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Was war. Was wird.

Es gibt Musik, die will man nicht einmal raubkopiert auf seinem MP3-Player haben, ist sich Hal Faber sicher, der die Frage nach den wahren Verbrechern auch nicht beantworten kann - Bundestrojaner hin, Malware her.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Adorno hatte in diesem Fall nicht Recht, und das wusste er selbst am Besten. Aber auch wenn die offiziellen Veranstaltungen am Holocaust-Gedenktag, mit denen gestern der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 gedacht werden sollte, in ihrer bürokratischen Steifheit absurd wirken, absurder, als sich Adorno je in Fehlurteile versteigen konnte, so fällt der Kommentar zum alltäglichen Wahnsinn doch schwer. Doch widmen wir uns lieber heute auch wieder diesem alltäglichen Wahnsinn – nicht, dass der Irrsinn, der zu Auschwitz führte, genau in diesem alltäglichen Wahnsinn erneut seine Wurzeln fände. "Der absoluten Verdinglichung, die den Fortschritt des Geistes als eines ihrer Elemente voraussetzte und die ihn heute gänzlich aufzusaugen sich anschickt, ist der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in selbstgenügsamer Kontemplation."

*** Seit einigen Tagen gibt es in der Süddeutschen Zeitung eine Serie über Online-Kriminalität. Bei dieser Serie kommen die kriminellen Abzocker, die Masseabmahner und die Inkasso-Mafiosos nur am Rande vor. Nach Kräften wird dagegen Online als krimineller Raum verortet, als Netz des Verbrechens stigmatisiert. An diesem Wochenende ist beispielsweise das böse Internet nach Angaben eines hart nach "Diebesgut" recherchierenden Journalisten eine einzige Kopiermaschine. Es sorgt dafür, dass zwei Drittel der Software auf einem Rechner illegal sind und dass Besitzer von speicherstarken MP3-Playern Musik im Wert von Mittelklassewagen mit sich herumtragen. Ist das nicht furchtbar? Zitternd habe ich gleich nach dem Frühstück meinen Player mit 40 GByte Festplatte aus dem Rucksack gekramt. Jetzt liegt das wertvolle Stück neben mir. 15 Interviews sind drauf und über 70 Podcasts, unverzichtbare Ablenkung für Fahrten mit der Deutschen Bummelbahn, auf denen Menschen in ihre Mobiltelefone schreien. Dann aber kommt's happig. Ein Grep nennt 12387 Musikdateien, darunter so fette Dinger wie die klassischen Symphonien, die die BBC veröffentlichte und so kurze Stücke wie "The Paperwork Explosion" vom genialen Raymond Scott. Über 1000 Songs verdanke ich allein der Süddeutschen Zeitung, weil mir ein netter Mensch die SZ-Kompilation "50 Jahre Rockmusik" geschenkt hat, die als Privatkopie auf den Player wanderte, wie der große Rest auch. Und nein, so ein Schmu wie die neue Platte von Norah Jones kommt mir nicht auf meinen Player, Privatkopie hin oder her.

*** Was aus der guten Kopiermaschine Internet stammt, ist lizenzfrei oder unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlicht. Wer vor dem abscheulichen Zeug von Tokio Hotel und Herbert Grönemeyer ausweichen will, kann Entdeckungen beim Open Music Contest machen. Vor allem aber sind freie Inhalte aus dem Internet frei von der DRM-Seuche und den verborgenen Spionierprogrammen, mit der die Medienindustrie über das Internet in unsere Rechner will. Weder DRM noch die diversen Rootkit-Attacken sind im Kopiermaschinen-Artikel zu finden, der sich hauptsächlich mit Shawn Fanning und Napster beschäftigt. Auch mein MP3-Player ist alt, so alt, dass er nicht in ein WLAN gehängt werden kann wie ein toller Zune. Wobei dieser iPod-Killer vor lauter Kopierschutz gar nicht funken kann.

*** Bald werden im bösen Internet Bundestrojaner auf Streife gehen. Wobei gehen streng genommen falsch ist, denn die Dateien liegen herum und können noch nicht einfach zum mutmaßlichen Terroristen geschickt werden, wie eine Horde von Verfassungsschützern zum wieder eingereisten Murat Kurnaz. Im Unterschied zu den bösen Trojanern werden die guten Bundestrojaner natürlich nicht nach Kontodaten phishen. Die hat man schneller dank der Kontenabfragen bei der Bankenaufsicht. Nein, der clevere Bundestrojaner nutzt natürlich das installierte Word in Internetcafes aus, die löchrige Textverarbeitung, zu der es im Handbuch der al-Quaida heißt: "Schreibe deine Nachricht in Word, konfiguriere sie, schneide sie aus, füge sie ein und schicke sie ab. Dann beende die Verbindung. Während du eine Nachricht schreibst, darf deine E-Mail nie geöffnet sein."

