Wildes Durcheinander rund um Softwarepatente in Brüssel

Ein geforderter Neuanfang bei der EU-Richtlinie über Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen sorgt ebenso für Wirbel wie die Patentfreigabe von IBM.

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Der von 61 EU-Abgeordneten unterschriebene Antrag auf einen kompletten Neustart des Gesetzgebungsverfahrens rund um die umstrittene Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" hat in Brüssel einigen Wirbel ausgelöst. Das Augenmerk vieler Beobachter richtete vor allem auf die Grünen, da aus ihren Reihen kein Parlamentarier das Begehr der vor allem aus den neuen Beitrittsländern stammenden Kollegen mit unterzeichnet hatte. Zunächst waren aus der Fraktion in Brüssel zahlreiche Bedenken gegen eine Unterstützung eines Neuanfangs laut geworden. Inzwischen ist die Entscheidung gefallen: Auch die Grünen sprechen sich vorsichtig für einen Neustart aus. So haben die für den Komplex Softwarepatente zuständigen EU-Parlamentarierinnen Monica Frassoni und Eva Lichtenberger jetzt ein Unterstützungsschreiben an den Präsidenten des Rechtsausschusses der Volksvertretung, Giuseppe Gargani, geschickt.

Frassoni und Lichtenberger selbst teilen die Bedenken der Antragsteller, dass die gegenwärtige Unsicherheit über Risiken rund um Softwarepatente bereits Auswirkungen auf Verwaltungen und die Privatwirtschaft habe und daher die Position des Rates und der Kommission gründlich überarbeitet werden müsste. In einer 2. Lesung der Richtlinie in ihrem jetzigen, vom Rat grundlegend geänderten Variante sehen sie demnach keine Alternative, da in diesem Rahmen eine absolute Mehrheit der Abgeordneten gegen den sich nach wie vor in der Schwebe befindlichen Ratsentwurf stimmen müsste.

Unterstützung erhalten die europäischen Grünen auch von ihren Genossen aus dem Bundestag. "Die Formulierungen des Rats führen nicht zu mehr, sondern zu weniger Rechtssicherheit", erklären der rechtspolitische Fraktionssprecher Jerzy Montag und seine für Medienpolitik zuständige Kollegin Grietje Bettin. Darauf hätten alle Fraktionen des Bundestags hingewiesen. Ergebnis der Richtlinie dürfe nur sein, dass die Patentierbarkeit von Software ausgeschlossen bleibe.Auch ein Scheitern des Gesetzgebungsvorhabens wird von den Grünen in Kauf genommen. Widerstand gegen einen Neustart gibt es allerdings noch von Seiten der französischen Sozialisten.

Das beharrliche Schweigen der Kommission in Brüssel zum weiteren Vorgehen nährt derweil Gerüchte, dass diese das Projekt zurückziehen wolle. Genauso unklar stellt sich die Situation im Rat dar: Offizielle Auskünfte der luxemburgischen Ratspräsidentschaft sind momentan nicht zu bekommen. Ständig tauchen sich widersprechende Berichte auf, wonach das Ministergremium einerseits das offizielle Abnicken seines Standpunkts im Laufe des Januar trotz des Widerstands Polens vorbereite, andererseits die Vorlage gänzlich verwerfen oder neu verhandeln wolle.

Heiße Diskussionen unter Experten hat zudem IBMs Freigabe von 500 Patenten für die Nutzung unter Open-Source-Lizenzen ausgelöst. Während Pragmatiker wie der Stanforder Rechtsprofessor Lawrence Lessig in dem Schachzug einen Beweis des Einsatzes des Computergiganten für freie Software sehen, sprechen Softwarepatentgegner und Open-Source-Advokaten von einem Danaergeschenk, mit dem IBM die mit Trivialpatenten verbundenen wirtschaftlichen Probleme herunterzuspielen und Unterstützung für seine an sich aggressive Patentpolitik zu gewinnen suche.

Bruce Perens etwa, Mitgründer der Open Source Initiative, begrüßte den Vorstoß IBMs zwar grundsätzlich "mit offenen Armen". Gleichzeitig warf er aber die Frage auf, inwieweit Softwarepatente insgesamt für die Wirtschaft und die Entwickler von Open-Source-Software nicht gefährlich seien. Linux-Vater Linus Torvalds bezeichnete die Initiative von Big Blue derweil laut US-Medienberichten als einen ersten Schritt in die richtige Richtung.

Weiteren Zündstoff für die Debatte hat ein kurzer Abgleich des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) der 500 "gespendeten" Patente mit seiner Datenbankdokumentation zahlreicher internationaler Softwarepatente geliefert. Demnach sind auch zumindest 98 der für die beschränkte Nutzung aufgegebenen Monopolansprüche auch beim Europäischen Patentamt (EPA) einschlägig bekannt. Elf davon sind noch anhängig, 44 sind gewährt und weitere 43 sind abgelehnt worden.

Was manche Beobachter nun als Erfolg der Prüfungsqualität beim EPA interpretieren, ist für andere ein Beweis für das nicht ganz saubere Spiel von IBM. "Diese Liste zeigt auch, dass die Behauptungen der Patentlobby falsch sind, 'computer-implementierte Erfindungen' im Sinne des Europäischen Patentamtes und der EU-Kommission seien irgendetwas anderes als Softwarepatente", konstatiert Florian Müller, Manager der Kampagne NoSoftwarePatents.com. Bei einem Neubeginn des Brüsseler Richtlinienverfahrens müsse daher die Debatte ehrlicher geführt werden.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)