Man kann heutzutage gleichzeitig Spaßraser und Umweltfreund sein

Es gibt ein richtiges Leben im falschen

Sind wir mal konstruktiv: Es ist sehr wohl möglich, ressourcenverträglich zu leben und trotzdem Spaß am Autofahren zu haben. Das geht nämlich durchaus, ohne selbstgeißelnd auf alles zu verzichten

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Von
  • cgl

Wer sich wie wir praktisch täglich mit Fahrzeugen beschäftigt, hört oft Fragen nach dem Richtigen im Fahrzeugkauf: "Ich habe einen alten Corsa. Der verbraucht so viel. Soll ich mir einen neuen Corsa kaufen, weil der umweltfreundlich ist, weil der einen Liter weniger verbraucht?" Die richtige Antwort hierzu lautet "Nein". Dann kommt meistens ein "Warum?". Setz dich, virtuelle Person, nimm dir ein Bier, reden wir darüber. "Now's the time to stop condemning things and come up with some answers", wie es Robert Pirsig in seinem philosophischen Selbstfindungswerk "Zen and the Art of Motorcycle Maintenance" formulierte.

Hippies empfehlen heute: BMW 850(C)i fahren, weil's umweltfreundlich ist.

(Bild: Heise Autos)

Es mag wirtschaftliche Gründe geben, auf ein anderes, sparsameres Fahrzeug zu wechseln, aber wer der Umwelt was Gutes tun möchte, fährt ein Auto möglichst lange. Denn ein neues Fahrzeug herzustellen ist selbst heute noch energie- und ressourcenaufwendiger als der Betrieb über die gesamte Lebenszeit. Deshalb können die regelmäßig gesparten Liter auf 100 km niemals die für die Herstellung verbrauchten Aufwendungen wieder reinholen.

Zum Beispiel das gern für moderne Chassis-Bauarten eingesetzte Aluminium: Wenn China neue Wasserkraftwerke baut, dann geht es den Erbauern nicht darum, dass ein paar Bauern Strom zum Reis kochen haben, sondern zunächst um die Industrie, etwa um die extrem elektrizitätsaufwendige Herstellung von Alu, denn davon ist China Welthauptexporteur. Oder die Verhüttung von Eisenerz zur Stahlproduktion. Oderoderoder. Elektroautos sind in diesem Punkt aktuell überhaupt nicht besser, sondern schlimmer: Die Herstellung eines Batteriepacks verbraucht alleine noch einmal fast so viel Energie wie die des restlichen Autos dazu, und diese Batteriepacks altern als elektrochemische Energiespeicher wesentlich schneller als das Restauto.

Green Car of the Year 2011: BMW 850i

Umweltschoner fahren also ein gebrauchtes (Elektro-)Auto. Da ein gutes Fahrzeug bei etwas Pflege lange hält, ist der Markt voll von grandiosen Angeboten. Ein BMW 320d Touring kann alles, was ein Auto im Alltag können muss, fährt zudem schön und hat obendrein Heckantrieb. Die alten Modelle (2003, 2004) kann man richtig günstig schießen. Es gibt außerdem für unter 10.000 Euro richtig gute BMW 850er zu schnappen. Wie geil ist das denn? Jetzt mag der berechtigte Einwurf folgen, dass allein die Motorhaube des 850 schon länger als der Arbeitsweg ist, dass der Wagen also nicht so richtig praktisch ist.

Das stimmt. Das stimmt für alle Autos. Keins ist so richtig effizient als Notstromaggegat zum Radio hören, aber genau dazu ver(sch)wenden die Meisten jeden Tag ihr Auto im Pendlerstau. Man sieht gelegentlich den Fahrer eines schönen Wagens dort stehen und sich irgendwie verarscht vorkommen. Das hat er sich ja anders vorgestellt, als er diesen AMG gekauft hat. Also jetzt endlich die Ketzerfrage: Warum überhaupt ein Auto haben? Denn wie Kollege Detlef Grell sagt, den die ewig am Stammtisch zum Besten gegebenen Verbrauchs-Minusrekorde nerven: "Ich kauf' mir ja kein Auto zum Spritsparen, das ist doch bekloppt. Wenn ich unbedingt Sprit sparen will, dann kaufe ich mir eben kein Auto."

