placement "durch eine bessere Kennzeichnung für die Verbraucher" zu erreichen.

Insgesamt pries Hieronymi den vorgelegten Kompromiss als "echtes Fitnessprogramm für ein zukunftsorientiertes Fernsehen". Die audiovisuellen Massenmedien würden "gleichermaßen Kultur- und Wirtschaftsgut" bleiben. "Fernsehen und fernsehähnliche Dienste werden künftig unabhängig von der technologischen Plattform von ihrem Inhalt her beurteilt", erklärte die Berichterstatterin. Erfasst würden Angebote, die unter redaktioneller Verantwortung erarbeitet und zusammengestellt, an eine allgemeine Öffentlichkeit gerichtet und über elektronische Netze verbreitet werden. Es gebe dabei eine klare Abgrenzung zu anderen Informationsdiensten und zum elektronischen Handel. Hieronymi versicherte: "Private oder nicht-öffentliche E-Mails und elektronische Formen von Zeitungen werden nicht abgedeckt."

Auch Helga Trüpel von den Grünen empfand es als wichtig, dass mit den Änderungsanträgen des Kulturausschusses "nicht das Internet als solches" geregelt werde. Insbesondere nutzergenerierte Inhalte würden außen vor bleiben, sodass die Presse- und Meinungsfreiheit im Netz nicht bedroht sei. Auch Punkte wie ein Recht auf Kurzberichterstattung oder die Förderung europäischer Inhalte sei zu begrüßen. "Wir wollen aber keine Amerikanisierung", stellte Trüpel für ihre Fraktion klar. In Product Placement und Einzelspots läge keine Zukunftschance des europäischen Fernsehens. "Ich will weiterhin eine Trennung von Inhalt und Werbung. Ich will ein Fernsehspiel ungestört sehen", betonte die Grünen-Politikerin. Die bestehenden Werbemöglichkeiten würden völlig ausreichen. Zugleich forderte Trüpel Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf, während der Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr ein deutliches Zeichen gegen Produktplatzierungen zu setzen und es nicht bei ihrem "halbherzigen Widerstand" zu belassen.

Das "heimliche Bestreben, den Werbemarkt völlig zu liberalisieren", witterte Umberto Guidoni von der Linksfraktion in den Vorgaben des Kulturausschusses. Der Richtlinientitel "Fernsehen ohne Grenzen" müsse in "Werbung ohne Grenzen" abgeändert werden. Der Berichterstatter aus dem Wirtschaftsausschuss, Karsten Friedrich Hoppenstedt, erachtet die "Öffnung in Richtung Werbeliberalisierung" dagegen als essenziell, "um das frei empfangbare Fernsehen zu sichern". Ein Verbot von Produktplatzierungen wäre realitätsfern, da diese Werbeform gleichwohl praktiziert würde. Der CDU-Politiker plädierte zudem dafür, Werbeblöcke alle 30 Minuten zuzulassen. Der Kulturausschuss pocht hier auf 45-minütige Pausen. Doch andere Redner aus der Fraktion der Konservativen fürchteten eine "Grauzone" beim "früher als Schleichwerbung" betitelten Product Placement.

Für die Sozialisten begrüßte Henri Weber, dass die Produktplatzierung "ganz stark reguliert werde, um Missbrauch zu verhindern". Die Sozialdemokratin Christa Prets gab zu, dass der Grad der Werbung schwer zu dosieren sei. Es müsste generell "auch für Kunstschaffende die Möglichkeit geben, hohe und qualitative Produkte auf den Markt zu bringen, ohne die Gebühren zu erhöhen." Ähnlich argumentierte Sharon Bowles für die Liberalen: Wenn man den Kreativen und den Sendern nicht mehr Einkünfte ermögliche, "geht die Qualität verloren". Es sei richtig, alle halbe Stunde Werbepausen zu gestatten, da damit anderen Einnahmequellen vorgebeugt werde. Prinzipiell müsse der Markt entscheiden, stimmte der Britin ihr Landsmann Syed Kamall von den Konservativen zu. Bei zu viel Kommerz würden die Zuschauer eh abschalten.

Noch bleibt spannend, ob die Abgeordneten bei der Stimmabgabe den Vorschlägen des Kulturausschusses und der Berichterstatterin folgen. Eigentlich wollte der EU-Rat Produktplatzierungen verbieten. Den Mitgliedsländern soll aber gestattet werden, eigenhändig Product Placement in Formaten wie Spielfilmen oder Sportberichten zu erlauben. Sowohl für weiter gehende als auch für restriktivere Werbevorgaben gibt es zahlreiche Änderungsanträge. Ignasi Guardans Cambó von den Liberalen griff zudem einen "Korrekturvorschlag" aus der langen Liste der Umschreibungsentwürfe auf, "der Pornographie im Internet verbieten will". Das geht im zufolge "völlig an der Realität vorbei." Beim Jugendschutz müsse der Selbstregulierung der Wirtschaft Vorrang eingeräumt werden.

Der ursprüngliche Kommissionsentwurf sowie die Anträge aus dem Kulturausschuss setzen dagegen erstmals EU-weit auf das in Deutschland im Rahmen der jüngsten Reform der Jugendschutzgesetze etablierte System der "Ko-Regulierung", bei dem die Selbstkontrolle von Unternehmen staatlich überwacht wird. Paradoxerweise soll dieses Prinzip laut Befürwortern eines Verbots von "Killerspielen" hierzulande gleichzeitig zugunsten einer Betonung der staatlichen Schutzaufgaben wieder beerdigt werden.

Allgemein sieht der Richtlinienvorschlag eine abgestufte Regulierung vor. "Lineare Dienste" auf der "Push-Seite", die dem klassischen TV-Angebot entsprächen, sollen Regeln wie im jetzigen Rundfunk unterworfen werden, führte EU-Medienkommissarin Viviane Reding aus. Nicht-lineare Dienste wie die Bestellung eines Videos auf Abruf müssten dagegen nur gewisse Grundregeln etwa beim Jugendschutz oder bei der Unterbindung rassistischer Äußerungen einhalten. Dafür würden sie in den Genuss des "Herkunftslandsprinzips" kommen, sich also im Detail nur an die rechtlichen Bedingungen an ihrem Standort richten müssen. Insgesamt soll die Richtlinie laut Reding dafür sorgen, dass "die europäische Inhalteindustrie noch wettbewerbsstärker wird unter Einhaltung strenger ethischer Anforderungen." (Stefan Krempl) / (pmz)