*** Verlassen wir die Serie über das schwer verbrecherische Netz mit dem Interview einer Bundesjustizministerin, die sich darüber empört, dass öffentlich zugängliche Anonymisierungsdienste den Straftätern die Spurenbeseitigung erleichtert. Was die Erleichterungen für Straftäter anbelangt, hat ja die deutsche Justiz einschlägige Vorkenntnisse, wie das Hartz-Urteil zeigt. Bei allen Absprachen ist die Hartz IV-Reform vergessen worden. Zumindest dem Namen nach erinnert die Reform zu sehr an den großen Organisator der Aktion "Kraft durch Freudenmädchen", der noch mit seinem Prozess demonstriert, dass man mit Geld alles kaufen kann. Da schlage ich glatt das Anagramm "Zart-H" vor, die zarte Hilfe, sich mit elendigen 345 Euro Regelsatz im Monat schnell wegzumachen aus der Statistik, egal auf welchem Wege.

*** Wenn ich an der deutschen Medienlandschaft etwas schätze, dann ist das der Sinn für hinterfotzigen Humor, der in der Szene gepflegt wird. Da gibt es etwa den reizbaren Henryk Broder, der in jedem Semikolon eine antisemitische Attacke wittert und der angesichts der vielen für ihn unerträglichen Meinungen erklärt "Das Internet macht doof". Just dieser zeitferne ältere Herr ist zum Online-Journalist des Jahres 2006 gewählt worden.

*** Doch lässt sich ein solcher Humor noch steigern (die noch hinterlistigere Anregung stammt natürlich aus dem ach so doofen Internet). Wie endet die Kolumne des lebergeschädigten deutschen Online-Journalisten Henryk "Prometheus" Broder?

" 'Jekami', jeder kann mitmachen, so hießen die vielen Amateurshows, als es noch kein Internet gab und 200 Leute die Freiheit hatten, ihre Meinung zu verbreiten. Waren das schöne Zeiten." Und wie beginnt ein grenzdebiler Artikel über Weblogs, der in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stehen soll? "Früher hieß es beim bunten Abend gern 'Jekami'. Das Grundprinzip ist dasselbe geblieben: Jeder kann mitmachen. Nur organisiert sich das Ganze jetzt weltweit in Internet-Tagebüchern, so genannten Weblogs."

Nach diesem schlicht kopierten Übergang folgt ein längerer Text, der für das "partizipative Journalismus-Experiment" der FAZ geschrieben wurde und der die guten alten Newsgroups über den grünen Klee lobt. Partizipativ mit P wie Prometheus meint hier, dass sich ein richtiger Journalist einen von der Palme wedeln kann, wie gut Journalisten doch sind (breites Allgemeinwissen, professionelle Recherche, ein gewisses Arbeitsethos). Beflissen dazu gesellen sich die besten Kommentare braver Musterschüler aus dem Leistungskurs Gemeinschaftskunde, die eine Chance haben, im Blatt abgedruckt zu werden. Leider enthält der Ausgangstext im Frankfurter Blatt ungefähr so viele Fehler, wie sie das neue Frankfurter automatische Kennzeichen-Lesesystem produziert. Darum ist er längst eine Beute bekannter Blogger geworden.

*** Welchselbige als zeitungskritische Spezies übrigens am Wochenanfang bei den Münchener DLD einen fulminanten Auftritt (Video, satte 700 MByte, eine mäßig inspirierte Zusammenfassung hier) hatten.

Was wird

Die kommende Woche ist Vista-Woche. In Deutschland wird dort gefeiert, wo das besagte DLD seinen flippigen Auftritt hatte, im Münchener Hypovereinsbankforum. In den USA zeigt Bill Gates am 29.1. bei Comedy Central in "The Daily Show" von Jon Stewart eine Stunde vor dem Verkaufsbeginn von Windows Vista um Mitternacht, was das neue Windows alles kann. Um Mitternacht soll Steve Ballmer in einer Best-Buy-Filiale in New York als Tänzer auftreten. 2000 exklusiv eingeladene Gäste dürfen vorher in einer fünfeinhalb Stunden langen Supershow im New Yorker Nokia Theatre (ähem) das neue System bejubeln.

Während andere gegen Vista wettern oder schwere Sicherheitslücken befürchten, gibt der neue Microsoft-Slogan Stoff für Grübeleien. "Bereit für den Erfolg. people ready Business", das ist wieder einmal eine Aussage, die auf ein Verb verzichtet. Denglisch ist sie auch noch. Anders als beim letzten Claim "Ihr Potenzial. Unser Antrieb." ist der Erfolg da, aber wer ist denn das, der bereit für den Erfolg ist? Microsoft offenbar noch nicht. Immerhin hilft babelfish ganz wunderbar beim zweiten Teil. "Bereit für den Erfolg, bereiten Leute Geschäft vor". Yo, wir sind bereit man, nix Spaniens Himmel, nix Tote Hosen, man. Reg dich ab, deine Zeit ist knapp.

Bereiten wir uns nicht allzu viele Kopfschmerzen und chaperonieren das noch junge Betriebssystem in sechsfacher Ausführung. Gut, die eine oder andere Vista-Variante wird bei uns den Ratings der Weltbank zufolge nicht zu sehen sein, weil sie exklusiv in Entwicklungsländern eingesetzt wird, den viralen grünen Laptop zu verdrängen, den Nicholas Negroponte als Abschluss seines Lebenswerkes betrachtet. (Hal Faber) / (jk)