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Was war. Was wird.

Computerbesitzer sind besonders tierlieb, hat Hal Faber wieder einmal zur Kenntnis genommen. Was außerhalb des allwissenden Internet los war, wird sich erst heute Abend in ganzer Pracht zeigen, wenn die Lokale geschlossen haben.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eines Tages wird man auf die Streichlisten-Wahl zurückblicken, die im Jahresvorendviertel 2005 stattfand, und sich fragen, was da eigentlich los war im Internet. Glaubt man Spiegel Online, dem Internet-Ableger eines Blattes, das mit einer Affäre groß wurde, die die Meinungsfreiheit stärkte, so haben sich die zeitgenössischen Meinungsmacher viel zu wichtig genommen. So trauert die klar zur CDU/CSU tendierende Mannschaft des Spiegel wohl darüber, dass Blogger von Format für Veränderungen offen sind, aber dem Neocon-Biedermeier von Kirchhof und Merkel kein Verständnis entgegenbringen. Kurzum, im Lager der Schwarzen hat sich kein einziges nennenswertes Blog-Talent gezeigt, das begriffen hat, dass die Welt eine Scheibe ist, von der man kräftig zu anderen Scheibenwelten linkt. Bei der CDU hat man am Freitag das Internet obendrein mit einem Hausbriefkasten verwechselt, der nach Belieben zugemüllt werden kann. Genau 120 Mails "Deine Stimme der CDU" stecken in meiner Inbox, sinnigerweise von einem Mail-Konto, das ausschließlich zur Recherche über Internet-Casinos verwendet wird. 4 Millionen Mails sollen es sein, die da durch Deutschland rasten, im Auftrag der CDU von Reuter Adressmanagement verschickt. Nicht nur die CSU beherrscht also die Kunst, das Internet nicht zu verstehen.

*** Was außerhalb des allwissenden Internet los war, wird sich erst heute Abend in ganzer Pracht zeigen, wenn die Lokale geschlossen haben, in denen die Türken ihre Regierung wählten. Zur vorigen Wahl schrieb die taz in ihrer lobenswerten Kolumne neues vom scheideweg die Geschichte von den Vögeln auf dem Kirschbaum, die nun leider im kostenpflichtigen Archiv steckt. Zwei Platzpatronen hat der Bürger, die Vögel zu erschrecken. Er schießt sie ab und alles flattert hoch, um bald wieder auf dem Baum zu landen. Am Ende ist alles wie bisher, nur sitzen die viesen Fögel jeder auf einem anderen Ast. Politisch spannend ist allein die Frage, wer sich, nachdem der Dank an die Wahlkämpfer der eigenen Partei aus der rhetorischen Retorte abgeflossen ist, "aus Sorge um dieses unsere Land und die Menschen da draußen" aufmacht, die Große Koalition anzubieten. Wer nicht gerade wie Fußball-Schiedrichter Tomaten auf den Augen hat, dürfte längst gesehen haben, dass die Streichlisten von Eichel und Kirchhof ausgesprochen kompatibel sind. Auf Kiesinger und Brandt folgen Merkel und Steinbrück, aus dem großen Ruck werden zwei kleine Rückchen.

*** Dass Politik und Sport immer eine gute Mischung sind, zeigt sich in der Tatsache, dass die sinnlose RFID-Technik in Reisepässen gut mit der sinnlosen RFID-Technik in den WM-Tickets harmoniert. Passend zum Wahlkampf darum heute die Sportmeldungen der Woche. Immerhin hatte Heisig, unser aller Maskottchen, Auslauf beim Köln-Marathon und begleitete Foren-Teilnehmer mufasa bis ins Ziel, auch wenn es nicht für den Sieg reichte. Hoffen wir dennoch, dass dies kein schlimmes Omen für die Sportler ist, die sich mit dem Pandabär in der Zwangsjacke als wahre Fans der Foren zu erkennen geben. Gratulation natürlich auch an die Heise-Greise, die vorige Woche die Mac Trophy 2005 gewannen. Um es mit dem Lebensmotto von Heisig zu sagen: "In Deutschland zu Hause, erfolgreich in der Welt!"

*** Nur Kleingeister werden jetzt einwenden, dass Pandabären und Pandschnitzel nicht von der CMA ("Milch ist meine Stärke") promotet werden. Das besagte Motto zum Haus in Deutschland wurde in der vergangenen Woche vom Bundesverband der Deutschen Industrie benutzt, die den Mittelstand fördern will. Mit in der Schneckenpost der Massenaussendung: eine Glühbirne der deutschen Firma Osram, made in France respective Marocco. Wir sind also Multikulti. Außerdem sind Computerbesitzer besonders tierlieb, wie es der Cat Content überall zeigt. Jawohl, Pandas gehören in Zwangjacken wie Katzen ins Waschbecken, nicht in den Tank. Hunde sollte man besser als Bienen verkleiden, statt sie auf Agility-Turnieren leiden zu lassen, und Gepardenforellen müssen schwimmen. Nur Kleingeister werden sich nicht darüber freuen können, dass Gilette einen neuen Rasierer mit fünf Klingen und einem Microchip herausbringt, der von einer Batterie der Gilette-Tochter Duracell betrieben wird und dafür da sein soll, den Strom beim händischen Nassrasieren zu regulieren. Oder war da noch etwas, was Strom braucht?