Green Car of the Year 2012: a rental

Dieser Vorschlag stößt in allen bis auf die jüngsten Generationen auf Unverständnis. Can not compute. Wie, ohne Auto? Genausogut könnte man ihnen vorschlagen, ihre Wohnzimmermöblierung unter einer Brücke aufzubauen und dort Fußball zu gucken. Es gibt diese Möglichkeit in vielen Vorstellungswelten gar nicht. Dabei ist "kein eigenes Auto mehr haben" heute sogar der deutlich günstigere, ich behaupte sogar: komfortablere Lebensentwurf. Unbestritten bleibt es draußen auf dem Land bequemer, ein eigenes Auto neben der Wohnungstür stehen zu haben, mit dem man zum Edeka fährt. Sehr, sehr viele von uns leben jedoch in Ballungszentren, und dort ist es in den meisten Fällen nicht einmal möglich, das Auto direkt neben die Türen zu stellen, durch die man im Alltag so geht. Deshalb sind die Tür-zu-Tür-Zeiten von Autos in der Stadt meistens erschreckend lang. Auf sehr kurzen Distanzen schlägt ein Fußgänger, in stadtüblichen (je nach Streckenverhältnissen unter 7 bis 10 km) schlägt ein Fahrrad jeden Porsche.

In Städten mit Höhenprofil (Stuttgart hat 300 Meter davon im Stadtgebiet) sind elektromotorisch unterstützte Fahrräder beliebt. Oder man holt sich einen Roller. Oder eins dieser Elmoto-Kleinkrafträder. Alle Varianten sind selbst neu vom Ressourcenverbrauch um Größenordnungen besser als ein neues Auto herzustellen und im Gebrauch ebenfalls um mindestens eine Größenordnung billiger. Der selbstverständliche Autofahrer denkt hier an Regen und vergisst, dass man ohne Auto so viel Geld spart, dass man sich, wenn das Wetter wirklich schlimm wird, ein Taxi ruft und trotzdem im Plus rauskommt.

Es gibt als lebendes Beispiel Herrn Schnurer von der c't, der genau diese Art der intermodalen Mobilität seit vielen Jahren praktiziert. Er tut das unter anderem in Kenntnis folgender Zahlen: 55 Prozent der Wege zur Arbeit sind kürzer als 10 km, dennoch fahren zwei Drittel aller Berufstätigen mit dem Auto in die Arbeit, 94 Prozent davon als Einzelfahrgast in anderthalb Tonnen Blech (Quelle: Mikrozensus). Für Wochenendausflüge oder Familienkurzferien gibt es mittlerweile in jedem Ballungsraum Carsharing-Angebote. Wer ein Leben ohne eigenes Auto ausprobiert, statt sich im Auto morgens am Stauende anzustellen und am Ende gar abends ein drittes Mal, um zu einem Fahrradsimulator im Fitnessstudio zu fahren, der findet es meistens sehr erleichternd. Denn das eigene Auto ist von sehr viel hart erarbeitetem Geld bezahlt, da drückt das Gewissen, wenn es nicht genutzt oder nachlässig gewartet oder schlimmstenfalls gar von jemand Anderem gefahren wird.

Alles wird besser

Nur: Warum diese Thesen in einem Special-Interest-Kanal für Autos vorschlagen? Weil sie Autofahren besser machen, darum. Weniger Geld und Sprit in Staus investieren heißt mehr Geld und Sprit zum Genussfahren übrig haben, für das es dann außerdem mehr Platz gibt. Aktuell steigen die Mietzahlen für Spaßfahrzeuge beständig, denn ohne eigenes Auto, das am Geldbeutel saugt, ist Geld für Auto fahren in der Freizeit frei. Die Engländer kaufen sich gern in Supercar Clubs ein, das ist Carsharing mit Lambos. Die Deutschen bilden gern ohne solche Firmen organisierte Grüppchen, die sich ein richtig schönes Fahrzeug teilen. Das kann und will niemand jeden Tag zur Arbeit fahren, sondern das darf tun, wozu es gebaut wurde: schnell fahren. Oder man holt sich wie gesagt einen gebrauchten 850 oder einen kennzeichenlosen, unversicherten Lotus für sich allein. Rennstreckenfahrtrainings sind ja ebenfalls ein wachsendes Freizeitsegment.

Wenn die fossilen Kohlenwasserstoffe alle sind, müssen wir sie synthetisieren, und dann werden Autofahrer feststellen, welche Preise die chemische Industrie für ihren wichtigsten Rohstoff zu zahlen bereit ist. Dieser Sprit wird signifikant teurer werden. 2012 geht in Lünen ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz. In so einer Energiepolitik ist vorerst nicht realistisch davon auszugehen, dass Strom bei künftig knappen, teuren Rohstoffen besonders ressourcen- oder gar preisgünstig wird. Wir können uns also überlegen, wozu wir künftig unsere wertvollen Ressourcen in gleich welcher Form verwenden. Wir können damit in höchst ineffizient beheizten Wärmeleitkisten Radio hörend im Stau stehen. Oder wir können sie mit einem SLS AMG im Schwarzwald verfeuern. (cgl)