*** Ein Kleingeist war er nicht, sondern ein großer Journalist, von dem ich sehr viel lernen konnte, nicht zuletzt die Verachtung des Militärs in all seinen Formen. Der Solitär, der Nicht-Ideologe Erich Kuby starb im Alter von 95 Jahren. Er zog es wieder einmal vor, seinen eigenen Weg zu gehen, da in Venedig, wo ihm die Türken bellenden Verblöder nichts anhaben konnten. Abschied nehmen heißt es auch vom schärfsten Kritiker der Elche, vom Zeichner und Theaterautor F.K. Waechter, der uns die Gewissheit gab, dass immer dann ein Schwein guckt, wenn wir etwas ganz, ganz tolles machen.

*** Wahrscheinlich hört kein Schwein richtig hin, wird sich die Werbeagentur McCann-Erickson gedacht haben, als sie Brahms' Wiegenlied durch einen Stimmenimitator auf Waits-Art aufnehmen ließ. Nun müssen sich die Gerichte damit beschäftigen, ob eine Stimmlage ein geschützte Sache ist. Merke: Nicht jeder Sänger ist ein Küblböck, der sich ein Kuheuter ans Gesicht nähen lassen würde, um wieder berühmt zu werden. Nicht jeder ist ein König von Deutschland. Aber Rio Reiser war es und Ton, Steine Scherben die Königsband meiner Jugend. Gegen die Zumutungen einer Musikindustrie, die das Digital Rights Management als Recht begreift, dem Hörer vorzuschreiben, was er wann, wo, wie hören und kaufen darf, hören wir nun das Lied vom Paradies: "Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei...". OK, den Geburtstagsblues für B.B. King sollten wir nicht vergessen: "Komm ich nach Hause zu meiner Braut, 'nen Bisschen was zu Fressen, hab ich bei Karstadt geklaut. Ich sach Puppe, ich bin heute geil! 'Mach dicht Junge, schalt den Fernseher ein`......." Später, viel später wurde Claudia Roth die Managerin einer epochalen Band, zu der es keine Alternative gab. Im Ernst. Wer außer ein paar hartgeeierten DKPlern sang damals mit Floh de Cologne: "Es stinkt, der Kapitalismus stinkt..."?

*** Stinkt der Kapitalismus wirklich? Für 2,1 bis 3,3 Milliarden Euro wird die Zocker-Site eBay den IP-Telefonierer Skype übernehmen, um den 54 Millionen registrierten Nutzern (die Hälfte von ihnen lebt in Europa) eine hübsche Auktion vorzuschlagen: Wollen sie nicht ihren alten Krempel nach China verkloppen? Gegenüber diesem Blödsinn, der nostaligische Gefühle an die Zeiten der Dotcom-Ära weckt, ist der Kauf von Siebel durch Oracle nachgerade konsequent. Hatte nicht Larry Ellison Tom Siebel einen Stuhl hinterher geworfen, als dieser Oracle verließ? Nein, das war sicher Ballmer. Und ein Stuhl war es wahrscheinlich auch nicht. Eher ein Sessel, Soda oder ein Schreibtisch. Was er wohl bei AOL stemmen wird? Sein Alter Ego Bill Gates schmeißt sich mit Napoleon Dynamite ins Getümmel am College (Video-Link).

Was wird.

Der Reformstau ist vorbei und Frühling-wir-werden-frei wird es, wenn die Macht in unserem Staate an die aufgescheuchten Vögel umverteilt worden ist. Oder halt! Sind die Stimmen im Wahlbezirk Dresden I das Zünglein an der Waage? Oder pendelt es uns an dem Geburtstag eines großen Wissenschaftlers anderswohin?

Wo bleiben die Termine der Woche, wenn schon die Gesundheitskarte auf das Jahr 2008 verschoben worden ist. Was eine gute Sache ist, da dies vernünftige Tests der Kartensicherheit verspricht. Wer Informatik LIVE! ruft und dann meint, dass alles schnell gehen muss, weil Nullen und Einsen so verdammt schnell aufeinander folgen, hat nicht verstanden, wie wichtig gründliche Tests sind. Wer lesen wird, wie die nächste Bundesregierung von der vollkommen neu programmierten Software für Hartz IV schwärmen wird, hat schon ein bisschen mehr verstanden. Das grandiose Ablenkungsmanöver, das dahinter steckt, werden ohnehin nur die armen Menschen verstehen, die im Alltag mit den Arbeitsagenturen kämpfen. An diesem Sonntag wird die Eule der Weisheit nicht über blutigen Schlachtfeldern schweben und ich werde entgegen allen gemachten Vorschlägen die Mehrheitsmeinung nicht bedienen und kein blutiges Pandaschnitzel in die Pfanne klatschen. M!l!ek! (Hal Faber) / (anw)